Sie konnten es natürlich nicht lassen. Kaum war das Ja des Schweizer Stimmvolks zum Klimaschutz-Gesetz eingetütet, klebten sich die Aktivisten von Renovate Switzerland wieder auf die Strasse. Sie blockierten am Montagmorgen zwei Autobahnausfahrten in Zürich. Während des Abstimmungskampfs hatten sie sich wohlweislich zurückgehalten.
Das Ja zum Klimaschutz sei «ein wichtiger Meilenstein für die Schweizer Klimapolitik», anerkennt Renovate Switzerland in einer Mitteilung. Das ist ein Fortschritt, denn bislang hatte sich die Gruppierung auf die kaum haltbare Behauptung versteift, die Politik tue nichts gegen die Klimakrise. Spätestens seit dem Abstimmungssonntag ist sie widerlegt.
Das anerkannte auch der zuständige Bundesrat Albert Rösti (SVP), obwohl er das Resultat im Ueli-Maurer-Stil («kä luscht») kommentierte. Das aber war wohl seiner Parteizugehörigkeit geschuldet. Innerlich dürfte sich Rösti durchaus über den Ausgang der Abstimmung gefreut haben. Sie nimmt beim Klima erst einmal den grössten Druck von seinen Schultern.
Dabei ist klar, dass die Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes nur ein erster Schritt sein kann. Die wirklich harten Brocken auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 folgen noch. Die gute Nachricht ist, dass sich einiges tut. Mehrere Gesetze sind in Arbeit oder wurden schon verabschiedet. Für zusätzlichen Druck sorgen zudem diverse Volksinitiativen.
Der sogenannte Mantelerlass, in dem zwei ursprüngliche Vorlagen – Energie- und Stromversorgungsgesetz – zusammengefasst wurden, befindet sich im Parlament auf der Zielgeraden. Eine Verabschiedung im Herbst und damit noch in der laufenden Legislatur wird angestrebt. Allerdings gibt es grosse Differenzen zwischen National- und Ständerat.
Sie betreffen vor allem Eingriffe in den Naturschutz und eine Solarpflicht für Neubauten. Die Chance, dass am Ende ein mehrheitsfähiger Kompromiss resultiert, sind dennoch intakt. Er wäre auch nötig. «Die Schweiz hat den Solarzug verpasst, wir müssen ihn nun nochmals aufgleisen», sagte der Walliser Staatsrat Roberto Schmidt (Mitte) im Tamedia-Interview.
Offen ist ein mögliches Referendum. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi warnte in der «Sonntagszeitung» davor, doch das ist vor allem eine Drohgebärde an das Parlament. Die SVP wird sich nach der Schlappe vom Sonntag gut überlegen, ob sie ausgerechnet eine Vorlage bekämpfen will, die einen massiven Ausbau der Stromproduktion zum Ziel hat.
Grosse Energieprojekte werden häufig durch Einsprachen blockiert. Albert Röstis Vorgängerin Simonetta Sommaruga hat eine Gesetzesrevision aufgegleist, die eine Beschleunigung der Verfahren anstrebt. In der Vernehmlassung stiess sie auf Widerstand von Kantonen und Gemeinden. Das Parlament wurde deshalb von sich aus aktiv.
Es hat im letzten Herbst den «Solarexpress» verabschiedet, der den Bau alpiner Anlagen zur Produktion von Winterstrom voranbringen will. In der Eile gingen jedoch wichtige Aspekte unter, vor allem die Erschliessung. Das Prestigeprojekt im Oberwalliser Saflischtal wurde deshalb stark verkleinert. Potenzial gibt es in Skigebieten und an Staumauern.
Als weiteren Schritt hat das Parlament letzte Woche in der Sommersession den «Windexpress» beschlossen. Er will den Bau von bis zu 150 Windturbinen ermöglichen. Der Widerstand dagegen ist besonders stark, deshalb ist ein Referendum wahrscheinlich, auch wenn die SVP darauf verzichten will. Eine Abstimmung fände wohl im März 2024 statt.
Das Scheitern des CO2-Gesetzes war vor zwei Jahren eine bittere – und vermeidbare – Niederlage für Simonetta Sommaruga. In der Folge musste das bestehende Gesetz kurzfristig verlängert werden, um die bisherige CO2-Abgabe weiterführen zu können. Eine Neuauflage des Gesetzes stellte Sommaruga im letzten Herbst vor.
Ziel ist eine Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990. Dabei wird nicht mehr auf Abgaben und Verbote gesetzt, sondern wie beim Klimagesetz auf Anreize. Dazu gehören etwa erneuerbare Flugtreibstoffe und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Das neue CO2-Gesetz wird in der Herbstsession im Ständerat behandelt.
Die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» strebt eine Aufhebung des Bauverbots für Atomkraftwerke an, ohne sie explizit zu erwähnen. Obwohl selbst die Strombranche neue AKWs in absehbarer Zeit für unrealistisch hält, erfreuen sie sich bei Bürgerlichen und Wirtschaft einiger Beliebtheit, denn sie liefern beständig «sauberen» Strom.
Allerdings hält sich die Begeisterung auch in der Bevölkerung in Grenzen, wie zuletzt die Tamedia-Nachbefragung zur Abstimmung vom Sonntag zeigte. Das Komitee wollte die Initiative eigentlich in deren Vorfeld einreichen, doch dieses Ziel wurde trotz bezahlten Unterschriftensammlern verfehlt. So schnell wird wohl nichts aus neuen AKWs.
Eine ähnliche Stossrichtung hat die im Februar lancierte Volksinitiative «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!». Sie ist eine Art Mix aus dem Mantelerlass und den Express-Gesetzen und will den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Dabei setzt sie auf Wasserkraft und vor allem auf die – ökologisch umstrittenen – Kleinkraftwerke.
Ursprünglich planten SP und Grüne je eine eigene Volksinitiative für einen Klimafonds. Diese «Kannibalisierung» wurde gestoppt und eine gemeinsame Initiative lanciert. Sie verlangt vom Bund einen Investitionsfonds für Klimaprojekte, der bis 2050 mit jährlich 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefüllt wird, und soll vor den Wahlen eingereicht werden.
Bereits eingereicht wurde die Volksinitiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen (Umweltverantwortungsinitiative)» der Jungen Grünen. Sie lehnt sich an die Konzernverantwortungs-Initiative an, die 2021 einzig am Ständemehr gescheitert war, und fordert, dass der Umweltschutz in der Verfassung an erster Stelle steht.
Weitere Volksinitiativen sind angedacht. So erwägen die Grünen eine Solar-Initiative, falls der Mantelerlass ohne Solarpflicht verabschiedet wird. Die SP arbeitet an einer Initiative für einen nachhaltigen Finanzplatz. Und im Parlament sind Vorstösse zum Klimaschutz hängig. Das alles zeigt, dass die Abstimmung vom Sonntag nur der Anfang war.