In nicht allzu ferner Zukunft wird man vielleicht von einer Zeitenwende sprechen. Denkwürdig aber war diese Abstimmung garantiert. Zwar brachte das Ständemehr die Konzernverantwortungsinitiative zu Fall. Dem unermüdlichen Einsatz der Initianten aber zollte selbst die von ihnen heftig attackierte Bundesrätin Karin Keller-Sutter Respekt.
Die Nichtregierungsorganisationen (NGO) sind zu einem potenten Machtfaktor in der Schweizer Politiklandschaft geworden. Einen Vorgeschmack gab es bereits bei der Abstimmung vom 27. September, als es den Umwelt- und Naturschutzorganisationen mit einer aufwändigen und teuren Kampagne gelungen war, das Jagdgesetz zu bodigen.
Der Chefredaktor des «Sonntagsblick» hatte sich im Vorfeld gewundert, dass die Gegner «ungewöhnlich viel Geld» einsetzten. Er scheint nicht gemerkt zu haben, dass die NGOs keine Kupfer-Wolle-Bast-Vereine sind, sondern sich dank Professionalisierung und spendierfreudigen Mitgliedern in kampfstarke Organisationen verwandelt haben.
Bei der KVI haben sie ihre politische Power auf ein neues, nie gesehenes Level gehoben. Die hoch professionelle Kampagne der Initianten unter der orangen Flagge wurde über Jahre hinweg aufgebaut. Im Abstimmungskampf wurde sie fast bis zur Perfektion entwickelt, obwohl man den Eindruck nicht loswurde, dass mehr drin gelegen hätte.
Das penetrante Emotionalisieren, Moralisieren und Skandalisieren mit teilweise fragwürdigen Mitteln dürfte der Initiative potenzielle Ja-Stimmen im bürgerlichen Lager gekostet haben, mit denen das Ständemehr zu knacken gewesen wäre. Das irritiert umso mehr, als die Initianten stets auf ihre breite Abstützung inklusive Landeskirchen verwiesen hatten.
Wenn die NGOs daraus die richtigen Lehren ziehen, dürften sie noch gefährlicher werden. Die Bürgerlichen sind sich dessen bewusst. Früher wurden «linke» Volksinitiativen meist blanko zur Abstimmung gebracht in der Erwartung, dass sie ohnehin abgelehnt werden. Heute ist zumindest bei ökologischen Themen ein Gegenvorschlag fast zwingend.
Dazu trägt auch der Vertrauensverlust in die Wirtschaft bei, was weniger die KMU betrifft als die Grosskonzerne. Sie werden kaum noch von bodenständigen Unternehmern geführt, sondern von einer abgehobenen Manager-Gilde oft ausländischer Herkunft, die durch Lohn- und andere Exzesse (Stichwort Finanzkrise) in Misskredit geraten ist.
Die nächste Gelegenheit zur Profilierung für die NGOs kommt schon bald. Zum Beispiel bei den beiden Referendumsabstimmungen am 7. März 2021, bei denen das Ständemehr keine Rolle spielen wird:
E-ID: Bundesrat und Parlament wollen, dass die elektronische «Identitätskarte» von privaten Firmen gemäss den Vorgaben des Staates ausgestellt wird. Eine Allianz aus Netzaktivisten und linksgrünen Gruppierungen lehnt dieses Gesetz ab. Sie fordert eine rein staatliche Lösung. Im Abstimmungskampf wird sie es erneut mit Karin Keller-Sutter zu tun bekommen.
Freihandel mit Indonesien: Ein Bündnis, das Klimastreik, Menschenrechtler und Bauern umfasst, bekämpft den Vertrag mit dem Slogan «Stop Palmöl». Die Kampagne läuft bereits, sie hat optisch grosse Ähnlichkeit mit der Konzerninitiative, inklusive oranger Farbe.
Eine Reihe weiterer Volksinitiativen mit hohem Zustimmungspotenzial ist ebenfalls in der Pipeline. So ringt das Parlament derzeit um einen Gegenvorschlag zur Pestizid- und zur Trinkwasserinitiative. In der Wintersession ist der Nationalrat am Zug. Ähnlich schwierig ist die Arbeit an einem Gegenentwurf zur Transparenzinitiative, die bald abstimmungsreif ist.
Der Bundesrat selbst hat Gegenvorschläge zur Massentierhaltungsinitiative, zur Gletscherinitiative und zur Korrekturinitiative ins Spiel gebracht. Letztere ist eine Art Fortsetzung der Kriegsgeschäfte-Initiative, die am Sonntag 42,8 Prozent Ja erreichte – ein respektables Ergebnis für eine Vorlage der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).
Und das ist nicht das Ende der Fahnenstange: Im Oktober wurden Landschaftsinitiative und Biodiversitätsinitiative eingereicht, zwei weitere Vorlagen mit Ja-Potenzial (siehe Jagdgesetz oder Zweitwohnungsinitiative). Auf die Bürgerlichen und die Wirtschaftsverbände wird somit einiges zukommen.
Die Reaktionen sind unterschiedlich: Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser will gemeinnützigen Organisationen die Steuerbefreiung entziehen, wenn sie politisch tätig sind. Sein Vorstoss wird nächste Woche im Ständerat beraten. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse hingegen setzt laut NZZ auf langfristige, breit angelegte Allianzen nach dem NGO-Vorbild.
In der Europapolitik ist das mit «stark und vernetzt» schon recht erfolgreich gelungen. Einfach wird die Aufgabe aber nicht, denn während die NGOs meist geeint agieren, sind die Wirtschaftsverbände häufig zerstritten. Vor allem aber fehlt ihnen ein Faktor, über den Umweltschützer und Menschenrechtler im Übermass verfügen: Idealismus.