Der Protein-Hype hat Schweizer Sporthallen, Trainingsplätze und Fitnesscenter erfasst: Eiweiss-Shakes gehören in jede Sporttasche. Vor allem junge Männer unter 35 Jahren haben laut einer Studie des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit mit über 100 Gramm pro Tag den höchsten Proteinkonsum. Das Pulver aus der Büchse wird gerne im Internet bestellt und kommt vermehrt auch bei Jugendlichen nebst grossen Mengen Fleisch- und Fischkonsum ergänzend auf den Speiseplan.
Samuel Mettler ist ETH-Dozent für Sporternährung. Als ehemaliger Leichtathlet beschäftigt er sich intensiv mit der Zufuhr von Proteinen. Er empfiehlt primär eine gesunde Proteineinnahme über gesundes Essen:
Protein – umgangssprachlich Eiweiss – ist in vielen Nahrungsmitteln vorhanden: zum Bespiel in Geflügelfleisch, Tofu, Käse, Mandeln, Pilzen oder Haferflocken. Eine gesunde erwachsene Person braucht pro Tag minimal 0.8 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht. Senioren, Kinder und Jugendliche brauchen etwas mehr. Bei einer 70 Kilogramm schweren Person entspricht das einem Konsum von mindestens 56 Gramm pro Tag. Ein Pouletbrüstli hat rund 30 Gramm Eiweiss. Wer zudem etwas Käse und Vollkornbrot isst, hat den Tagesbedarf bereits abgedeckt.
Bei Leistungssportlern, die mehrmals wöchentlich intensiv trainieren und den Muskelzuwachs maximal fördern wollen, «ist die Empfehlung bei 1.6 bis 2 Gramm pro Kilo Körpergewicht». Dies wären bei einem 80-Kilo-Athleten 160 Gramm Eiweiss. «Grundsätzlich kann auch in diesem Fall das Protein weitgehend über normale Lebensmittel abgedeckt werden», so Mettler. «Shakes können aber helfen, die Proteinzufuhr zeitlich optimiert zu gestalten.» Eine Mahlzeit sollte mindestens 20 bis 30 Gramm Protein liefern, wobei das als Shake, Riegel in Form von Lebensmitteln oder einer Kombination daraus erfolgen kann.
Bei erhöhtem Energiebedarf kann ein Eiweissdrink auch als Regeneration nach Trainings oder Wettkämpfen Sinn machen. Ein «Recovery Shake» ist mit Kohlenhydraten in Form von Zucker und Aminosäuren angereichert, damit der Körper sich schneller erholen kann.
Doch egal ob «Recovery»- oder reiner Protein-Shake, Sinn mache das nur, wenn man ihn zur Regeneration direkt nach dem Training trinke. «Wer eine Stunde wartet, bis er zu Hause ist, hat seinen Körper eine Stunde lang leiden lassen. Eine unmittelbare Zufuhr noch vor dem Heimweg kann Wunder wirken», sagt der Ernährungsexperte. Anstelle eines Shakes könne aber auch ein Schinkensandwich oder ein Ovi-Drink verzehrt werden. Der Effekt sei der gleiche, sagt Mettler.
Ungesund ist die Einnahme von Proteinpulvern grundsätzlich nicht. Der ETH-Ernährungswissenschafter: «Protein ist für den Körper nicht schädlich, auch wenn grosse Mengen konsumiert werden.» Das Problem liege mehr darin, dass sich Sportlerinnen und Sportler über Riegel und Shakes nicht mehr ausgewogen ernähren. «Plötzlich liegt der Fokus nur noch auf den Proteinen und andere Nährstoffe oder frische unverarbeitete Lebensmittel werden verdrängt.» Dies kann bei Frauen zum Problem werden, die Protein-Shakes als Diätmittel verwenden und so gänzlich auf Kohlenhydrate verzichten.
Zu einem Proteinlieferanten wie Fleisch oder Fisch gehören Kohlenhydrate, gesunde Öle, Salat und Gemüse auf den Teller. Ob das Protein tierischen oder pflanzlichen Ursprungs sei, spiele auch eine gewisse Rolle. «Bei pflanzlichen Proteinen braucht es für dieselben Effekte mengenmässig mehr – Tierisch oder pflanzlich tierische Proteine sind effizienter», präzisiert Samuel Mettler.
Gemäss einer Studie des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit liegt der Proteinkonsum mit zwei Dritteln noch immer klar bei tierischen Produkten.
Ein Protein-Shake kann also eine gute Ergänzung für Sportlerinnen und Sportler sein. Doch es ist laut Ernährungswissenschafter Samuel Mettler gerade bei jugendlichen Konsumenten Vorsicht geboten: «Der internationale Supplement-Markt ist schlecht reguliert. Noch immer kommen Verunreinigungen vor. Manchmal werden auch nicht deklarierte Stimulanzien und Hormone beigemischt oder Produkte enthalten nicht das, was auf der Verpackung steht.» Wer im Internet bestellt, läuft also Gefahr, ungewollt in die Doping- oder Gesundheitsfalle zu tappen.
Der Experte empfiehlt daher Proteinprodukte ausschliesslich im Schweizer Sportfachhandel zu kaufen. Im Ausland bestellte Produkte sollten durch Antidoping-Label zertifiziert sein. «Das Risiko ist sonst unnötig gross.»
Für ältere Menschen ist die Gesunderhaltung der Muskulatur ein wichtiger Faktor, um Stürze und daraus folgende Brüche zu vermeiden. Da der Appetit im Alter aber sinkt und gleichzeitig der Bedarf spürbar steigt, sei die Proteinversorgung bei der älteren Schweizer Bevölkerung ein Problem, hält Mettler fest. Und so mache es für Rentnerinnen und Rentner durchaus Sinn, Protein-Shakes gezielt als Nahrungsergänzung einzusetzen. «Proteine haben einen Einfluss auf die metabolische Gesundheit. Wer die Muskulatur pflegt, kann sich besser bewegen und bleibt länger selbstständig.» (aargauerzeitung.ch)