Der Bauernverband hat es wieder geschafft: Er hat eine Initiative gebodigt, die zum Ziel hatte, unsere Natur zu erhalten. Dieses Resultat ist wenig überraschend. Vorlagen, die in die gleiche Richtung wie die Biodiversitätsinitiative zielen, haben es schwer. Denn der Bauernverband unter seinem Präsidenten, Mitte-Nationalrat Markus Ritter, hat eine Erfolgsstrategie.
Zuerst ruft er aus: «Zu extrem!» Dann betont er, dass man in der Landwirtschaft durchaus für den Erhalt der Artenvielfalt/ Natur/ Landschaft/ was auch immer die Initianten fordern ist und auch bereit, Kompromisse einzugehen. Aber das, was die Initiantinnen und Initianten wollten, das sei «der falsche Weg». Komischerweise ist ein direkter oder indirekter Gegenvorschlag zu den «extremen Initiativen» aber meistens auch «der falsche Weg».
Also kommt kein Gegenvorschlag zustande. Der Abstimmungskampf beginnt. Der Bauernverband verbreitet mit Plakaten auf allen Landwirtschaftsflächen Angst und Schrecken davor, dass wir wegen der Initiative bald keine Schweizer Kartoffeln oder kein Schweizer Schweinesteak mehr essen können. Und schon ist die Abstimmung gewonnen.
Im Anschluss gibt sich der Bauernverband Mühe, so zu tun, als würde er den Forderungen der Umweltverbände, Klimajugend, Linken und Grünen entgegenkommen. Macht Versprechungen, die er aber nie gedenkt, einzulösen. Muss er ja auch nicht. Schliesslich liegt kein offizieller Gegenvorschlag vor.
Bestes Beispiel für den Erfolg dieser Strategie sind die beiden 2021 klar abgelehnten Pestizid- und Trinkwasser-Initiativen. Nach deren Scheitern an der Urne einigte man sich im Parlament einerseits darauf, dass Landwirtschaftsbetriebe mit Ackerflächen von mehr als drei Hektaren mindestens 3,5 Prozent ihrer Ackerfläche als Biodiversitätsförderflächen bewirtschaften müssen. Geplant wurde die Umsetzung für 2023. Dann vertagte das Parlament das Ganze auf 2024. Und schliesslich verwarf der Ständerat das Ziel in diesem Jahr komplett.
Andererseits einigte man sich damals auf eine Deklarationspflicht für Pflanzenschutzmittel und Dünger. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) tüftelte daraufhin jahrelang an einem Online-Tool namens Digiflux. Mit diesem sollten Händler, Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe ab 2026 parzellengenau deklarieren, welche Pflanzenschutzmittel, welches Kraftfutter und welchen Dünger sie benutzen.
Doch nun, wo Digiflux kurz vor seinem Einsatz steht, krebst man zurück. Bauernverband und bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier finden: Die Bauern sollen von dieser Deklarationspflicht ausgenommen werden. Zu viel Bürokratie!
Also zurück auf Feld eins. Alles bleibt beim Alten.
Dem Bauernverband gefällt der Status Quo. Und dem Stimmvolk scheinbar auch. Schliesslich hat Bauernpräsident Markus Ritter oft genug in den Medien beteuert: So schlecht, wie es die Initianten sagen, steht es gar nicht um unsere Biodiversität. Nein, die Schweiz befinde sich gar «auf einem guten Kurs».
Was dieser «gute Kurs» bedeutet? Dass wir uns mit Massnahmen zum Erhalt unserer Biodiversität Zeit lassen können. Das machen wir schliesslich schon lange so.
Bereits 2012 hat sich der Bundesrat zum Ziel gesetzt, den Zustand unserer Artenvielfalt zu verbessern. Damals war CVP-Bundesrätin Doris Leuthard Chefin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Die erste Phase des dafür ausgearbeiteten «Aktionsplan Biodiversität» trat erst mit grosser Verspätung 2017 in Kraft. Dafür erreichte er aber auch keines der Ziele, die sich der Bund für 2020 selbst gesteckt hatte.
Aber halb so schlimm. Dann muss der Bund seine Ziele eben herunterschrauben. So geschehen unter SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die das UVEK 2019 übernommen hatte. Als 2022 Bundesrat Albert Rösti ihre Nachfolge antrat, trieb er die Strategie Biodiversität des Bundes mit demselben Elan voran. Also: langsam.
Die zweite Phase des «Aktionsplan Biodiversität», den das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eigentlich Mitte 2024 hätte vorstellen müssen, lässt auf sich warten. Zu den Gründen gibt das BAFU keine Auskunft.
