Long-Covid-Patienten haben oft einen tiefen Serotoninspiegel. Also zu wenig von dem Hormon, das bekannt ist fürs Glücks- und Wohlbefinden. Doch das ist nur eine Funktion: Serotonin ist auch für die Kontrolle der Körpertemperatur zuständig, den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Regelung des Appetits und die Verengung der Gefässe.
Und offenbar spielt Serotonin eine wichtige Rolle bei Long Covid. US-Forschende um Andrea C. Wong haben nämlich in einer Studie, die im Oktober im Fachmagazin «Cell» publiziert wurde, gezeigt, dass man anhand des Serotonin-Levels im Blut darauf schliessen kann, ob eine von Corona genesene Person immer noch anhaltende Symptome hat. Die Forschenden hatten ganz verschiedene Abbauprodukte des Stoffwechsels gemessen und Long-Covid-Patienten mit Genesenen ohne Symptome verglichen. Nur das Serotonin-Level stach so deutlich heraus, dass sich daran erkennen liess, ob eine Person zur Long-Covid-Gruppe gehört.
Das alleine ist schon ein bemerkenswerter Erfolg, weil bisher ein einfach zu messender Marker im Blut fehlt, um Long Covid zuverlässig diagnostizieren zu können. Zwar ist bekannt, dass Long-Covid-Patienten auch deutlich reduzierte Cortisolwerte haben – nicht ganz sicher ist dabei aber, ob das nicht schon vor der Infektion der Fall war und Long Covid begünstigt hat.
Anfang November erschien eine neue Studie im «Nature»-Magazin, die zudem Hoffnung auf eine medikamentöse Therapie via Serotonin-Mechanismus macht: Holländische Forschende um Carla P. Rus zeigten darin, dass es zwei Dritteln einer Gruppe von 95 «Long Covid»-Patienten besser ging, nachdem sie Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) erhalten hatten.
Zwei Drittel zeigten eine gute bis starke Verbesserung, ein Viertel wenig Verbesserung – und 10 Prozent berichteten von keiner Wirkung. Für die Krankheit Long Covid seien das «vielversprechende Daten», wie sich Dominique Braun, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten am Unispital Zürich und Leiter der ambulanten Long-Covid-Sprechstunde, ausdrückt.
Der Schwachpunkt der Studie: Sie hat keine Kontroll- und keine Placebogruppe. Zudem: 61 Teilnehmenden hatten die Behandlung schon begonnen und mussten sich daher zurückerinnern an ihren Zustand vor der Medikamenteneinnahme – was ein Risiko für eine Fehleinschätzung ist. Braun sagt deshalb auch: «Man darf diese Studie nicht überbewerten. Die Ergebnisse müssen jetzt zuerst einmal wiederholt werden können.»
Würde die Wirkung bestätigt – selbst in einem geringeren Ausmass – wäre das eine gute Nachricht, auf welche die Betroffenen seit Jahren warten. Zudem sind Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer gut verfügbare Medikamente: Sie gehören zu den verbreitetsten Antidepressiva.
Bedeutet das nun aber, dass Long Covid eine psychische statt physische Krankheit ist? Kommt darauf an, wie man psychische Krankheit definiert. Der Wirkmechanismus ist jedenfalls körperlich: Die Forschenden gehen davon aus, dass die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer biochemisch auf verschiedene Neurotransmitter-Systeme wie auch auf das Immunsystem einwirken.
Als Hauptpfad vermuten sie den Kynureninstoffwechsel, der intensiv mit dem Immunsystem interagiert – bei Personen mit Long Covid ist dieser Stoffwechsel hyperaktiv und fördert Entzündungen. Dadurch entsteht ein Mangel am Vorläuferstoff Tryptophan. Weil aber auch der Serotoninstoffwechsel Tryptophan braucht, ist er ebenfalls betroffen und bekommt zu wenig davon.
Die Forschenden vermuten, dass dieser Mangel schon während der Infektion entsteht, weil das Spikeprotein des Coronavirus einen Rezeptor im Darm angreift, über welchen Tryptophan aufgenommen wird. Je auffälliger solche Abbaustoffe im Blut sind, desto schwerer auch die kognitiven Probleme der Long-Covid-Patienten.
Medikamente mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern aber machen das Serotonin für die Neuronen besser verfügbar, was ein Teil des Defizites wiedergutmachen kann. Und SSRI senken den oxidativen Stress. Weil die Wirkung des Medikamentes auch nach einem halben Jahr noch anhielt, vermuten die Forschenden, dass diese Antidepressiva zudem das Problem auch an der Wurzel packen und den hyperaktiven Kynureninstoffwechsel bei Long Covid dämpfen. Weniger gut scheint die Therapie bei der schwersten Form, der Chronischen Fatigue ME/CFS zu wirken.
Darauf, dass SSRI-Antidepressiva nutzen können, hatte bereits eine Fallstudie zweier britischer Forschenden in diesem Frühling hingewiesen: Ein Patient genas, nachdem er mit drei verschiedenen Blutverdünnern behandelt worden war, darunter Sertraline – ein Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Sertraline ist nicht nur entzündungshemmend, sondern hilft gegen Verklumpungen, indem es an die Spike-Protein-Einheit S1 bindet.
Die verschiedenen Erklärungsversuche zeigen aber auch: Ganz genau weiss man nicht, wie Antidepressiva aufs Gehirn, das Immunsystem, den Stoffwechsel und die Gefässe wirken. Die Autoren der holländischen Studie schreiben in ihrem Fazit: «Unsere Hypothese ist, dass bei vielen Long-Covid-Symptomen die Neurotransmittersysteme nicht beschädigt sind – aber gestört durch ein Tryptophan-Defizit und einen überaktiven Kynureninstoffwechsel.»
In der Praxis werden die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer bei Long-Covid-Patienten aber immer noch meist aufgrund von depressiven Begleitsymptomen verschrieben. Dominique Braun von der Long-Covid-Sprechstunde sagt: «Wir verschreiben sie manchmal, aber nicht spezifisch gegen die Long-Covid-Symptome. So weit sind wir nicht, aber wir sind daran, das intern zu diskutieren, ob wir die Therapie systematisch anbieten können.» Denn momentan habe man auf der medikamentösen Ebene nicht wirklich etwas, was man den Patienten anbieten könne.
Etwas weiter ist man an der Rehab Basel. Die dortige Leiterin Neurologie und Long-Covid-Spezialistin Margret Hund-Georgiadis sagt: «Das ist eine sehr gute Studie, wir setzen das Medikament tatsächlich häufig ein, schon nur wegen der depressiven Entwicklung infolge der Krankheit, und machen ebenfalls gute Erfahrungen.» (aargauerzeitung.ch)
Sind dann aber vermutlich die, die sich am Weekend die Birne vollsaufen und vorher noch in der Shisha-Bar den Macker platzieren