Schweiz
Analyse

FDP-Delegierte weisen Gegner der Bilateralen III in die Schranken

Bundesrat Ignazio Cassis, rechts, und Parteipraesident Thierry Burkart, FDP-AG, sitzen an der Delegiertenversammlung der FDP, am Samstag, 18. Oktober 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Aussenminister Ignazio Cassis (r.) brachte die Delegierten voll auf seine Linie.Bild: keystone
Analyse

Freisinnige lassen Gegner der Bilateralen III alt aussehen

Die FDP-Delegierten haben den neuen EU-Verträgen überraschend klar zugestimmt. Das Verdikt zeigt: Die Gegner sind nicht so stark, wie es ihre lauten Auftritte vermuten lassen.
20.10.2025, 15:4720.10.2025, 16:24

Die Gemütslage war eindeutig: Nach dem Ende der Delegiertenversammlung der FDP Schweiz im Berner Wankdorfstadion strahlte Patric Franzen, der Schweizer Chefunterhändler mit der Europäischen Union, wie der sprichwörtliche Maikäfer. Der EU-Showdown war für ihn und seinen Chef, Aussenminister Ignazio Cassis, ein Erfolg auf der ganzen Linie.

Ganz anders war die Gefühlslage bei Filippo Leutenegger, dem «Wortführer» der EU-Gegner. Der Zürcher Stadtrat und Präsident der Kantonalpartei sah aus, als ob man ihn gezwungen hätte, eine Flasche Lebertran auf ex zu trinken. Für ihn war das Treffen in Bern ein Debakel: Die FDP-Delegierten sagten sehr klar Ja zu den Bilateralen III und Nein zum Ständemehr.

Parteipraesident und Staenderat Thierry Burkart, FDP-AG, wird verabschiedet an der Delegiertenversammlung der FDP, am Samstag, 18. Oktober 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Thierry Burkart ging mit der Europadebatte ins Risiko. Zumindest PR-mässig hat es sich gelohnt.Bild: keystone

Es war ein Votum, das man vor allem in diesem Ausmass kaum erwartet hatte. Für die NZZ handelte es sich um einen veritablen «Befreiungsschlag». Ein spezielles Lob gab es für den abtretenden FDP-Präsidenten Thierry Burkart. Er war mit seiner Strategie, die Delegierten zu einem derart frühen Zeitpunkt zu befragen, ins Risiko gegangen.

Rückenwind für Cassis

Nun sei ihm «ein Meisterwerk gelungen», kommentierte die NZZ. Das wirkt angesichts der Frustration der Vertragsgegner etwas euphorisch. Aber zumindest gab es keinen Zufallsentscheid. Vielmehr zeigte das Verdikt, dass die EU-Gegner nicht so stark sind, wie es ihre dominante Präsenz vor allem in den sozialen Netzwerken vermuten lässt.

Viele lassen sich dadurch beeindrucken, auch Medienschaffende, die häufig und faktenfrei behaupten, eine Institutionalisierung des bilateralen Wegs sei bei den Stimmberechtigten ohnehin chancenlos. Das Dreiviertel-Mehr am Samstag spricht eine andere Sprache. Es verschafft den Bilateralen III und damit dem Duo Cassis/Franzen Rückenwind.

Der Aussenminister

Ignazio Cassis musste in den letzten Jahren viel einstecken. Nachdem er mit dem unter seiner Ägide ausgehandelten Rahmenabkommen vor vier Jahren im Gesamtbundesrat Schiffbruch erlitten hatte, wirkte der Tessiner verzagt. Vom anfänglichen Elan war kaum etwas geblieben. Das neue Vertragspaket scheint Cassis revitalisiert zu haben.

Der Auftritt vor seiner Partei wurde zur Bewährungsprobe. Er bestand sie mit Bravour. «Unsere Möglichkeiten schwinden, um à la Carte am europäischen Binnenmarkt teilzunehmen», warnte Cassis. Die von den Gegnern beklagte Bedrohung für die Souveränität der Schweiz wies er zurück: «Unsere direkte Demokratie bleibt erhalten.»

Fast schon genervt wirkte er, als er den Delegierten vorhielt, alle von ihnen 2022 formulierten Forderungen (etwa eine Schutzklausel bei der Zuwanderung) erfüllt zu haben: Seht ihr, ich habe geliefert! Die Botschaft kam bei den fast 500 Parteimitgliedern an. Sie sagten nicht nur klar Ja zu den Verträgen, sondern folgten Cassis auch beim von ihm bekämpften Ständemehr.

Das Ständemehr

Ein Doppel-Ja zu den Bilateralen III und zum Ständemehr wurde im Vorfeld der Versammlung vom Samstag als eine Art «Königsweg» angepriesen, um Befürworter und Gegner zu versöhnen. Selbst der Solothurner Nationalrat Simon Michel, der dezidierteste FDP-Unterstützer des Vertragspakets, sprach sich vor den Delegierten überraschend für das doppelte Mehr aus.

