Es war mehr als nur ein nobler Gedanke, den Indien und Südafrika im Oktober hatten. Die beiden Länder reichten bei der Welthandelsorganisation WTO einen Vorstoss ein, der zum Ziel hatte, die Patente für Corona-Impfstoffe auszuhebeln.
Der Gedanke dahinter ist simpel: Löst man die Patente von Pfizer, Moderna und Konsorten auf, so könnten Länder wie Brasilien oder Indien selbstständig Impfstoffe herstellen und müssen nicht erst Lizenzverträge mit den Pharmafirmen eingehen. Konkret heisst das: mehr Impfstoff in kürzerer Zeit.
Befürworter dieser Strategie argumentieren, dass davon nicht nur ärmere Länder profitieren würden, die bislang nur Krümel im globalen Impfdosen-Wettrüsten abbekommen haben, sondern alle. Denn auch in der Schweiz rührt die schleppende Impfkampagne vor allem daher, dass einfach nicht genügend Dosen ins Land kommen.
Gegner des Plans, bestehend aus Ländern mit Pharmaindustrie, führen jedoch ins Feld, dass bereits alles mögliche getan werde, um die Produktion anzukurbeln. Eine Aussetzung des Patentschutzes würde einzig zu Renditeeinbussen für die Pharmakonzerne führen. Und so haben die Mitglieder der WTO diese Woche bereits zum achten Mal erfolglos verhandelt. Man einigte sich lediglich darauf, die Lage Mitte April erneut zu betrachten.
Was für Auswirkungen haben Patente also wirklich auf den Verlauf der Pandemie? Sind sie für die globale Impfstoffknappheit verantwortlich? Und gäbe es bessere Lösungen? Eine Analyse.
Um die Diskussion über Patente besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück: Bis nach dem zweiten Weltkrieg wurde medizinische Forschung in erster Linie von Regierungen finanziert, nicht von Pharmafirmen. Diese begnügten sich hauptsächlich auf die Herstellung und den Verkauf von Medikamenten. Auch heute noch wird ein beträchtlicher Teil der Forschung von Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen verrichtet, welche jährlich mit vielen Millionen subventioniert werden. Dabei wird Wissen generiert, das praktisch allen Neuschöpfungen inhärent ist.
Auch Pharmafirmen profitieren von der Grundlagenforschung. Mittlerweile geben aber auch Novartis, Pfizer und Co. jährlich Milliarden für Forschung aus. Dabei verfolgen sie jedoch keine altruistischen Ziele, sondern als gewinnorientierte Unternehmen eine möglichst hohe Rendite. Das heisst: Es wird da geforscht, wo man sich möglichst grosse Gewinnchancen erhofft.
Hat ein Unternehmen ein neues Medikament entwickelt, so kann es ein Patent dafür anmelden. Quasi ein staatlich garantiertes Monopol zum Schutz des geistigen Eigentums. Das hat mitunter zur Folge, dass Unternehmen astronomische Preise für ihre Medikamente verlangen können.
So auch geschehen bei den Covid-19-Impfstoffen. Moderna, eine der ersten und erfolgreichsten Hersteller eines Covid-19-Impfstoffes, gewann 2020 den «Shkreli Award». Dieser wird jedes Jahr vom «Lown Institute», einem medizinischen Think Tank, für «ungeheuerliche Beispiele von Profitmacherei» im Gesundheitswesen vergeben. Grund für die zweifelhafte Ehre: Obwohl Moderna über zwei Milliarden Dollar an Subventionen für die Entwicklung des Covid-19-Impfstoffes bekam, setzte es den Preis fast doppelt so hoch an wie das zweitteuerste Unternehmen, Pfizer.
Patentgetriebenen Forschung sorgt jedoch nicht nur für hohe Preise. Man könnte auch zum Schluss kommen, dass es die Forschung als Ganzes hemmt. Denn die Aussicht auf den nächsten grossen Wurf kann Unternehmen dazu verleiten, ihre Erkenntnisse voreinander und vor der breiteren wissenschaftlichen Gemeinschaft geheimzuhalten.
