Trotz Finanzengpässen: Armeechef Süssli plant auch für 2024 ein Rüstungsprogramm
Die Verteidigungsministerin hob beide Zeigefinger nach vorne, lächelte in die Runde und sagte: «Sparen ist vielleicht das falsche Wort.» Und nach einer kleinen Kunstpause:
Es ist fast genau ein Jahr her, als Amherd und Süssli an jener Medienkonferenz zur Armeebotschaft 2023 vom 15. Februar 2023 entspannt wirkten. Obwohl der Gesamtbundesrat wenige Tage zuvor entschieden hatte, das Armeebudget nicht schon bis 2030 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu erhöhen, wie es das Parlament forderte. Sondern es um fünf Jahre bis 2035 zu strecken. Parallel verflachte die Regierung den Anstieg der Gelder zwischen 2024 und 2027. Damit reduziert sich das Armeebudget in dieser Zeitspanne gegenüber der Version 2030 um 2,6 Milliarden. Das zeigen die Zahlen der eidgenössischen Finanzverwaltung.
Auf die Frage einer Journalistin, welche Waffensysteme nicht beschafft werden könnten, erwiderte Amherd:
Und blickte zu Armeechef Thomas Süssli, der neben ihr sass.
Kaum zu glauben: Ein Jahr später soll alles anders sein. Ende Januar wurde bekannt, dass die Armee einen Finanzengpass in Milliardenhöhe hat. Wie kam es, dass sich die Situation so dramatisch zuspitzte?
Seit Thomas Süssli am 1. Januar 2020 seine Arbeit als Armeechef begann, macht er Druck für mehr Geld für die Armee. Mit dem Ukraine-Krieg erhöhte er die Intensität. Seither warnt er in düsteren Farben vor einer Armee, die zu wenig Mittel hat, um zu bestehen. Im Kriegsfall könne die Luftwaffe den Schutz des Landes nur einen Monat lang aufrechterhalten, sagte er 2022 bei CH Media. Letzte Woche ging er im «Tages-Anzeiger» deutlich weiter: Mittelfristig verliere die Armee wegen fehlender Rüstungsgelder das Heer. Und: «Ich kann diese Situation bei unserer Armee nicht verantworten.»
Die Doktrin von Süssli: Es dürfen keine Kreditreste verfallen
Süssli änderte die (zu) vorsichtige Planung bei den Rüstungsprogrammen. Seine Doktrin: Es dürfen keine Kreditreste – also nichtausgeschöpfte Budgetkredite – mehr verfallen, wie das 2014 beim Nein zum Gripen-Kampfjet der Fall war. Damals hatte die Armee keine alternativen Rüstungsprojekte zur Hand.
Süssli ging 2020 und 2021 mit seinen ersten Rüstungsprogrammen deutlich über den internen Masterplan von 2018 hinaus: 2020 um bis zu 700 Millionen, 2020 um 500 Millionen. Den Masterplan hat SRF publik gemacht. Damit ging der Armeechef ans Limit dessen, was ihm die Finanzplanung ermöglichte. Für 2023 und 2024 sah der Masterplan gar kein Rüstungsprogramm vor, weil 2022 die Grossbeschaffung von F-35 und Luftabwehrsystem Patriot mit 8 Milliarden über die Bühne ging.
Süssli und Amherd brachten 2023 trotzdem ein Rüstungsprogramm für 725 Millionen in den Bundesrat. 2024 plant die Armee erneut eine Rüstungsbotschaft, wie Recherchen zeigen. Bereits in den nächsten Wochen sollen eine Armeebotschaft und ein Rüstungsprogramm für etwa 490 Millionen in den Bundesrat kommen. «Es wäre total unverantwortlich, wenn wir das nicht tun würden», heisst es hinter den Kulissen. «Wir müssen in die Produktionslinien der Rüstungskonzerne kommen.» In normalen Zeiten braucht es dafür 30 bis 36 Monate, in Zeiten des Kriegs dauert es länger. Armeechef Süssli hatte in der «Samstagsrundschau» ebenfalls von einem möglichen Verpflichtungskredit für 2024 gesprochen:
Die Rollenverteilung zwischen Amherd und Süssli
Man kann von einer Art Rollenverteilung sprechen im Verteidigungsdepartement. Armeechef Süssli ist nach aussen hin der «Bad Guy», der die schlechten Nachrichten überbringt, Druck macht, Geld fordert. Verteidigungsministerin Amherd spielt die Rolle des «Good Guy» oder der «Good Woman». Als Bundesrätin muss sie das Kollegialitätsprinzip berücksichtigen und gibt sich kompromissbereit, besonders jetzt als Bundespräsidentin.
