Zu Beginn sah alles noch noch nach Friede, Freude, Eierkuchen aus. Moderator Sandro Brotz rollte bedeutungsschwanger mit einem Vintage-Kinderwagen ins Studio und Bundesrat Alain Berset grinste und lachte im Prüfstand, als sei er froh, mal nicht über Infektionszahlen und Hospitalisierungsraten diskutieren zu müssen.
Doch das Lachen sollte dem Bundesrat noch vergehen.
Im Einzelgespräch mit Sandro Brotz erklärte Berset aber erst einmal, wieso zwei Wochen Vaterschaftsurlaub kein Witz und auch nicht «schmürzelig» seien. Obwohl zu bezweifeln ist, dass der Romand Alain Berset den Helvetismus verstanden hat, erklärte er überzeugend, wieso die Schweiz zwei Wochen Vaterschaftsurlaub braucht. Dies, obwohl Berset die Vorlage à contrecœur verteidigte. Noch im vergangenen Jahr argumentierte der Bundesrat gegen einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub.
«Die Geburt eines Kindes ist für jede Familie eine kleine Revolution», sagte Berset, der selbst schon drei kleine Revolutionen erlebt hat. Er habe bei den Geburten seiner Kinder ein paar Tage freigenommen, hauptsächlich mittels kompensierten Überstunden. Dass Angestellte von grosszügigen Unternehmen einen Vaterschaftsurlaub gewährt bekommen und der Rest oftmals in die Röhre schaut, sei nicht fair.
Auch die Unterstellung, der Vaterschaftsurlaub könnte viel mehr kosten als die propagierten 230 Millionen im Jahr, konterte Berset souverän. «Es ist eine sehr einfache Rechnung», belehrte der Bundesrat Sandro Brotz, «wenn man alles multipliziert und mit den Maximalbeträgen rechnet, dann kommt man auf 230 Millionen.»
Der heftigsten Gegenwind zu Bersets Votum kam an diesem Abend von SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Diana Gutjahr. Kämpferisch trug sie Sandro Brotz gleich zu Beginn die vier Gegenargumente vor, die das Contra-Lager an diesem Abend mantraartig wiederholen wird, ohne sich je wirklich auf eine Diskussion einzulassen. Diese wären:
Im Prüfstand zementierte sie ihre Meinung. Kindererziehung sei nicht nur die Sache der Mutter, trotzdem solle sich der Staat nicht in Familienangelegenheiten einmischen. Mehr Eigenverantwortung, weniger Gesetze. «Was soll an einem staatlich verordneten Vaterschaftsurlaub modern sein?», konterte sie die Aussage Brotz', wonach die welsche SVP fortschrittlicher sei als die SVP Schweiz.
Auch der ehemalige FDP-Nationalrat und Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes Hans-Ulrich Bigler blies ins selbe Horn. Die Gegnerschaft, bestehend aus FDP- und vor allem SVP-Vertretern, gab sich an diesem Abend als gutmütiger Samariter. Bigler, der nach eigenen Angaben begeistert mit seinen Kindern im Sandkasten sass und «Legotürme bis an die Zimmerdecke» baute, forderte, anstatt den frischgebackenen Vätern zwei Wochen Urlaub zu gewähren, solle man doch das Netz an Kindertagesstätten ausbauen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.
Ob diesen Worten verging dem SP-Bundesrat Berset das erste Mal das Lachen. Er warf Bigler vor, im Nationalrat gegen all die von ihm geforderten Alternativmassnahmen gestimmt zu haben. Auch liess er das Argument nicht gelten, wonach zuerst die verschuldeten Sozialwerke saniert werden müssten. «Weil das Parlament es nicht schafft, mehrheitsfähige Lösungen zu finden, muss die Bevölkerung nun den Preis bezahlen?», fragte Berset.
Unterstützung bekam der Bundesrat an diesem Abend von der CVP-Ständerätin Andrea Gmür, die zwar scharf austeilte, aber eine richtige Diskussion vermochte auch sie nicht ins Rollen zu bringen. So erklärte sie, dass der Vaterschaftsurlaub absolut bezahlbar wäre, «es würde die meisten eine halbe Tasse Kaffee im Monat kosten». Weiter monierte sie, dass wenn man die AHV-Reform angenommen hätte, dann müsste man erst gar nicht über die Sozialwerke diskutieren.
