Ukraine als Weckruf: Schweizer Armee testet «einheimische» Drohnen
Die Anspannung auf dem Schiessplatz Hinterrhein ist spürbar. Gleich wird eine schwarze Drohne in Form einer Lenkwaffe abheben, verfolgt von einer identischen orangen Drohne. Sie soll die erste abfangen und «zerstören», wenn auch nicht real. Bei den Tests geht es darum, das Potenzial von Schweizer Angriffs- und Abwehrdrohnen zu ermitteln.
In den zwei Wochen vor Weihnachten wurden Systeme von sieben Herstellern auf dem Militärgelände am San Bernardino erprobt. So auch jenes des erst vor einem Jahr in Zug gegründeten Start-ups Ens Dynamics, zu dessen Erprobung die Medien eingeladen waren. Doch zwei Anläufe scheitern. Die orange Drohne verfehlt ihr Ziel jeweils deutlich.
Ein Flop also? Nicht unbedingt. Fehlschläge wurden von der Taskforce Drohnen des Bundesamts für Rüstung Armasuisse bewusst einkalkuliert. Die Erprobungen zeigten, «welche Technologien bereits einsatznah funktionieren, wo Grenzen bestehen und in welchen Bereichen die Industrie weiterentwickeln muss», heisst es in einer Medienmitteilung.
Weniger Abhängigkeit vom Ausland
Die Schweiz gilt als führend in der Drohnentechnologie. Ziel der Taskforce sei es, das Know-how für die Entwicklung und Herstellung eigener Drohnen zu nutzen, «auch um die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren», erklärte Managing Director Kai Holtmann. Gleichzeitig erfährt die Technologie derzeit eine rasante Weiterentwicklung.
Dies zeigt sich nirgends so deutlich wie im Ukraine-Krieg, der zu einem Drohnenkrieg geworden ist. «Drohnen haben das Gefechtsfeld verändert», sagte Andrea Marrazzo, Leiter des Kompetenzzentrums Drohnen und Robotik im Verteidigungsdepartement VBS. Als Reaktion auf diese Entwicklung hat das VBS im Juni 2024 die Taskforce Drohnen gegründet.
Parlament macht Druck
Die Herausforderungen sind beträchtlich. So produziert die Ukraine rund 4,5 Millionen Drohnen pro Jahr, und die Entwicklungszyklen sind «extrem kurz», so Kai Holtmann. Entsprechend gross sei die Risikobereitschaft. Im Klartext: Man nimmt beim Einsatz neuer Systeme eigene Verluste in Kauf. Die Schweizer Armee kann sich dies nicht leisten.
Deshalb braucht es Erprobungen, für die Schiessplatz Hinterrhein in Graubünden auf 1600 Metern, eingerahmt von hohen Felswänden, ein idealer Ort ist. Die Politik hat den Handlungsbedarf ebenfalls erkannt. Das Parlament überwies in der Wintersession einen Vorstoss, der vom Bundesrat «unverzügliches Handeln» gegen Drohnenangriffe fordert.
In Tranchen beschaffen
Bei Verteidigungsminister Martin Pfister rannte es offene Türen ein. Denn auch in der Schweiz wurden Minidrohnen über strategisch wichtigen Infrastrukturen gesichtet. Die Dringlichkeit stellt das übliche Vorgehen beim Kauf von Waffensystemen vor Herausforderungen. Dessen langfristige Abläufe sind für Drohnen nicht anwendbar.
Das VBS werde die Fluggeräte nicht auf einmal beschaffen, sondern in Tranchen, um mit der Technologie mitzugehen, erklärte Andrea Marrazzo: «Das braucht Flexibilität, auch im Parlament.» Und vor allem muss die eigene Drohnenproduktion erst einmal anlaufen. Die Erprobungen am San Bernardino sind in diesem Prozess bestenfalls ein Zwischenschritt.
Exporte in NATO-Länder
Alexander Ens, Gründer und CEO von Ens Dynamics, zeigte sich vor den Medien trotz der eher bescheidenen Resultate dankbar für die von Armasuisse gebotene Möglichkeit. Seine Firma habe ihre WASP-Drohnen noch nie unter derart guten Bedingungen testen können. Hergestellt werden sie im 3D-Drucker, zum Stückpreis von mehreren Tausend Franken.
«Klassische» Lenkwaffen sind um ein Vielfaches teurer. Und der Preis könnte mit einer allfälligen Massenproduktion weiter sinken. Alexander Ens und seine Mitarbeiter machen kein Geheimnis daraus, dass sie ihre Drohnen mittelfristig exportieren möchten, vor allem in NATO-Länder. Denn der Schweizer Markt für Rüstungsgüter ist (zu) klein.
Gut, aber nicht perfekt
Das Problem seien die restriktiven Schweizer Exportregeln, hiess es am Medientermin. Das Parlament hat sie in der Wintersession gelockert, doch die Vorlage hängt in der Schwebe. Wegen des Referendums von Linksgrün muss sie wohl eine Volksabstimmung überstehen, mit ungewissem Ausgang. Ein möglicher Ausweg wäre der Export als Dual-Use-Güter.
Im Fall der Ens-Drohnen würde dies bedeuten, dass sie ohne Sprengstoff geliefert würden. Das aber ist Zukunftsmusik. Erst einmal müssen die Systeme ihre Kriegstauglichkeit unter Beweis stellen. Elf verschiedene Drohnen wurden in Hinterrhein getestet. «Sie haben gut abgeschnitten, aber nicht perfekt», lautete das Fazit von Taskforce-Direktor Kai Holtmann.
Es gibt somit Luft nach oben. Ein Problem bleibt die anspruchsvolle Topographie, die etwa den Kontakt zu GPS-Satelliten erschwert, ebenso das unbeständige Wetter. Mit anderen Worten: Während der Drohnenkrieg in der Ukraine längst eine düstere Realität ist, sind für eine eigenständige Schweizer Produktion noch einige gröbere Hürden zu überwinden.