Doch das Ständemehr fiel durch, zum sichtlichen Ärger der Vertragsgegner. Der Nidwaldner Ständerat Hans Wicki meinte gegenüber der NZZ, die Abstimmung wäre wohl anders herausgekommen, wenn sie geheim erfolgt wäre. Es ist eine abenteuerliche Interpretation: Nach dem wuchtigen Ja zu den Verträgen zeichnete sich das Nein zum Ständemehr ab.

Nationalrat Simon Michel, FDP-SO, rechts, und Alt-Nationalrat Filippo Leutenegger, begruessen sich an der Delegiertenversammlung der FDP, am Samstag, 18. Oktober 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneid ...
Vertragsbefürworter Simon Michel (r.) und Gegner Filippo Leutenegger gaben sich demonstrativ die Hand. Es fragt sich, wie lange der Frieden halten wird.Bild: keystone

Das letzte Wort ist damit nicht gesprochen. Der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen will weiter für das Ständemehr kämpfen. Eine wichtige Rolle spielen die Kantone, die direkt betroffen sind. Sie präsentieren ihre Position zum Vertragspaket am nächsten Freitag. Erwartet wird, dass sie sich gegen das Ständemehr aussprechen werden.

Die Romandie

Die Delegierten aus der Westschweiz drückten der Europadebatte ihren Stempel auf. Sie haben ein immer grösseres Gewicht, auch weil die FDP in der Deutschschweiz ihre einstige Vormachtstellung weitgehend eingebüsst hat. Symptomatisch dafür war das Scheitern von Filippo Leutenegger, dem Präsidenten des ehemals so stolzen Zürcher Freisinns.

Auch beim Ständerat gaben die Romands den Ausschlag. Als Minderheit sind sie für dieses Thema besonders sensibilisiert, was auch die frühere Parteipräsidentin Petra Gössi anerkannte. Sie warb auf Französisch um Verständnis, dass sie sich dennoch für das Ständemehr engagierte. Bei den Westschweizer Delegierten stiess sie auf taube Ohren.

Das Präsidium

Das welsche Selbstbewusstsein zeigte sich in der allgemeinen Debatte, als ihre Vertreterinnen und Vertreter das Wort auffällig oft auf Deutsch ergriffen. Wer die Romands kennt, weiss, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Für die Freisinnigen und ihr neues Co-Präsidium mit Susanne Vincenz-Stauffacher und Benjamin Mühlemann könnte dies zum Problem werden.

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Benjamin Mühlemann und Susanne Vincenz-Stauffacher an der Versammlung, die nicht ganz in ihrem Sinn verlief.Bild: keystone

Die St.Galler Nationalrätin und der Glarner Ständerat hatten im Interesse des Parteifriedens ein Ja zum Ständemehr propagiert und wurden von den Delegierten «desavouiert», bevor sie am Samstag überhaupt ins Amt gewählt wurden. Mühlemann hatte zudem im Gegensatz zu seiner Co-Präsidentin die Verträge abgelehnt und damit einen ziemlichen Fehlstart hingelegt.

Die Antrittsrede des Duos zeigte, dass viel Luft nach oben vorhanden ist. Das war vor bald zehn Jahren auch bei Petra Gössi der Fall, doch sie wuchs rasch in ihre Rolle hinein. Von Vincenz-Stauffacher und Mühlemann ist angesichts der Divergenzen im Freisinn, nicht nur in der Europafrage und beim «Röstigraben», ein ähnlicher Effort gefordert.

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198 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ingmarbergman
20.10.2025 16:00registriert August 2017
Jeder der bei Trost ist, ist für die Bilateralen. Selbst die SVP-Wirtschaftchefs sind für stabile Beziehungen mit der EU. Nur dürfen sie das nicht laut sagen, weil man ja sonst die ständige „Ausländer raus“ rufe nicht mehr ernst nehmen kann.

Die SVP spielt ein falsches Spiel indem sie laut gegen die Verträge ist um Wahlkampf zu machen, insgeheim aber wünscht, dass das Volk ja zu den Bilateralen sagt.
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Fakten_Checker
20.10.2025 15:58registriert September 2025
Dass das Ständemehr hier überhaupt ein Thema ist, zeigt wie wenig diejenigen die das Ständemehr wollen die Verfassung der Schweiz kennen.
Aus dieser Konsequenz müsste jeder der das Ständemehr fordert, sofort sein politisches Mandat niederlegen und jemandem Platz machen der die Verfassung der Schweiz achtet.
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Dr. Haggis
20.10.2025 16:10registriert August 2018
Das Ständemehr gehört abgeschafft oder es bräuchte ein Korrektiv. Die Stimme einer Glarnerin zählt 40x soviel wie jene einer Zürcherin. Die Stimme eines Urner 30x soviel wie jene eines Berners etc. Ein so krasses Missverhältnis der Standesstimmen verzerrt die Demokratie.
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