
Das Schweizer Stimmvolk war dreimal anderer Meinung als der Bundesrat. bild: keystone
Analyse
Das Stimmvolk stimmte bei drei von vier Vorlagen anders, als der Bundesrat es empfahl. Damit sei auch in Zukunft zu rechnen, sagt Politologe Urs Bieri vom gfs.bern. Die Abstimmungsanalyse im Detail.
13.02.2022, 21:0514.02.2022, 16:43

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Mediengesetz
Die Befürworterinnen des Medienpakets kassierten eine Schlappe. Zeitungen und Online-Medien werden zukünftig nicht noch mehr Subventionen vom Staat erhalten. 55 Prozent der Stimmbevölkerung war gegen das Mediengesetz.
«Es lag ein Nein in der Luft, das haben bereits die Umfragen vor dem Abstimmungssonntag gezeigt», sagt Politologe Urs Bieri vom gfs.bern. Gebodigt worden sei die Vorlage vom rechtskonservativen Lager.
«Sie haben eine laute und sehr gute Kampagne geführt», so Bieri weiter, und: «Was ebenfalls zum Erfolg beigetragen hat, waren die kritischen Verlegerstimmen aus den ländlichen Gebieten. Da haben sich wohl viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gefragt: Wenn nicht einmal die Medien geschlossen hinter dem Gesetz stehen, wieso sollte ich dann ein Ja in die Urne legen?»
«Das Misstrauen den Medien gegenüber ist seit Beginn der Pandemie gewachsen.»
Urs Bieri, Politologe gfs.bern
Der Stadt-Land-Graben sei beim Mediengesetz deutlich sichtbar, so der Politologe. In den Städten war man für das Mediengesetz, in den ländlicheren Gebieten dagegen. «Das ist ein typisches Bild, wenn das rechtskonservative Lager mobilisiert», sagt Bieri.
Neben den rechtskonservativen Kreisen vermutet Bieri weitere kritische Nein-Stimmen: «Das Misstrauen den Medien gegenüber ist seit Beginn der Pandemie gewachsen. Das war heute sicher nicht ausschlaggebend, könnte aber für die eine oder andere Nein-Stimme gesorgt haben.»
Stempelsteuer
Bundesrat und Parlament wollten die Stempelsteuer abschaffen. Doch das Volk sah das anders. Mit 56 Prozent wurde die Abschaffung abgelehnt. Verantwortlich dafür sei ganz klar die SP, so Politologe Bieri. «Die SP hat hier einen wichtigen Sieg errungen.» Die Partei habe gezeigt, dass man in Steuerfragen in Zukunft mit ihr rechnen muss.
«Die SP hat hier einen wichtigen Sieg errungen.»
Urs Bieri, Politologe gfs.bern
«Das Parlament tut gut daran, auf die SP zu hören und zukünftige Steuervorlagen moderater auszulegen. Sonst drohen weitere Referenden», sagt Bieri.
Tabakwerbeverbot
Tabakwerbung, die Kinder und Jugendliche erreichen kann, ist künftig verboten. Das Stimmvolk hat einer entsprechenden Volksinitiative mit 57 Prozent zugestimmt.
Verschiedene grosse Gesundheitsorganisationen hatten das Volksbegehren vor Jahren lanciert – und brachten es nun mit der Unterstützung der SP, Grünen, GLP, EVP und EDU ins Trockene.
«Der Raum für Raucherinnen wird zunehmend kleiner.»
Urs Bieri, Politologe gfs.bern
«Es gab einen Druck von der Strasse», sagt Bieri. «Das Parlament hat die wirtschaftlichen Folgen in den Vordergrund gestellt. Das Stimmvolk ist in Sachen Prävention aber sehr sensibilisiert.» Rauchen sei als Genussmittel weiterhin toleriert. «Der Raum dafür wird aber zunehmend kleiner. Der Tabakbranche weiterhin Freiheiten einräumen, das wollte eine Mehrheit des Stimmvolks nicht mehr.»
Tierversuchs-Initiative
Weder die Prognosen noch das effektive Abstimmungsresultat verhiessen Gutes: Die Tierversuchs-Initiative wurde mit 79 Prozent Nein-Stimmen klar abgelehnt.
«Das war ein maximaler Verlust für die Initiantinnen.»
Urs Bieri, Politologe gfs.bern
«Das war ein maximaler Verlust für die Initiantinnen», sagt Bieri vom gfs.bern. «Man kann nicht einmal von einem Achtungserfolg sprechen. Die Abschaffung von Tierversuchen ist für längere Zeit vom Tisch.» Für den Politologen konnten die Initianten auch im Abstimmungskampf nicht überzeugen. Im Gegenteil: «Gepunktet hat allen voran die Forschung. Die ethischen Probleme von Tierversuchen wurden kaum diskutiert.»
Gewinner und Verlierer
Mit dem Nein zum Mediengesetz, dem Nein zur Abschaffung der Stempelsteuer und dem Ja zum Tabakwerbeverbot stimmte das Volk dreimal anders, als es der Bundesrat empfahl. Ist die Verliererin des Tages also die Landesregierung?
«Es ist eine Schlappe für den Bundesrat, von einer Staatskrise würde ich aber nicht sprechen», sagt Urs Bieri und fügt hinzu: «Der Bundesrat verliert aber öfter als auch schon.»

Sie bodigte die Abschaffung der Stempelsteuer schon fast im Alleingang: SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Bild: keystone
Seit Beginn der Pandemie bis heute seien 46 Prozent der ergriffenen Referenden erfolgreich gewesen. «Das ist neu. Schaut man in die Vergangenheit, machte dieser Wert in den letzten Legislaturen durchschnittlich nur rund ein Viertel aus.» Es sei schwieriger geworden für die Regierung, Gesetze durchzubringen, wo man keine breiten Kompromisse mehr finde. «Heute sind auch Regierungsparteien wie SP und SVP eher bereit, das Referendum zu zünden, wenn sie mit ihren Anliegen im Parlament nicht durchdrangen.»
Der Bundesrat sei aber nicht der einzige Verlierer von heute: «Verloren haben nicht nur die Behörden, sondern auch die Wirtschaft, allen voran bei der Stempelsteuer, gefolgt vom Tabakwerbeverbot.»
Das entspreche dem Zeitgeist, erklärt Bieri. Das Stimmvolk stehe der Wirtschaft kritischer gegenüber. Das hat bereits die Konzernverantwortungsinitiative gezeigt, die nur knapp am Ständemehr gescheitert ist.

Das Argument der Prävention funktioniert in der Bevölkerung besser als die Warnung vor wirtschaftlichen Einbussen. Bild: keystone
«Das gute alte Argument ‹Geht es der Wirtschaft gut, geht es mir gut› funktioniert nicht mehr so einfach. Die Wirtschaft muss sich erklären.»
Obwohl sowohl der Bundesrat als auch die Regierung eine Schlappe einstecken mussten, lässt sich kein klarer Sieger ausmachen. Die heutigen Abstimmungsresultate sind ein perfektes Abbild der Schweizer Politik. «Bei der Stempelsteuer gewann die Linke, beim Mediengesetz das rechtskonservative Lager. Das zeigt, dass es in der Schweiz nicht einfach eine Mehrheitsmeinung gibt. Eigentlich ein schönes Bild, einmal gewinnt man, einmal verliert man.»
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