Nach den Sommermonaten sollten die Zelte eigentlich wieder verschwinden und die Asylbewerber im Garten eines ehemaligen Wohnheims für Kantonsschüler in Aarau ein festes Dach über dem Kopf haben. Das jedenfalls versprach der Kanton Aargau, als er Anfang August schweizweit die ersten Zelte für Asylbewerber aufgestellt hat. Heizungen waren nicht vorgesehen. Spätestens Ende Oktober, so das Versprechen an die Adresse der Flüchtlinge und der Öffentlichkeit, sei Schluss mit dem Zeltlager.
Noch stehen die Zelte. Noch schlafen Menschen darin. Und wie es so ist: Im Oktober kann es bereits empfindlich kühl werden, wie uns allen gestern Morgen fröstelnd bewusst wurde. Auch den Asylbewerbern bei der Kaserne Aarau fröstelte, obwohl die Behörden doch noch reagiert hatten und im September externe Pelletheizungen aufstellten. Sie blasen durch dicke gelbe Schläuche warme Luft in die Innenräume der insgesamt sieben Armeezelte.
Die «Nordwestschweiz» lässt sich vom 26-jährigen eritreischen Asylbewerber und Zelt-Bewohner Zeremariam Hagos durch sein provisorisches Zuhause führen. Zeremariam spricht Englisch. Im Zelt stehen kreuz und quer verteilt Feldbetten mit bezogenen Kissen und zerknitterten Armee-Schlafsäcken. Daneben sorgen graue Spinde für etwas Abgrenzung und Privatsphäre. Darin verstaut: das Hab und Gut der Bewohner.
53 alleinstehende Männer leben und schlafen in den Zelten. Unter ihnen viele Eritreer und Syrer, aber auch Sudaner, Afghanen und ein Georgier hausen seit Wochen in den Armeezelten. Alle befinden sie sich im Asylverfahren. Frauen und Kinder, ganze Familien sind im ehemaligen Schülerwohnheim nebenan einquartiert. Weitere 20 Männer in einer Baracke, die ebenfalls auf dem etwas trostlosen Gelände steht.
Im Zeltinnern ist es nun heimelig warm. An der Zeltwand steht auf einem Warnschild in deutscher und französischer Sprache: «Bei Schneefall ist der Schnee laufend vom Dach wegzuräumen.» Zeremariam will von uns wissen, was das heisst. Er versteht weder Französisch noch Deutsch. Wir erklären es ihm. Zeremariam hat noch nie Schnee gesehen.
Wie die erste kalte Nacht war, wollen wir von ihm wissen. «Die Heizungen funktionieren nur manchmal. Sie stellen immer wieder ab», beklagt sich Zeremariam. Vergangene Nacht wachten er und seine fünf Mitbewohner zitternd auf. Trotzdem sagen die Zeltbewohner: «Es ist okay.»
In deutschen Asyl-Zeltlagern harren über 40'000 Flüchtlinge in der Kälte. Angesichts des Ansturms auf Deutschland werden viele den Winter in Zelten verbringen müssen. Sie halten sich mit Seilhüpfen warm. In Aarau ist das Tempo eher lasch. Die Männer schlurfen in kurzen Hosen zum Dusch-Container. Die wenigsten tragen Socken in ihren Sandalen. Noch hat es ja keinen Schnee.
Bei der zuständigen Aargauer Behörde räumt man Probleme mit den Pelletheizungen ein. Der zuständige Sprecher Balz Bruder betont anders als die Bewohner: «Die Heizung funktioniert nur ausnahmsweise nicht. Keine Regel ohne Ausnahme!»
Die Tage verbringen die Zeltbewohner meist schlafend. Was sollen sie auch anderes tun? «Arbeiten dürfen wir nicht. Zweimal in der Woche haben wir Deutschunterricht bei Caritas», sagt Zeremariam. Die Männer gehen spazieren, spielen manchmal Fussball und kaufen für ihren täglichen Lebensbedarf ein. Mit 70 Franken pro Woche müssen sie über die Runden kommen. Nicht viel, denn mit Essen versorgt werden sie nicht.
Die Männer leben in den Zelten unter sich. Eritreer haben ein Zelt, Sudaner ein anderes und die Syrer teilen sich eines. Die Stimmung ist friedlich, der Umgang freundlich. Der 11-jährige Daniel hat von der Anwesenheit der Reporter gehört und mischt sich unter die älteren Männer. Auch er verliess mit seiner Familie das ostafrikanische Land Eritrea. Daniels Familie wohnt im Wohnheim und hat ein festes Dach über dem Kopf. Er ist froh, muss er nicht im Zelt übernachten.
In den Zelten leben nur alleinstehende Männer. Frauen und Kindern, Alten und Familien werden die Zelte nicht zugemutet. Daniel spricht Deutsch. Er geht in Aarau zur Schule und amtet gerne als Übersetzer. Im Wohnhaus sei zu wenig Platz für die Zeltbewohner, sagt er. Um Essen zuzubereiten, zu duschen oder Wäsche zu waschen, stehen den Zeltbewohner Container zur Verfügung, zum Essen das Essenszelt.
Von der europäischen Flüchtlingskrise ist die Schweiz nur am Rand betroffen. Trotzdem steigen auch hier die Zahlen. Die Behörden sind nicht selten bei der Suche nach Unterbringungsplätzen überfordert. Im Aargau bleibt man trotzdem dabei: Spätestens Anfang November ist Schluss mit dem Zeltlager. «Wir tun unser Möglichstes, dass wir die Menschen oberirdisch unterbringen können», sagt Balz Bruder. Trotzdem werde sein Kanton nicht darum herumkommen, Menschen in unterirdischen Anlagen ohne Tageslicht, zum Beispiel in Zivilschutzanlagen, unterzubringen, stellt er klar.
Dann sind Zeremariam und seine Freunde zwar die Zelte los, dafür müssen sie in den Bunker. (aargauerzeitung.ch)