Die Europafreunde geben in der FDP den Tarif durch
Die Fieberkurve stieg im Vorfeld stetig in die Höhe: Werden die FDP-Delegierten den Verträgen mit der Europäischen Union zustimmen, die «ihr» Aussenminister Ignazio Cassis ausgehandelt hat? Es ist eine politische Binsenweisheit: Ohne die Freisinnigen hat der bilaterale Weg kaum eine Chance, vor dem Stimmvolk zu bestehen.
Am Samstag gab die Versammlung in der Tribüne des Berner Wankdorf-Stadions die Antwort. Sie hatte sich abgezeichnet, und doch fiel sie noch klarer aus als erwartet. Mit 330 zu 104 Stimmen und damit einer Dreiviertelmehrheit sagte sie Ja zu den Bilateralen III. Damit war das Ergebnis der zweiten Streitfrage vorgespurt: Braucht es ein «doppeltes Ja» mit Ständemehr?
Gewichtige Stimmen hatten sich dafür ausgesprochen, so die neue Doppelspitze der FDP mit Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher und Ständerat Benjamin Mühlemann. Damit sollte das Nein-Lager beschwichtigt und der Parteifrieden gewahrt werden. Die Delegierten aber spielten nicht mit und lehnten den «Kuhhandel» mit 232 zu 189 Stimmen ab.
Mehr Applaus für Befürworter
Die Position der Freisinnigen in der Vernehmlassung des Bundesrats steht damit fest. Das Ergebnis war an diesem Samstag früh absehbar. So schlug das «Applausometer» im Wankdorf bei den Voten der Vertragsbefürworter stärker aus als bei den Gegnern. Die Basis legte Bundesrat Cassis mit einem energischen Votum zugunsten des Vertragspakets.
Der Tessiner, der in der Europafrage seit der Abfuhr für das Rahmenabkommen lange verzagt wirkte, verwies die Delegierten darauf, er habe alle an der FDP-Versammlung im Mai 2022 in Montreux formulierten Forderungen zum Bilateralismus erfüllt. «Die Schweiz ist stark, wenn sie über ihre Grenzen blickt, ohne ihre Identität zu verlieren», betonte der Aussenminister.
Romands in der Offensive
Sekundiert wurde er von sechs Mitgliedern einer Arbeitsgruppe, die das Paket befürworten. «Die Verträge bedrohen unsere Souveränität nicht, sie verstärken sie», betonte die Genfer Staatsrätin Nathalie Fontanet. Die Gegenseite um den Zürcher Kantonalpräsidenten Filippo Leutenegger und Nationalrat Christian Wasserfallen hatte es mit ihren Argumenten schwer.
In der allgemeinen Debatte, die deutlich kürzer verlief als im Vorfeld befürchtet, ergriffen einige Delegierte aus der Romandie das Wort, und das häufig auf Deutsch (die Skeptiker sitzen vor allem in der Deutschschweiz). Die jurassische Kantonalpräsidentin Irène Donzé erklärte, dass zehn Prozent der Erwerbstätigen in ihrem Kanton in Kurzarbeit seien.
Leutenegger angesäuert
Im Jura gibt es viele Industriefirmen, die unter Donald Trumps Zollhammer leiden. Argumente wie diese gaben neben der grundsätzlich proeuropäischen Haltung der Romands den Ausschlag für das klare Ja zu den Verträgen und das Nein zum Ständemehr. Die doppelte Niederlage stiess den Vertragsgegnern sichtlich auf. Filippo Leutenegger wirkte angesäuert.
Sie dürften fürs Erste stillhalten, doch das letzte Wort ist nicht gesprochen. So wurde darauf verwiesen, dass am Samstag erst ein Grundsatzentscheid gefällt wurde. Die eigentliche Parole wird im Vorfeld der Volksabstimmung gefasst, wobei es nach diesem deutlichen Votum sehr überraschen würde, wenn es zu einem Umschwung käme.
«Fest der Demokratie»
Der Parteifrieden wird kaum ewig halten, denn unter den Gegnern befinden sich laut- und meinungsstarke Köpfe, darunter auch Alt-Bundesräte. «Die gegenseitigen Pässe über die Medien in den letzten Tagen waren nicht ideal», stellte der Luzerner Ständerat Damian Müller als «Tagesleiter» zum Auftakt der Versammlung im Fussballjargon fest.
«Wir müssen nicht alle auf der gleichen Position spielen, aber bitte schiessen wir alle auf dasselbe Tor», erklärte Müller weiter. Es könnte ein frommer Wunsch bleiben. Die EU-Frage dürfte eine Zerreissprobe für die FDP bleiben. Der scheidende Präsident Thierry Burkart bezeichnete die Versammlung in Anlehnung an das Parteikürzel als «Fest der Demokratie».
Erinnerungen an Interlaken
Im Gegensatz zu anderen entscheide man nicht im Hinterzimmer, meinte der Aargauer mit einem unverkennbaren Seitenhieb auf die Mitte-Partei. Die Delegiertenversammlung in Bern war in der Tat beeindruckend, auch wegen des geordneten und zivilisierten Ablaufs. Das neue Co-Präsidium wird dennoch viel zu tun haben, um die Partei auf Kurs zu halten.
Man fühlte sich an eine FDP-Versammlung vor 30 Jahren in Interlaken erinnert, als die Europafreunde ebenfalls mobilisiert und den EU-Beitritt zum strategischen Ziel erklärt hatten. Der damalige Präsident Franz Steinegger meinte darauf, dies koste die FDP drei Prozent Wählerstimmen. Ein solches Szenario ist auch dieses Mal möglich.


