Welches Ticket ist das richtige? Das erschliesst sich Reisenden im öffentlichen Verkehr angesichts von komplexen Zonensystemen mit Anschlussbilletten und verschiedenen Gültigkeitsdauern nicht immer. In einer im vergangenen Jahr durchgeführten Kundenbefragung gaben 28 Prozent der ÖV-Nutzer und 44 Prozent der Nichtnutzer an, die Angst vor Fehlkäufen und die Komplexität des Kaufs hinderten sie daran, öfter mit Bahn, Bus und Tram zu reisen.
Zudem werden die Preise für Einzeltickets von vielen als zu hoch wahrgenommen. Die Probleme will die Branche mit dem Projekt Gita («Grobkonzept Integriertes Tarifsystem») angehen. In einem ersten Schritt will sie sich auf eine Logik einigen, nach der Preise gebildet werden.
Doch ein Kanton steht auf der Bremse. So sieht es jedenfalls das Bundesamt für Verkehr (BAV): der Kanton Zürich respektive sein Zürcher Verkehrsverbund (ZVV). «Er erschwert mit seinen regionalpolitisch geprägten strategischen Vorgaben die Erschaffung eines national einheitlichen und einfachen Tarifsystems», heisst es in einem neuen Bericht.
BAV-Sprecher Michael Müller sagt, als Verkehrsverbund nehme der ZVV verschiedene Rollen wahr. «In diesen vertritt er in erster Linie die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Region Zürich. Das hat seit Jahren Auswirkungen auf nationale Projekte, die das ÖV-System weiterentwickeln sollen. So sind in den vergangenen Jahren verschiedene Anläufe zu einer Vereinfachung des Tarifsystems gescheitert.» Das liege auch an «Partikularinteressen» verschiedener Akteure.
Die Haltung des ZVV ist nicht nur wegen seiner Grösse – etwa jeder vierte ÖV-Kunde war letztes Jahr einer des ZVV – relevant. Er ist auch der einzige Verkehrsverbund, der alle Aufgaben von der Planung und Finanzierung des öffentlichen Verkehrs bis hin zur Gestaltung der Tarife, des Zonensystems und des Billettsortiments auf sich vereint.
In den restlichen 17 Tarifverbünden haben sich die Betriebe zwar auf ein gemeinsames Zonen- und Tarifsystem geeinigt, agieren darüber hinaus aber einigermassen autonom. Teils sind die Aufgaben auch auf einen Verkehrs- und einen Tarifverbund aufgeteilt, etwa in Luzern.
Die Kritik des Bundes am ZVV ist nicht neu. Im Jahr 2017 scheiterte ein Angriff auf dessen Tarifhoheit. Auf Druck von Kantonen wie Zürich, Aargau und St.Gallen strich das Parlament einen Passus wieder aus einer Vorlage des Bundes, der einen Systemführer im Regionalverkehr geschaffen hätte.
BAV-Sprecher Müller betont, dass das Amt immer wieder den Dialog mit dem ZVV suche. Dabei erwartet das Amt «eine offene Haltung des ZVV gegenüber nationalen Projekten».
In Zürich kommt die Kritik nicht gut an. «Wir können die Aussagen, dass der ZVV die Schaffung eines national einheitlichen Tarifsystems erschwere, nicht nachvollziehen», sagt Sprecher Thomas Kellenberger.
Der ZVV sei eine Organisation des Kantons Zürich. Es sei selbstverständlich, dass die Kantone Anliegen aus Fahrgastsicht in die laufenden Diskussionen einbringen. Es handle sich nicht um Partikularinteressen, sondern um allgemeine Anliegen des Ort- und Regionalverkehrs. Diese müssten für ein national einheitliches Tarifsystem berücksichtigt werden.
Das entspreche den verfassungsmässigen Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips und der fiskalischen Äquivalenz. Dieser Grundsatz besagt, dass jenes Gemeinwesen über die Leistung bestimmen kann, das die Kosten trägt – oder, kürzer ausgedrückt: Wer zahlt, befiehlt.
Tatsächlich greifen der Kanton und seine Einwohnerinnen und Einwohner für den ÖV tiefer in die Tasche als andere. Das liegt an drei Gründen.
Erstens bezahlen die ÖV-Kundinnen und -Kunden via Ticketpreise einen grösseren Teil der Kosten selbst als in anderen Kantonen. Im Jahr 2019 lag der Kostendeckungsgrad im ZVV bei knapp 70 Prozent, im Regionalverkehr in der ganzen Schweiz nur bei gut 50 Prozent.
Zweitens beteiligt sich der Bund nur wenig an den verbleibenden ungedeckten Kosten. Durchschnittlich übernimmt der Bund die Hälfte des Defizits des Regionalen Personenverkehrs (RPV), wozu Busse, S-Bahnen oder Regionalzüge zählen. Doch der Anteil variiert je nach Bevölkerungsdichte der Kantone. Das führt dazu, dass der Bund in Graubünden 80 Prozent der ungedeckten Kosten übernimmt, in Uri 77 Prozent und im Jura 74 Prozent. Zürich muss aber – wie Basel-Stadt und Genf – mehr als zwei Drittel des Defizits selbst stemmen.
Drittens werden urban geprägte Kantone zusätzlich benachteiligt, weil sich der Bund nicht am Ortsverkehr beteiligt. Darunter werden etwa Trams und Busse in Städten verstanden – also fast das ganze Angebot der Genfer Verkehrsbetriebe, der Basler Verkehrsbetriebe oder der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Im ZVV sind die Angebote von VBZ und Stadtbus Winterthur für etwa 60 Prozent des Aufwands verantwortlich.
Unter dem Strich führt das dazu, dass der Bund im Kanton Zürich deutlich weniger als zehn Prozent der ÖV-Erträge für den Betrieb beisteuert, während dieser Anteil in vielen Kantonen ein Mehrfaches beträgt.
Die Tarifhoheit ist dem ZVV aber nicht nur deshalb heilig. Ein nationaler Einheitstarif müsste zwischen 250 Verkehrsunternehmen, 26 Kantonen, unzähligen Gemeinden und dem Bund ausgehandelt werden, sagt Kellenberger. Ob damit die Bedürfnisse in unterschiedlichen Märkten und Regionen besser abgedeckt und die verkehrs-, umwelt- und finanzpolitischen Ziele besser erreicht würden als mit den heutigen «massgeschneiderten Angeboten», sei bis heute nicht nachgewiesen worden. Beim Projekt Gita, das Klarheit und Lösungen bringen soll, arbeite der ZVV aber «seit Beginn an vorderster Front mit».
Kellenberger verweist darauf, dass der ZVV-Tarif seit seiner Gründung nie beanstandet worden sei. «Angesichts des schweizweit deutlich überdurchschnittlichen Erfolgs des öffentlichen Verkehrs im Kanton Zürich und der Steigerung des ÖV-Anteils am Modalsplit erschiene ein solcher Schritt zumindest auch inhaltlich wenig nachvollziehbar.» (bzbasel.ch)
aber hey, es ist völlig unwichtig, das die Städte ordentlich in Bern vertreten werden!