Adrian Wüthrich, Präsident der Gewerkschaft Travail Suisse, unterstütze Gmür und Berset in ihrem Kampf gegen die schützende Argumentenwand der Gegenseite, setzte selber aber keine grossen Akzente. Auch er versuchte vergeblich, die Contra-Seite mit dem Kaffeetassenvergleich mundtot zu machen oder darzulegen, dass es gleich lange Spiesse für alle bräuchte.
Es schien, als ob sich die beiden Lager die immergleichen Argumente an den Kopf warfen, ohne zu bemerken, dass die Gegenseite auch mit Argumenten warf.
Dann kam der Auftritt von Susanne Brunner. Die Zürcher SVP-Gemeinderätin sass im Publikum und fungierte als Argumente-Potenzierer von Gutjahr. Auch sie beklagte, dass sich die Schweiz dank Corona in einer noch nie gesehenen Wirtschaftskrise befände und sich einen Vaterschaftsurlaub nicht leisten könne. Viel mehr noch: Der Vaterschaftsurlaub sei ein «Tabubruch und ein Sündenfall», der die sterbenden Sozialwerke endgültig vor die Hunde gehen lassen würde.
An diesem Punkt schien die anfänglich gute Laune von Alain Berset vorbei. Er wähnte sich ob all den sozialen Reformvorschlägen im falschen Film: «Ich habe noch nie so viel Unterstützung für eine rasche Reform der Altersvorsorge und eine Dämpfung der Gesundheitskosten erhalten.» Brunner sei mit ihrer Argumentation bei Berset «an der falschen Adresse». Seit acht Jahren engagiere er sich für diese Anliegen und werde dabei stets ausgebremst. All diese Argumente hätten jedoch nichts mit dem Vaterschaftsurlaub zu tun. Weder Corona noch die AHV.
Diese Aussage von Berset schaffte es dann endgültig, eine Lawine der Entrüstung loszutreten. Daniel Borner, Direktor von Gastro Suisse und vierter im Bunde des Contra-Lagers, griff den Bundesrat frontal an: «Herr Bundesrat Berset, bei allem Respekt, ich habe es als Affront empfunden, wenn sie sagen, das alles hat nichts mit der Coronakrise oder anderen Ausgaben der Sozialleistungen zu tun.» Im Gastgewerbe seien in den letzten Monaten 33'000 Stellen verschwunden, «fragen Sie diese Personen mal, ob sie lieber einen Vaterschaftsurlaub oder eine Arbeit wollen.»
Berset liess das nicht auf sich sitzen und erinnerte Borner daran, dass der Bundesrat – schneller als man das vielleicht wollte – dem Gastrogewerbe wieder grünes Licht für eine Wiedereröffnung gab. Das alles hätte aber nichts mit dem Vaterschaftsurlaub zu tun. Und so mahnte er: «Wenn man die Dossiers vermischt, dann muss man aufpassen.»
Die Stimme der Vernunft war an diesem Abend Katja Schönenberger von der Stiftung Pro Juventute. Als Einzige lenkte sie das Gespräch auf die Mütter und die Kinder. «Vaterschaftsurlaub ist doppelt falsch gesagt. Es geht nicht um die Väter und es geht nicht um Urlaub. Es geht um die Kleinsten.» Bei Beratungsgesprächen stelle sie oft fest, dass Mütter nach der Geburt enorm belastet seien. Die Mütter bräuchten in dieser Zeit eigentlich selbst Fürsorge. «Und genau in diesem Moment sollen sie alleine verantwortlich sein für einen Säugling?»
Ist einfach grossartig! 👍
Nachdem frau gutjahr brav und offensichtlich entlarvend den 4-punkteplan aus herrliberg rezitiert hat, steht sie für die unternehmen ein, die sich den vaterschaftsurlaub leisten könn(t)en und einmal mehr NICHT für die kleinen KMU und die jungen familien. Aber sich volkspartei nennen, ja klar.
2 Wochen sind ein Anfang!