Letzte Woche blieb die SVP auffällig ruhig. Sie verschickte im Gegensatz zu den anderen grossen Parteien keine Mitteilung zum vorsichtigen Öffnungsplan des Bundesrats. Die demonstrative Solidarisierung ihrer Bundesräte Guy Parmelin und Ueli Maurer mit dem angeschossenen SP-Kollegen Alain Berset hatte sie wohl auf dem falschen Fuss erwischt.
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Berset ist das «Gesicht» der Landesregierung in der Pandemie-Bekämpfung und damit zur Hassfigur der SVP geworden. Leitwolf Christoph Blocher und Tochter Magdalena beschimpften ihn als Diktator. Parteipräsident Marco Chiesa legte im Tamedia-Interview vom Mittwoch nach: Berset müsse am Ende «die Verantwortung für die Corona-Politik tragen».
Gestern war die SVP sehr schnell, ihr Communiqué landete bereits eine Viertelstunde nach Beginn der bundesrätlichen Medienkonferenz in den Mailboxen der Redaktionen. Wie erwartet ging sie mit dem Bundesrat hart ins Gericht, doch Alain Berset wurde auffallend geschont. Umso expliziter war die Attacke auf «die beiden mutlosen FDP-Bundesräte».
Dabei hatte die Volkspartei Ende letzter Woche den bürgerlichen Schulterschluss gesucht. In der Gesundheitskommission des Nationalrats brachte sie mit Unterstützung von FDP- und Mitte-Vertretern einen Vorstoss durch, der einen praktisch vollständigen Ausstieg aus dem Lockdown am 22. März im Covid-19-Gesetz festschreiben will.
In der nächste Woche beginnenden Frühjahrssession hätte der Vorstoss durchgebracht und der Bundesrat faktisch «übersteuert» werden sollen. Ob es dazu kommen wird, ist mehr als fraglich, und das nicht nur, weil das Coronavirus sich nicht an von Menschen diktierte Fahrplänen zu halten pflegt. Bereits am Wochenende ruderte die Mitte-Fraktion zurück.
«Wir wollen dem Bundesrat den Lead lassen, er soll abhängig von den Fallzahlen und der epidemiologischen Lage rasch entscheiden können», sagte ihre Chefin, die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür, der «NZZ am Sonntag». Zu einer Gesetzesänderung ging sie explizit auf Distanz. Ohne die Stimmen der Mitte aber ist der Vorstoss chancenlos.
Martullo findet ja die Pandemiepolitik der chinesischen Regierung besser als die des ‘diktatorischen’ Bundesrats. Vermutlich, weil die KP Chinas ihre Entscheide zuerst in breite Konsultation gibt und im Parlament debattieren lässt, bevor sie sie trifft. https://t.co/FF36axVMN5
— Gerhard Pfister (@gerhardpfister) February 23, 2021
Parteipräsident Gerhard Pfister knöpfte sich am Dienstag auf Twitter mit dem ihm eigenen Sinn für Ironie die China-begeisterte Magdalena Martullo-Blocher vor. Die Aargauer Nationalrätin Ruth Humbel, als Präsidentin der Gesundheitskommission eine Gegnerin des SVP-Vorstosses, kritisierte die Partei auf dem gleichen Kanal mit scharfen Worten.
Wer stoppt endlich diese populistischen, faktenresistenten SVP- Brandstifter? Der Bundesrat entscheidet als Gesamtbehörde. SVP und FDP haben da die Mehrheit. Zudem: SVP-Gesundheitsdirektoren haben schon schärfere Massnahmen verfügt als der Bundesrat. https://t.co/tZghd1GSVW
— Ruth Humbel (@RuthHumbel) February 23, 2021
Die ständerätliche Gesundheitskommission ging am Dienstag auf Distanz zu ihrem Pendant im Nationalrat. Sie sprach Bundesrat Alain Berset und seinem Bundesamt für Gesundheit in einer Mitteilung «ausdrücklich das Vertrauen in deren Arbeit aus». Damit ist klar, dass die SVP auch in der kleinen Kammer einen schweren Stand haben wird.
Viele Bürgerliche wären für eine schnellere Lockerung der Corona-Massnahmen zu haben. FDP-Präsidentin Petra Gössi kritisierte im watson-Interview die fehlende Strategie für einen Ausstieg aus dem Lockdown. Sie forderte den Bundesrat auf, seine Führungsrolle zu übernehmen: «Wir können nicht monatelang so weitermachen wie bis anhin.»
Ihre Partei äusserte in einer Mitteilung ihr Unverständnis darüber, dass es am 1. März keine weiteren Lockerungen geben wird. Von einer Gesetzesänderung aber war keine Rede. Die SVP scheint selber nicht mehr daran zu glauben. Sie will den Bundesrat mit einem Vorstoss zwingen, vor dem Erlass von Massnahmen «die Zustimmung der zuständigen parlamentarischen Kommissionen einzuholen».
Gemeint sind in erster Linie die Wirtschaftskommissionen. Das hilft der Wirtschaft in der aktuellen Situation wenig. Sie kann sich bei der «Wirtschaftspartei» SVP dafür bedanken, dass sie mit ihren schrillen Rundumschlägen selbst öffnungsfreundliche Bürgerliche brüskiert hat und zum Bremsklotz eines mutigeren Fahrplans geworden ist.
Denn auch der Bundesrat hat offensichtlich seine Reihen geschlossen. Das zeigte sich an der Medienkonferenz vom Mittwoch, als Bundespräsident Guy Parmelin zu einem für seine Verhältnisse leidenschaftlichen und offenkundig an die eigene Partei gerichteten Aufruf zur nationalen Einigkeit anhob: «Nur gemeinsam besiegen wir dieses Virus.»
Vielleicht wird man ihn einmal als Parmelins Sternstunde bezeichnen, in der der oft belächelte Waadtländer zu staatsmännischem Format gefunden hat. Der SVP wird dies niemals gelingen.