Drohnen-«Hysterie» in der Schweizer Armee
Der Drohnenkrieg in der Ukraine schien das übrige Europa lange kaum zu betreffen. Das hat sich gründlich geändert. Vor knapp einem Monat drangen rund 20 Drohnen vermutlich russischen Ursprungs in den polnischen Luftraum ein. Seither kam es in weiteren Ländern zu Drohnensichtungen, etwa in Dänemark und Deutschland.
Am Wochenende wurde der Flughafen München zweimal während Stunden lahmgelegt. Noch ist unklar, ob es sich um gezielte Sabotage oder einen «Lausbubenstreich» gehandelt hat. Bei den verschiedenen Vorfällen in Dänemark aber steht russische Provokation im Vordergrund, denn das skandinavische Land ist einer der eifrigsten Unterstützer der Ukraine.
Irritierend ist, wie überrumpelt die betroffenen Länder reagierten. Das gilt selbst für Polen, dem die russische Bedrohung wirklich nicht fremd ist. Für den dänischen Geheimdienst ist klar, dass Russland einen hybriden Krieg gegen den Westen führt. Ziel sei es, Unsicherheit und Angst zu schüren und die Unterstützung der Ukraine zu stoppen.
Hilfe aus der Ukraine
Nun wollen die Europäer das Versäumte nachholen und in die Drohnenabwehr investieren. Die Rede ist von einem «Drohnenwall» an der Ostflanke. Dabei setzt man auf Hilfe aus der Ukraine, die sich mit dem Aggressor Russland einen atemberaubenden Rüstungswettlauf bei der sich rasant entwickelnden Drohnentechnologie liefert.
Für die Schweiz wäre dies aus Neutralitätsgründen schwierig, doch auch hierzulande ist man durch die jüngsten Vorfälle aufgeschreckt. Gewisse Reaktionen grenzen fast an Hysterie. So musste Verteidigungsminister Martin Pfister im NZZ-Interview einräumen, dass Drohnenangriffe auf exponierte Ziele in der Schweiz «leider» realistisch seien.
Flugplatz Meiringen im Visier
Es habe hierzulande bereits Drohnenüberflüge gegeben, bei denen man nicht wisse, wer dahinterstehe, so Pfister. Ein bevorzugtes Ziel ist offenbar der Flugplatz Meiringen im Berner Oberland, wie Armeechef Thomas Süssli gegenüber der «Schweiz am Wochenende» ausführte: «Es gibt mehr Drohnenflüge, als wir ursprünglich angenommen haben.»
Meiringen ist als Standort für den neuen Kampfjet F-35 vorgesehen, sofern er jemals kommt. Das scheint zu Spionage einzuladen. Vor zwei Jahren sorgte ein Bericht für Furore, wonach eine chinesische Familie ein Hotel direkt am Flugplatz gekauft hat. Es besteht der akute Verdacht, dass von dort der F-35 ausspioniert werden sollte.
«Keine Patentlösungen»
Mit Drohnen lässt sich dies noch effizienter erledigen. Armeechef Süssli will deshalb rasch ein Abwehrsystem beschaffen, «ehrlich gesagt lieber dieses Jahr als erst nächstes Jahr». Experten halten diesen Zeitplan für etwas gar ambitioniert.
«Es gibt Drohnen unterschiedlicher Grösse und mit unterschiedlichen Flugeigenschaften und die sich in unterschiedlichen Flughöhen befinden», sagte Ivo Capaul, der am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich zu Rüstungsbeschaffungen forscht, der SRF-«Tagesschau». Es gebe somit «keine Patentlösungen bei der Drohnenabwehr». Die Schweizer Armee hat selbst mehrere Typen, von der wuchtigen «Skandaldrohne» Hermes 900 bis zur winzigen Black Hornet.
Zusammenarbeit mit Hochschulen
Letztere kann für verschiedene Zwecke verwendet werden, zur Aufklärung wie als Angriffswaffe, um andere Fluggeräte «abzuschiessen». Gleichzeitig hat das Bundesamt für Rüstung Armasuisse die Zusammenarbeit mit Hochschulen wie der ETH Zürich und der ZHAW in der Robotik- und Drohnenforschung intensiviert und diese finanziell unterstützt.
Die einstigen Bedenken der Forscher gegenüber der militärischen Nutzung ihrer Produkte rücken angesichts der geopolitischen Entwicklung in den Hintergrund. «Jetzt sind unsere Forschenden und Startups offener geworden für die Nutzung im Konfliktfall», sagte der Robotiker und ETH-Professor Roland Siegwart der «NZZ am Sonntag».
«Verpasste Chancen»
«Die Luftkämpfe der Zukunft werden kaum mehr mit bemannten Jets, sondern mit autonomen Drohnen durchgeführt», meint Siegwart, der mit Blick auf die jüngste Entwicklung ebenfalls von «verpassten Chancen» spricht: «Es war schon vor zehn Jahren absehbar, dass Drohnen einfach zu sehr effizienten und günstigen Waffen umgebaut werden können.»
Auch im praktischen Bereich bleibt die Schweizer Armee nicht untätig. Im Juni testete sie im Rahmen eines Feldversuchs auf dem Flugplatz Meiringen und dem Waffenplatz Bure Systeme zur Abwehr von Minidrohnen, darunter die «Drone Gun» des australischen Herstellers Drone Shield, die nicht mit Munition «ballert», sondern mit Radiowellen.
Politisch dürfte es in diesem Fall selbst von links kaum Widerstand geben. Die Nachfrage nach solchen Geräten ist allerdings gross. So hat Drone Shield gemäss der NZZ schon Kunden in mehr als 70 Ländern gewonnen. Das könnte für die Schweiz wie bei anderen Rüstungsgeschäften angesichts voller Auftragsbücher zum Problem werden.
Es könnte länger dauern als erhofft, und für ETH-Forscher Ivo Capaul besteht die Gefahr, dass ein Drohnenabwehrsystem «bereits veraltet» ist, wenn es in Dienst gestellt werden kann. Wie schnell das gehen kann, zeigt die israelische Hermes-900-Drohne, die der Schweiz viel Ärger bereitet und von Lästermäulern als «Dinosaurier» verspottet wird.
