Regula Rytz gab sich unverdrossen. «Ich will Verantwortung übernehmen», sagte die Berner Nationalrätin am Dienstag nach dem Hearing bei den Grünliberalen. Innerlich aber dürfte sich die Präsidentin der Grünen Partei mit dem Unvermeidlichen abgefunden haben. Ihr Versuch, der FDP bei der Bundesratswahl am nächsten Mittwoch einen Sitz abzujagen, ist zum Scheitern verurteilt.
Der Höhenflug der Grünen nach ihrem unerwartet deutlichen Wahlerfolg am 20. Oktober zerschellt an den Realitäten knallharter Machtpolitik. Für die Erfüllung ihres Anspruchs brauchen sie Hilfe von mindestens einer der drei bürgerlichen Bundesratsparteien. Und die ist nicht in Sicht.
Allerdings haben sie sich das Leben seit dem denkwürdigen Wahlsonntag auch selber schwer gemacht. Der Auftritt von Regula Rytz in der Elefantenrunde der Parteipräsidenten war kein Vergleich mit jenem von Ueli Maurer 2003. Der damalige SVP-Präsident forderte kategorisch einen zweiten Bundesratssitz für Christoph Blocher. Andernfalls gehe seine Partei in die Opposition.
Die folgenden Wochen bis zur Abwahl von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler hielten die politische Schweiz in Atem. Eine ähnliche Spannung kam dieses Jahr nie auf, denn Regula Rytz und ihre Partei kommunizierten zögerlich und defensiv. Das Wahlergebnis, das alle Erwartungen und Umfragen übertroffen hatte, schien die Partei mehr zu hemmen als zu beflügeln.
Erst am 21. November, mehr als einen Monat nach den Wahlen, gab die Präsidentin ihre Kandidatur bekannt. Wobei sie «mildernde Umstände» geltend machen konnte. Regula Rytz musste den zweiten Durchgang der Berner Ständeratswahlen am 17. November abwarten. Im Erfolgsfall hätte sie den Wählerwillen respektiert und auf eine Bundesratskandidatur verzichtet.
Nach ihrer Niederlage ging sie in die Offensive und nahm explizit den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis ins Visier. Das kam vor allem im Tessin schlecht an. Prompt krebste die Fraktion der Grünen tags darauf halbwegs zurück. Der Angriff richte sich nicht gegen eine bestimmte Person, sondern «die Übervertretung der FDP», sagte Fraktionschef Balthasar Glättli.
«Selten hat eine Partei, die in den Bundesrat will, dies derart dilettantisch vorangetrieben wie die Grünen», lästerte Markus Somm, Autor und Kolumnist der «Sonntagszeitung». Freundlichere Stimmen attestierten den Grünen eine gewisse Überforderung. Letztlich aber hatten sie ihr Schicksal nicht selber in der Hand. Andere Faktoren entschieden über Erfolg oder Misserfolg.
Die Bundesrats-Formel von 1959 wird gerne mystifiziert. Tatsächlich hatte die Zusammensetzung aus 2 SP, 2 FDP, 2 CVP und 1 SVP mehr als 40 Jahre Bestand. Das lag in erster Linie daran, dass der Wähleranteil der Parteien in dieser Zeit bemerkenswert stabil blieb. Selbst als die SP in den 1980er Jahren durch interne Querelen geschwächt wurde, waren ihre beiden Sitze nie gefährdet.
Der Aufstieg der SVP änderte alles und führte zu den Abwahlen 2003 und 2007. Niemand kann behaupten, dass diese Hauruck-Übungen das System gestärkt haben. Christoph Blocher sorgte im Bundesrat permanent für Unruhe, und nachdem Eveline Widmer-Schlumpf ihn verdrängt hatte, sass während fast acht Jahren eine Vertreterin einer Kleinpartei in der Landesregierung.
Diese Erfahrungen sprechen nicht dafür, den Grünen auf gleiche Weise zu einem Sitz zu verhelfen. Auch wenn es befremdlich wirkt, wenn die FDP ihre Zweiervertretung mit den Begriffen Stabilität und Kontinuität verteidigt. 2003 hatten die Freisinnigen keine Hemmungen, als Steigbügelhalter für den Angriff von Christoph Blocher auf einen der beiden CVP-Sitze zu dienen.
