Über 1000 Bussen am Tag: Birsfelder «Durchgangszölle» ernten Kritik
Vor rund einem Monat begann Birsfelden mit einer automatisierten Durchfahrtskontrolle ausgewählter Quartiere, um gegen den Ausweichverkehr in den Quartierstrassen anzukommen. Die neusten Zahlen sind frappant: Über 1000 Fahrzeuge täglich missachten laut Gemeindemitteilung die Signalisation und nehmen eine rechtswidrige Abkürzung über Quartierstrassen. Viele wollen so dem Stau auf der A2 in Richtung Basel ausweichen.
Das neue Fahrverbot, mit dem die Gemeinde nun härter durchgreifen will, gilt rund um die Uhr und an allen Wochentagen. Das System erfasst über Kameras die Kontrollschilder von Autos bei der Ein- und Ausfahrt. Wer nach einer Einfahrt innerhalb von 15 Minuten bereits wieder von einer Ausfahrtskontrolle erfasst wird, erhält eine Busse von 100 Franken. Nummernschilder von Einwohnenden, Bussen oder Behörden sind als Ausnahmen hinterlegt.
Gemeinde wolle keine Mehreinnahmen
«Wir sind erstaunt über die hohen Zahlen. Die ersten Annahmen, die wir trafen, gingen von rund 15 Übertretungen am Tag aus», sagt die Gemeindevizepräsidentin Désirée Jaun (SP). Man sah sich deshalb bereits gezwungen, die personellen Ressourcen zur Bussenbearbeitung aufzustocken. Dafür seien aktuell über zwei Vollzeitstellen nötig. «Denn es wird konsequent gebüsst.» Darauf weise man nebst der Kommunikation im Vorfeld nun an den Zufahrten mit Signaltafeln, Signallampen und Leuchtbändern hin, um die Signalisation noch auffälliger zu gestalten.
Man habe auch die Navigationsdienste gebeten, die Beschränkungen in den Routenvorschlägen zu berücksichtigen – Anpassungen sollten demnächst umgesetzt werden. Die Gemeinde sei sich den Herausforderungen für Autofahrende zwar bewusst, appelliere aber «eindringlich, die neuen Regelungen zu beachten», führt Jaun aus. «Denn wir wollen damit nicht mehr Einnahmen generieren, sondern die Quartiere schützen.» Das Ziel sei mehr Sicherheit, weniger Lärm und eine höhere Lebensqualität. Man habe bereits positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung erhalten. «Wir werden die Situation aber laufend beobachten und auch die Wirksamkeit der Mindestaufenthaltsdauer prüfen.»
Es ist noch unbekannt, was das neue System für Gewerbetreibende bedeutet, die von Kunden profitieren, welche sich weniger als 15 Minuten im Quartier aufhalten. «Wir waren deshalb über die Einführung des neuen Systems weniger begeistert», gibt der Verein KMU Birsfelden auf Anfrage bekannt. Doch unterstütze er die grundlegende Absicht, die Quartiere zu entlasten und begrüsse die gute Kommunikation und Lösungsbereitschaft der Gemeinde. Rechtlich gibt es aus deren Sicht am System aber nichts mehr zu rütteln. «Die neuen Reglemente wurden gemeinsam mit dem Kanton erarbeitet», erklärt Désirée Jaun.
TCS äussert Zweifel an der Rechtlichkeit
«Wir bezweifeln, dass eine Mindestaufenthaltsdauer im öffentlichen Raum rechtlichen Bestand hat», erwidert Birgit Kron, Geschäftsführerin des Touring Club (TCS) Sektion beider Basel. Man stehe bereits in Kontakt mit Mitgliedern, die gegen die Bussen vorgehen. «Wir werden diese unterstützen und sind gespannt, wie ein Gericht diese Bussenpraxis beurteilt.» Zudem sei Beschilderung mangelhaft und sie habe diverse Zuschriften von Leuten erhalten, die das System nicht verstehen.
Der TCS fechte aber auch die gesamte Herangehensweise an: «Wer Durchgangszölle erhebt, um die Gemeindekasse aufzubessern, löst das Verkehrsproblem nicht. Würden alle Gemeinden damit beginnen, wären wir wieder im Mittelalter.» Dass Birsfelden noch immer unter dem Verkehrschaos leide, kann Kron nachvollziehen. Sie erinnert jedoch an das Nein zum Rheintunnel, der die Gemeinde ihrer Meinung nach langfristig entlastet hätte. Dieser wurde im vergangenen November aber vom Schweizer Stimmvolk – einschliesslich einer deutlichen Mehrheit in Birsfelden – versenkt. Für den TCS stehe also fest: «Einzig ein Ausbau der Hauptverkehrsachsen kann das Problem langfristig lösen.» (bzbasel.ch)