Dafür hält das BAFU in einem Bericht von 2023 über die Wirksamkeit der Biodiversitätsstrategie des Bundes beruhigend fest: «Viele griffige Massnahmen zugunsten der Natur wurden eingeleitet oder sind schon umgesetzt.»
Gut, wer nicht weiterliest. Denn in demselben Bericht muss sich das BAFU eingestehen, dass der Bund seine bereits heruntergeschraubten Ziele «mehrheitlich nicht erreicht», dass «der Allgemeinzustand der Biodiversität in der Schweiz weiterhin unbefriedigend» ist und dass ein Grossteil seiner Massnahmen mit grosser Verspätung in Kraft getreten ist.
Doch keine Sorge: Die Landwirtinnen und Landwirte müssen deshalb nicht Angst vor Massnahmen bekommen. Das BAFU hat nämlich sichergestellt, dass vor Veröffentlichung des Berichts jene Passagen entfernt werden, die einen der Hauptverursacher für den Verlust unserer Artenvielfalt benennen: die Landwirtschaft. Das deckte im Mai eine Recherche der Republik auf.
Es stimmt also: Punkto Biodiversität ist die Schweiz auf Kurs. Auf Kurs des Bauernverbands, versteht sich. Und das schon sehr lange.
Blöd nur, dass ausgerechnet die Landwirtinnen und Landwirte die ersten sein werden, die das zu spüren bekommen. Nicht die bösen «linksgrünextremen» Städter.
Aber das ist Zukunftsmusik, oder? Nein, leider nicht.
Im Kanton St.Gallen werden Landwirtinnen und Landwirte mit ihren eigenen Versäumnissen aus der Vergangenheit konfrontiert: Im August 2022 stellte der Kanton durch Bodenproben fest, dass der Boden entlang des Bodensees eine besorgniserregend hohe PFAS-Verschmutzung aufweist. Als Hauptursache vermuten die Behörden: Landwirtschaftsbetriebe haben über viele Jahre hinweg Klärschlamm als Dünger ausgebracht, der mit schädlichen, nicht natürlich abbaubaren «ewigen Chemikalien» (PFAS) verschmutzt war.
Insgesamt 26 Landwirtschaftsbetriebe im Kanton sind von Massnahmen wegen zu hohen PFAS-Werten auf ihrem Boden betroffen. Massnahmen, die gemäss Bauernpräsident Markus Ritter teilweise «existenzbedrohend» seien. So dürfen etwa fünf Betriebe ihr Fleisch nicht mehr verkaufen, weil dieses eine gesundheitsbedenkliche PFAS-Konzentration aufweist.
Der Kanton St.Gallen unterstützt die betroffenen Landwirtschaftsbetriebe nun mit Überbrückungskrediten. Der Bauernverband und die St.Galler SVP fordern allerdings mehr sofortige Finanzhilfen ohne bürokratische Hürden. Wie das St.Galler Tagblatt den SVP-Sprecher Marco Helfenberger zitierte:
Das stimmt wahrscheinlich sogar: Jene Bauernfamilien, die jetzt unter der PFAS-Belastung leiden, haben wohl nicht alle selbst bis 2006 verschmutzten Klärschlamm als Dünger auf ihren Feldern ausgebracht. Es war die Bauerngeneration vor ihnen.
Aus dieser Erfahrung könnten die Landwirtschaft und ihre Vertreterinnen und Vertreter lernen. Tun sie aber nicht.
Dieselben Bürgerlichen, die in der letzten St.Galler Kantonsratssitzung die Frage aufgeworfen haben, warum man vor 40 Jahren nicht besser über den PFAS-belasteten Klärschlamm Buch geführt hat, sträuben sich gegen die Deklarationspflicht von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft. Die Ironie daran hören sie nicht heraus. Aber das müssen sie auch nicht.
Der jetzige Kurs des Bundes und der Kantone in Sachen Umwelt- und Klimaschutz hat sie maximal abgesichert. Die Opfer von heute dürfen die Täter von morgen sein. Weil sowohl die heutigen Opfer als auch die künftigen die Rechnung dafür nicht selbst bezahlen müssen. Das macht der Staat. Zumindest, solange es sich bei den Opfern um Landwirtschaftsbetriebe handelt.
Das Initiativkomitee sagte, man habe es inkludiert, um einen breiteren Wähleranteil anzusprechen, doch leider hatte es genau den gegenteiligen Effekt.
Was auch mal spannend wäre, zu recherchieren, woher der SBV die zig Millionen hat, welcher er einsetzt.