Amherd und Süssli bilden aber ein Duo, das sich gut versteht. Sie haben einen engen Draht und ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die Armee, die «während 30 Jahren kaputtgespart» worden sei, wie es Amherd mehrfach, auch diese Woche, sagte.
Süssli und Amherd überlegen wichtige strategische Weichenstellungen gemeinsam. Und Süssli informiert seine Chefin laufend über die Schwierigkeiten bei der Finanzlage. Davon kann man ausgehen. In der «Samstagsrundschau» wich er dieser Frage zwar elfmal aus. Dennoch sagte er, indirekt, einiges: Seine Rolle sei es, auf die Bedürfnisse der Armee hinzuweisen. Die Frage, ob die Armeebotschaft auch ein Rüstungsprogramm beinhalte, sei aber eine politische Frage. Eine Frage für seine Chefin also – und den Gesamtbundesrat.
Damit ist klar: Viola Amherd stand hinter der überraschenden Rüstungsbotschaft 2023 mit 725 Millionen. Und sie steht auch hinter dem Rüstungsprogramm, das Süssli 2024 plant – Finanzproblemen zum Trotz.
800 Millionen Franken und ein zweiter Berg
Die Armee selbst schaffte es zwischen 2022 und 2023, 600 Millionen der 1,4 Milliarden Franken abzuzahlen, die ihr fehlten. Das sagen interne Quellen. Damit bleiben noch jene 800 Millionen, welche die Armee in die Jahre 2025, 2026 und 2027 verschoben hat.
Einen Berg schleppt die Armee aber noch mit bis 2030: Jenen der offenen Verpflichtungskredite. Er betrug Ende 2023 12,7 Milliarden Franken. Ein Verpflichtungskredit setzt den Höchstbetrag fest, bis zu dem der Bundesrat für ein bestimmtes Vorhaben finanzielle Verpflichtungen eingehen kann. Er wird benutzt, wenn das Vorhaben über das Budgetjahr hinaus Zahlungen verursacht.
Die 12,7 Milliarden setzen sich aus 4000 Vorhaben zusammen. Die Verpflichtungskredite für F-35 und Patriot (8 Milliarden), die Modernisierung der Telekommunikation (1,6 Milliarden) und der Werterhalt der Schützenpanzer (438 Millionen) sind die grossen Brocken. Dazu kommen Projekte für Ausrüstung und Erneuerungsbedarf (AEB), für Projektierung, Erprobung und Beschaffungsvorbereitung (PEB) und für Ausbildungsmunition und Munitionsbewirtschaftung (AMB).
Für diese Kredite hat die Armee 8 bis 12 Jahre Zeit. Dazu steigt das Armeebudget kontinuierlich: von 5,5 Milliarden 2023 auf 6,5 2027 und 7,8 2030.
Also alles gar nicht so schlimm? In der Armee denkt man das.
Priska Seiler Graf (SP), Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission, zweifelt. Sie macht die Armeefinanzen an der Sitzung vom 19. Februar zum Hauptthema. «Wir wollen endlich Klarheit darüber, wie die Situation aussieht», sagt sie. «Bisher haben wir keine konkreten Zahlen erhalten und verstehen die Details nicht.» Und fügt hinzu: «Unser Eindruck ist: Da stimmt doch einfach etwas nicht.» (aargauerzeitung.ch)
