Reformen in der Altersvorsorge haben es beim Stimmvolk schwer. In den letzten 20 Jahren wurde nur die AHV 21 sehr knapp angenommen, und das gegen den Willen der von ihr stark betroffenen Frauen. Der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) droht nun weiterer Absturz. In der ersten Tamedia-Umfrage kommt sie auf 33 Prozent Ja und 59 Prozent Nein.
Ein derartiger Rückstand lässt sich in den etwas mehr als fünf Wochen bis zur Abstimmung am 22. September kaum aufholen. Das gilt erst recht für eine Vorlage, die irgendwie alle angeht und gleichzeitig sehr komplex ist, die selbst von der Fachwelt mit Argwohn beurteilt und nicht nur von links, sondern auch von Teilen des Gewerbes bekämpft wird.
🗳 Ja zur #BVG-Reform am 22. September 2024.
— Regine Sauter (@regine_sauter) August 13, 2024
🤝 Ein breites Komitee von FDP, SVP GLP, EVP, Die Mitte hat heute seine Argumente für die Reform präsentiert. Die Vorteile der Reform sind vielfältig.🔗https://t.co/ryWMU6BvdR pic.twitter.com/EpYDh483AO
Das Ja-Komitee gab sich an seiner Medienkonferenz am Dienstag in Bern dennoch alle Mühe, Zuversicht zu verbreiten. Gleichzeitig waren ihm die Resultate der am Mittwoch publizierten Umfrage bekannt. Entsprechend kamen die Ausführungen rüber: Sie sollten kämpferisch und entschlossen wirken, erinnerten manchmal jedoch an Durchhalteparolen.
Ein Problem war die Zusammensetzung: Obwohl einzelne Exponenten von linksgrün die Reform unterstützen, wollen sie sich nicht im Ja-Komitee engagieren. Dafür war die Mitte-Fraktion im Parlament dreifach vertreten, mit Präsident Gerhard Pfister, Nationalrätin Marie-France Roth Pasquier und dem «angegliederten» EVP-Nationalrat Marc Jost.
Den FDP-Standpunkt vertrat die Zürcher Nationalrätin Regine Sauter, eine führende Sozialpolitikerin, und für die Berner Grünliberale Melanie Mettler ist die Reform ein erklärtes «Herzensprojekt». Die SVP hingegen war durch den Freiburger Nationalrat Pierre-André Page vertreten, einen «Hinterbänkler», der auf dem Podium irgendwie verloren wirkte.
Dafür gibt es mehrere Gründe: Für die SVP ist das Thema Altersrenten heikles Terrain. Sie ist bei der BVG-Reform gespalten. Die Thurgauer Nationalrätin und Unternehmerin Diana Gutjahr ist eine Befürworterin, während die St.Galler Ständerätin und Gastronomin Esther Friedli sie ablehnt. Auch Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher stimmte im Parlament Nein.
Am Samstag werden die SVP-Delegierten die Parole beschliessen. Ein Nein ist nicht auszuschliessen. Für die Befürworter wäre es ein zusätzlicher Tiefschlag. Argumentativ haben sie es nicht leicht, denn die plakative und teilweise fragwürdige Nein-Kampagne von links müssen sie mit für Laien oft schwer nachvollziehbaren Mechanismen kontern.
Das betrifft die Senkung des Mindestumwandlungssatzes, der Höhe der jährlichen Rente berechnet, von 6,8 auf 6 Prozent. Doch 85 Prozent der Versicherten sind davon nicht betroffen, weil ihre Pensionskasse über genügend überobligatorisches Kapital verfügt. Solche Kassen können den Satz selbst festlegen, häufig liegt er unter 5 Prozent.
Nicht betroffen sind auch die heutigen Pensionierten, denn ihre Rente ist garantiert. Durch die Senkung der Umwandlungssätze konnte zudem die in der zweiten Säule «systemwidrige» Quersubventionierung von Beitragszahlenden zu Rentenbezügern, die vor einigen Jahren ein grosses Thema war, weitgehend gelöst werden, wie Regine Sauter einräumte.
Wie kann man die Reform dem Stimmvolk sonst anpreisen? Man betont ihre soziale Dimension. Teilzeitarbeitende und Personen mit tiefen Einkommen, darunter viele Frauen, können erstmals eine anständige Pensionskassenrente aufbauen. Möglich machen es die Senkung der Eintrittsschwelle und des sogenannten Koordinationsabzugs.
Dies sei «eine zentrale Absicherung gegen Altersarmut», meinte Marc Jost. Allerdings muss jemand das bezahlen. Verbände aus Tieflohnbranchen wie GastroSuisse oder Coiffure Suisse klagen über massive Mehrkosten und bekämpfen die «Scheinreform» mit einer Inserate-Kampagne. Diese «unheilige Allianz» mit der Linken stresst das Ja-Komitee.
Regine Sauter verwies auf eine entsprechende Frage von watson auf die Ja-Parole von HotellerieSuisse: Angesichts der Arbeitsmarktlage müssen sich die betreffenden Firmen überlegen, wie sie attraktive Arbeitgeber bleiben können. Dazu gehöre auch eine gute Versicherungslösung, für die sich immer mehr Angestellte interessieren würden.
Das mag zutreffen, ändert aber nichts am Problem der Befürworter, dass sie sich mit einer Gegnerschaft von zwei Seiten herumschlagen müssen. «Es steht ausser Frage, dass diese Kräfte zusammen auf keinen gemeinsamen Nenner kämen», betonte Gerhard Pfister. Bei einer Ablehnung der Vorlage würde «der Reformstau auch nach 20 Jahren weitergehen».
Die drohende Blockade ist für Skeptiker in der Fachwelt der Hauptgrund, warum sie der BVG-Reform ohne Enthusiasmus zustimmen. Sie gewinne «keinen Schönheitspreis», hielt der befürwortende Pensionskassenverband ASIP fest. Ein Kritikpunkt ist die Kompensation für den tieferen Umwandlungssatz, von der 15 Übergangsjahrgänge profitieren sollen.
Zwar kommen nicht alle gleich stark in ihren Genuss, dennoch folgt sie für BVG-Insider zu stark dem Giesskannenprinzip, was eigentlich nicht zur beruflichen Vorsorge passt. Hinzu kommen die Mehrkosten von rund elf Milliarden Franken. Es ist vielleicht bezeichnend, dass dieser Aspekt an der Medienkonferenz vom Dienstag nur am Rand thematisiert wurde.
Wie kann man vor diesem Hintergrund den Negativtrend umkehren? Für Melanie Mettler, die bei der Ausarbeitung im Parlament eine wichtige Rolle spielte, ist die BVG-Reform ein gutschweizerischer Kompromiss, «der allen Generationen gerecht wird». Und Gerhard Pfister verwies darauf, dass vor einer Abstimmung über Behördenvorlagen oft die Ja-Seite zulegt.
Dieses Argument aber fällt definitiv in die Kategorie Durchhalteparole.
Es muss aufgezeigt werden mit welchen Mitteln jeder einbehalte Betrag auch wirklich gut umgesetzt und rentabel gestaltet wird, rentabel für die die einzahlen und nicht für die die verwalten.
Damit würde man schon erreichen, dass das Eingezahlte auch mal etwas mehr einbringt.