Es war stets klar, dass der Erfolg der Grünen über die CVP und die neue Mitte-Fraktion führen würde. Die CVP hat bei den Wahlen einmal mehr verloren (minus 2 Sitze im Nationalrat, minus 1 Sitz im Ständerat, minus 0,2 Prozent Wähleranteil). Aber ihre Verluste waren geringer als jene der drei anderen Bundesratsparteien, und sie bleibt die stärkste Kraft in der kleinen Kammer.
Erstmals seit Jahrzehnten hat eine Niederlage der CVP einen Beigeschmack von Sieg, denn ohne sie geht im Parlament rein gar nichts. Für Parteipräsident Gerhard Pfister muss die Genugtuung enorm sein. Fast vier Jahre lang musste er die ewig gleiche Journalistenfrage beantworten, wann der Turnaround endlich komme. Nun ist der Zuger die vielleicht mächtigste Figur im Bundeshaus.
Wer Pfister kennt, kann sich vorstellen, dass er die Grünen und vor allem die FDP liebend gerne bis zum letzten Moment hätte zappeln lassen. Er wäre bereit gewesen, Regula Rytz zu einem Hearing einzuladen, doch die eigene Fraktion fuhr ihm in die Parade. Vor allem CVP-Vertreter aus den «Stammlanden» fremdeln mit der Idee, einer stramm linken Nationalrätin die Stimme zu geben.
Nach der Abfuhr durch die CVP richteten sich die Hoffnungen der Grünen auf die SP. Doch von den Sozialdemokraten kamen bestenfalls lauwarme Signale. Am letzten Sonntag rang sich Noch-Präsident Christian Levrat in «Le Matin Dimanche» dazu durch, den grünen Anspruch auf ein Bundesratsmandat anzuerkennen, nur um die Verantwortung sogleich der CVP zuzuschieben.
Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Argumentation lässt die Aussage aufkommen, die Grünen würden im Falle einer Abfuhr «die stärkste Oppositionspartei sein, die es in der Schweiz jemals gegeben habe». Hat Levrat seine eigene Partei vergessen? Die SP wurde von den Bürgerlichen selbst dann noch vom Bundesrat ferngehalten, als sie längst die wählerstärkste Partei war.
In einem Punkt muss man dem Freiburger aber recht geben: Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Grünen ihren Status als ewige Liftpartei ablegen und sich dauerhaft als relevante politische Kraft etablieren können. Denn die Klimakrise verschwindet nicht, sie wird sich eher verschärfen. Die Frage einer Bundesratsbeteiligung dürfte deshalb an Dringlichkeit zulegen.
Damit stellt sich die Frage nach einer neuen Formel, vor allem wenn das Wahlverhalten erratischer und unberechenbarer wird. Gerhard Pfisters Idee, die Sitzverteilung im Bundesrat nach den Kräfteverhältnissen im Parlament vorzunehmen, geht in die richtige Richtung. Sie sind für die Regierbarkeit der Schweiz entscheidender als der Prozentanteil der Parteien.
Fragt sich nur, ob sich eine mehrheitsfähige Lösung finden lässt. Letztlich geht es immer um Macht. Keine Partei verzichtet gerne darauf. Selbst die Erweiterung des Bundesrats von sieben auf neun Sitze läuft auf eine Verwässerung der bisherigen Machtstrukturen hinaus. Die Gefahr besteht, dass neue Ansprüche auch in Zukunft im Hauruck-Verfahren erfüllt werden.
Hatten die Grünen jemals eine echte Chance? Etwa wenn sich Regula Rytz aus dem Berner Ständeratsrennen genommen und voll auf die Karte Bundesrat gesetzt hätte, wie Gerhard Pfister im Interview mit der «Republik» insinuiert? Oder wenn sie mit einer Persönlichkeit wie dem früheren Berner Regierungsrat Bernhard Pulver antreten würden, der auch für Bürgerliche wählbar ist?
Vielleicht. Aber nur vielleicht.
Ich mag ihr das von Herzen gönnen!