Um die Vorgaben des Pariser Abkommens zu erreichen, strebt der Bundesrat eine klimaneutrale Schweiz bis 2050 an. Das Stimmvolk hat dieses Ziel am letzten Sonntag mit dem Ja zum Klimaschutz-Gesetz bestätigt. Damit ist die Schweiz das weltweit erste Land, in dem das Netto-Null-Ziel direktdemokratisch legitimiert ist. Soweit die gute Nachricht.
Denn das Gesetz ist nur der Anfang. In dieser Hinsicht liegen die Klimakleber richtig, auch wenn ihre Methoden und die Fixierung auf Gebäude-Renovationen fragwürdig sind. Beim CO2-Ausstoss ist die Schweiz kein Vorbild, vor allem wenn die im Ausland verursachten Emissionen berücksichtigt werden. Bis zum Ziel 2050 gibt es noch sehr viel zu tun.
Das zeigt der aktuelle Climate Change Performance Index (CCPI). Er misst die Klimapolitik der 63 Länder, die am stärksten für den Klimawandel verantwortlich sind. Demnach hat die Schweiz bislang erst knapp 60 Prozent der Massnahmen ergriffen, die für das Pariser 1,5-Grad-Ziel nötig sind. Sie liegt damit hinter Ländern wie Marokko, Indien und den Philippinen.
Diese Rangliste zeigt, wie falsch die SVP und ihre Mitstreiter mit der Behauptung liegen, die Schweiz tue schon viel und überhaupt seien zuerst die Anderen an der Reihe. Immerhin ist die Politik nicht untätig geblieben. Neben dem Klimaschutz-Gesetz sind weitere Projekte in der Pipeline, aber auch sonst sind weitere Anstrengungen notwendig.
Die Schweizer Stromproduktion erfolgt dank Wasser- und Kernkraft schon heute fast CO2-frei, doch der grösste Teil des Energiebedarfs wird durch Erdöl und Erdgas gedeckt. Die Schweiz schickt dafür jährlich rund sieben Milliarden Franken ins Ausland. Davon möchte man wegkommen und stattdessen die Elektrifizierung weiter vorantreiben.
Das bedingt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, doch in diesem Bereich gehört die Schweiz nicht zu den Musterschülern. Das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, kurz Mantelerlass genannt, soll das ändern, doch im Parlament gibt es grosse Differenzen zwischen National- und Ständerat.
Immerhin will der Bundesrat die Bewilligungsverfahren für Solar-, Wind- und Wasserkraft beschleunigen, durch eine Einschränkung der Einsprachemöglichkeiten. Heute können Projekte um bis zu 20 Jahre verzögert werden. Allerdings melden die Gemeinden Bedenken an, denn die Bewilligungsverfahren sollen künftig bei den Kantonen konzentriert werden.
Ein «Spezialfall» sind die Atomkraftwerke. Bürgerliche Politiker und Wirtschaftskreise fordern den Bau neuer Anlagen. Man kann das nachvollziehen. Ein AKW erzeugt auf geringer Fläche sehr viel und dauerhaft Strom, wenn es nicht gerade abgeschaltet ist. Und die Produktion erfolgt tatsächlich weitgehend ohne Ausstoss von Treibhausgasen.
Realistisch ist der Bau neuer Reaktoren aber kaum, nicht nur wegen des ungelösten Abfallproblems. Die Stromkonzerne zeigen kein Interesse, wegen der Kosten und der absehbaren Widerstände. Eine kürzlich publizierte ETH-Studie geht davon aus, dass vor 2050 – dem Jahr des Klimaziels – kein neues AKW in der Schweiz stehen wird.
Die Produktion ist nur die eine Seite des Problems. Die andere ist der Verbrauch. Hier setzt die Neuauflage des vor zwei Jahren abgelehnten CO2-Gesetzes an. Sie operiert nicht mehr mit Verboten und «Steuern», sondern mit Anreizen. Anstelle einer Flugticket-Abgabe sollen die Airlines dazu motiviert werden, dem Kerosin erneuerbare Flugtreibstoffe beizumischen.
Ob das reicht, ist zumindest zweifelhaft. Liberale Kreise propagieren den Emissionshandel und Lenkungsabgaben. Tatsächlich könnten sie viel bewirken, und in Umfragen werden sie häufig befürwortet. Doch wenn es darauf ankommt, dominieren die Bedenken wegen der unmittelbaren Kosten, selbst wenn die Abgabe vollständig zurückgezahlt werden soll.
Statt Produkte wegzuwerfen und zu verbrennen, sollen die darin enthaltenen Rohstoffe wiederverwendet werden. Das Prinzip nennt sich Kreislaufwirtschaft. «Ohne sie wird die Klimawende nicht gelingen», sagte Judith Bellaiche, Zürcher GLP-Nationalrätin und Geschäftsführerin des IT-Verbands Swico, am Dienstag an einer Medienkonferenz.
Sie stellte eine neue Video-Kampagne vor, mit der die Bevölkerung aufgefordert wird, ihren Elektroschrott zu recyceln. Dabei finden in der Schweiz schon 95 Prozent aller Geräte laut Bellaiche den Weg zurück ins Recycling. So können rund drei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden: «Das entspricht dem gesamten Güterverkehr in der Schweiz.»
Allerdings liegen nach Swico-Schätzungen rund zehn Millionen Handys in den Schubladen, darunter «uralte» Nokias. Judith Bellaiche sprach das Problem selber an: «Die Schweizer Konsumenten sind sehr kaufkräftig und wollen immer das neuste Gerät.» Anders als im Ausland gebe es hierzulande keine Nachfrage nach gebrauchten Geräten.
Das Konsumverhalten ist ein zentrales Problem beim Klimaschutz. Das betrifft nicht nur elektronische Geräte, sondern etwa auch die Bekleidung und dabei keineswegs nur die berüchtigte Fast Fashion. Die Modeindustrie ist für rund fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr als der Luft- oder der Schiffsverkehr.
Ein grosser Teil der Kleider und Schuhe wird kaum oder gar nicht getragen und landet auf Deponien wie in der Atacama-Wüste in Chile. Ein bewussterer Konsum würde viel bewirken. Das betrifft auch Smartphones, bei denen die Entwicklung seit Jahren keine grossen Sprünge mehr macht. Die Kreislaufwirtschaft ist in gewisser Weise blosse Symptombekämpfung.
Wie soll eine Wirtschaft funktionieren, die wachsen soll und gleichzeitig kein CO2 verbrauchen. Wir bauen die Autobahn aus, braucht CO2, es werden mehr Autos darauf fahren, braucht CO2, wir wollen weiter Fleisch essen, braucht CO2, und so weiter.
Die Regierungen sollen ehrlich sein und die Wahrheit sagen.