Kritiker werden dem entgegensetzen, dass die ultraschnelle Entwicklung der ersten Impfstoffe durch grosse Pharmafirmen ein Paradebeispiel dafür sei, wie der freie Markt Anreize für lebenswichtige Innovationen schaffen kann. Dieses Argument steht jedoch auf wackligen Beinen, wenn man bedenkt, dass die Pharmabranche gleich dreifach von staatlicher Unterstützung profitiert.
Die Risiken werden also verstaatlicht, der Gewinn bleibt jedoch privat. Kleinere Unternehmen wie Biontech oder aber Universitäten wie Oxford müssen sich also mit grossen Unternehmen zusammentun, weil es gemeinhin heisst, dass nur die Big Player das Risiko schultern könnten. Im Endeffekt wälzen die Big Player die Risiken aber auf den Staat ab.
Dies funktioniert in Pandemiezeiten, wo Staaten keine Kost scheuen, um an einen Impfstoff zu kommen. Ewige Lockdowns sind unbestritten teurer als es Subventionen je sein könnten. Doch es hätte bereits der Ausbruch von Covid-19 verhindert werden können, wenn man denn nur gewollt hätte. In einem Interview mit der «New York Times» sagte der Professor Vincent Racaniello von der Abteilung für Mikrobiologie und Immunologie der Columbia University: «Der einzige Grund, warum wir es nicht getan haben, ist der, dass es nicht genug finanzielle Unterstützung gab.» Es muss also erst ein finanzieller Anreiz vorhanden sein, bevor sich etwas bewegt.
Der finanzielle Anreiz ist nun da, es winken Milliardenumsätze mit den Impfstoffen. Und man kann den Pharmaunternehmen beim besten Willen nicht vorwerfen, langsam vorzugehen. Es werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Produktionskapazitäten hochzufahren.
Zumindest fast alle. Denn das Heft gänzlich aus der Hand geben wollen die Pharmaunternehmen nicht. Für die Produktion werden Partner gesucht und Lizenzen vergeben, so bleibt der Profit im Hause.
Für Indien, Südafrika und über 100 weiteren Unterstützern des Vorstosses zur vorübergehenden Patentaufhebung nicht genug. Es soll allen Herstellern ermöglicht werden, Impfstoffe zu produzieren um der globalen Knappheit entgegenzuwirken. Eine breitere Produktion würde auch den Exportkontrollen, wie sie die EU verhängt hat, die Grundlage entziehen. Das Gerangel um noch mehr Impfdosen würde gelindert, die Preise nicht weiter in die Höhe getrieben.
Das würde auch Staaten wie der Schweiz oder Deutschland zugute kommen, die ebenfalls unter dem Dosenmangel leiden. Die Industrienationen blockieren den Vorstoss jedoch. WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala kritisierte das scharf: «Tatsache ist, dass jeder weitere Tag mit Impfstoffengpässen bedeutet: Menschen sterben.»
Bis zum nächsten Treffen der WTO im April vergeht wieder wertvolle Zeit. Der quälende Mangel an Impfstoff hält an. Multilaterale und kollaborative Forschung werden weiter behindert, kleinere Unternehmen, wie dieses finnische Team, das bereits im Mai 2020 einen Impfstoff in Form eines Nasensprays entwickelt hatte, haben keine Chance, ihr Produkt zur Marktreife zu bringen.
Eine temporäre Aussetzung des Patentschutzes wird diese Probleme nicht auf einen Schlag lösen können. Aber sie könnte zur beschleunigten Produktentwicklung beitragen und auch ärmeren Regierungen einen gewissen Handlungsspielraum in der Impfstoffakquisition verschaffen. Solche Ausnahmeregelungen sind sogar explizit in den WTO-Regeln vorgesehen. Mit ihrer ablehnenden Haltung schneiden sich die Schweiz und andere reiche Länder nur ins eigene Fleisch – denn die Pandemie ist erst vorbei, wenn sich das Virus auf der ganzen Welt nicht mehr ausbreiten kann.
Wenn sich Krebsmedikamente um den Faktor 1000 verteuern könne ohne Grund und nur der Bereicherung wegen, gleichzeitig Patienten nur gegen vorweisen der Cashcard behandelt werden bzw. Ohne abgewiesen, dann läuft es aus dem Ruder.
Wenn schon müsste die WHO die Hersteller angemessen (unterstrichen) entschädigen.