Am kommenden Sonntag wird nicht nur über gewichtige nationale Vorlagen abgestimmt. In den drei grössten Städten der Deutschschweiz stehen Entscheide von einiger Tragweite an. Sie betreffen das Selbstverständnis von Basel, Bern und Zürich als linksgrüne Hochburgen und werden trotzdem oder gerade deshalb über die Stadtgrenzen hinaus beachtet.
Gross waren die Überraschung und der Jubel, als Basel Ende August den Zuschlag für die Austragung des Eurovision Song Contest (ESC) 2025 erhielt. Die Stadt am Dreiländereck setzte sich gegen das favorisierte Genf durch (Zürich als vermeintlicher Topfavorit war schon zuvor ausgeschieden). Ein wesentlicher Grund war die Finanzkraft des Kantons Basel-Stadt.
Ausserdem wurde die Gefahr als gering erachtet, dass der ESC politisch zu Fall gebracht werden könnte. Dennoch ergriff die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) das Referendum gegen die vom Kantonsparlament beschlossenen Ausgaben von 35 Millionen Franken. Obwohl die evangelikale Kleinpartei in Basel irrelevant ist, hatte sie Erfolg.
Das Referendum kam mit fast 4000 gültigen Unterschriften zustande, weshalb am Sonntag abgestimmt wird. In ihrer Kampagne vermittelt die EDU den Eindruck, mit einem Nein könne der «satanistische» ESC verhindert werden. Doch dessen Durchführung ist gesichert. Wegfallen würde das Rahmenprogramm, etwa ein Public Viewing im St. Jakob-Park.
Prognose: Ein Nein zum ESC-Kredit im linksgrünen und traditionell weltoffenen Basel wäre eine blanke Sensation, das anerkennt sogar die EDU. Sie hat nicht einmal die SVP auf ihrer Seite. Ein Achtungserfolg aber ist möglich. Dies zeigt die Tatsache, dass die EDU mit ihren geringen Ressourcen fast doppelt so viele Unterschriften wie nötig sammeln konnte.
Häufig wird Bern als linkste Stadt der Schweiz beschrieben. Was auch daran liegt, dass die meisten Einwohnerinnen und Einwohner einen Job haben, der mit dem Staat verbunden ist. Entsprechend sind die Kräfteverhältnisse im Gemeinderat, wie die Berner Stadtregierung heisst: Vier der fünf Sitze werden von SP und Grünen (die es in Bern doppelt gibt) besetzt.
Bei den Wahlen am Sonntag aber könnte einiges in Bewegung geraten, denn drei der fünf Bisherigen treten nicht mehr an. Die Bürgerlichen wollen den 2016 verlorenen zweiten Sitz zurückholen, mit intakten Chancen, weil der Gemeinderat im Proporz gewählt wird und sie sich zu einer gemeinsamen Liste von GLP bis SVP zusammengerauft haben.
Richtig spannend aber ist das Rennen um das Stadtpräsidium. Der vor acht Jahren überraschend gewählte Alec von Graffenried von der Grünen Freien Liste (der moderateren der beiden grünen Parteien) strebt die Wiederwahl an. Er hatte das Prestigeamt der SP entrissen. Diese sinnt nun auf «Rache» mit der amtierenden Baudirektorin Marieke Kruit.
Prognose: Der grüne «Stapi» profitiert vom Bisherigen-Bonus. Doch Alec von Graffenried ist nicht unumstritten, er gilt als dünnhäutig. Und die SP dominiert die Stadtberner Politik. Für Beobachter ist Marieke Kruit in der Poleposition, auch weil sie die erste Stadtpräsidentin wäre. Die Entscheidung fällt möglicherweise erst in einem zweiten Wahlgang.
Die Stimmberechtigten der grössten Schweizer Stadt müssen über mehrere kommunale Vorlagen befinden. Eine sticht heraus: die Volksinitiative «Tschüss Genderstern!», lanciert von der SVP-Politikerin Susanne Brunner. Einer ihrer Vorstösse war 2019 vom Büro des Gemeinderats zurückgewiesen worden, weil er nicht «geschlechtergerecht» formuliert war.
Brunners Rekurs wurde vom Bezirksrat gutgeheissen. Seit 2022 aber gilt in Zürich eine neue Vorschrift, wonach in der städtischen Kommunikation der Genderstern («Einwohner*innen») oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet werden müssen. «Einwohnerinnen und Einwohner» ist nicht mehr erlaubt, weil die Formulierung non-binäre Menschen ausschliesse.
Darauf reagierte Susanne Brunner mit ihrer Initiative, die von den bürgerlichen Parteien unterstützt wird. «Der Zürcher Stadtrat macht die Sprache zum politischen Instrument. Wir wehren uns gegen die Kunstsprache mit politischer Botschaft», sagte sie zu CH Media. Die Gegner werfen den Initianten vor, Frauen und nichtbinäre Menschen ausgrenzen zu wollen.
Prognose: Im rotgrünen Zürich wäre eine SVP-Initiative in der Regel so gut wie chancenlos. Das ist in diesem Fall anders. Eine repräsentative Tamedia-Umfrage vom letzten Jahr ergab, dass der Genderstern unbeliebt ist. Sogar die SP-Basis lehnt ihn mehrheitlich ab. Profitieren könnte die Initiative auch von einer Anti-Wokeness-Stimmung.
«Einwohnerinnen und Einwohner» ist nicht mehr erlaubt, weil die Formulierung non-binäre Menschen ausschliesse.
Wem es da nicht vor cringe die Zehennägel zusammenzieht, dem ist wohl wirklich ideologisch nicht mehr zu helfen...
Der Rest ist natürlich nur ultra konservative Zwängerei. ESC ablehnen, obwohl mehrere Millionen an Mehreinnahmen quasi garantiert sind, ist wild mMn.
Nach der wuchtigen Ablehnung (selbst in der Stadt Zürich!) ist das inszenierte Thema einiger weniger (aber besonders mitteilsamen) Menschen hoffentlich in der ganzen Schweiz vom Tisch.
SVP-Wähler bspw stimmen bei Themen wie AHV, Steuern etc viel sozialer als ihre Parteioberen. Und andererseits sind viele SP-Wähler ob dem identitätspolitischen Gezerre ihrer Politiker genervt.
Es bleibt spannend.