Nach den jüngsten Entwicklungen zu den Corona-Indiskretionen aus dem Departement von Alain Berset wächst die Kritik am SP-Bundesrat. Seine Partei hatte ihn am Freitagabend in der «Arena» noch in Schutz genommen, SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagte, es sei bei den Indiskretionen ja eigentlich nur um zwei relevante E-Mails gegangen.
Doch die «Schweiz am Wochenende» publizierte am Samstag dann eine Vielzahl von E-Mails von Bersets damaligem Kommunikationschef Peter Lauener an Ringier-Chef Marc Walder, was Zweifel am Unwissen von Berset aufkommen liess. Nachdem sich die Spitzen der grossen Parteien zunächst zurückhaltend gegeben hatten, verschärften sie nun den Ton. Dies auch in der Mitte-Partei. Die die «SonntagsZeitung »titelt: «Berset gefährdet seine Wiederwahl». Bürgerliche forderten vom Bundespräsidenten Transparenz, bei Bestätigung der Vorwürfe müsse er zurücktreten.
Die Zeitung zitiert den Luzerner Mitte-Nationalrat Leo Müller: «Die Basis von Berset im Parlament sinkt. Er vergleicht den angeschlagenen Bundesrat mit einem «Sportler, der Doping einsetzt, um gute Resultate zu erzielen.» Ein solches Verhalten müsse auch in der Politik Folgen haben, findet Müller.
Und Mitte-Nationalrat Alois Gmür, der Berset im Dezember noch gewählt hatte, fordert im gleichen Artikel: «Wenn sich in der Untersuchung bestätigt, dass Berset etwas gewusst hat, muss er zurücktreten.»
Selbst an der Basis der SP regt sich erste Kritik. So sagte der Aargauer alt Regierungsrat Silvio Bircher in einem Beitrag der SRF-Tagesschau vom Samstag: «Ich bin überzeugt dass die Haltung Alain Bersets der Partei schadet.» Auch SP-Bundesräte müssten sich an die Regeln der Kollegialität halten, sagte Bircher.
Mittlerweile haben auch die Ringier-Medien das Thema aufgenommen. Bisher hatten diese abgesehen von einem Statement von Chefredaktor Christian Dorer kaum über die Affäre berichtet. Nun erstreckt sich die Berichterstattung des «SonntagsBlicks» zu den «Corona-Leaks» gleich über vier Seiten. Darin beschäftigt sich das Blatt vor allem mit der Reaktion der SVP: Diese habe «Beisshemmungen», so die Schlagzeile. Als Grund dafür vermutet die Zeitung Bedenken wegen der bisher grossen Popularität des Bundesrates.
Zitiert wird Polit-Forscher Michael Hermann. Dieser erinnert an die harschen Töne, die etwa Fraktionschef Thomas Aeschi oder Partei-Doyen Christoph Blocher während der Pandemie angeschlagen hatten. «Als die SVP Berset als Diktator bezeichnete, ging der Schuss nach hinten los», so Hermanns Analyse im «SonntagsBlick». Nun hüte sich die Partei offenbar, «grobes Geschütz aufzufahren». Anders sieht es die SVP-nahe «Weltwoche», die am Wochenende auf ihrer Online-Seite titelte: «Die Schlinge zieht sich zu, Alain Bersets Strategie ist gescheitert.»
Und die SP-Parteileitung? In der «Samstagsrundschau» von Radio SRF sprach Co-Präsident Cédric Wermuth von einer «politischen Kampagne» und von «Heuchelei». Die Landesregierung sei seit längerem «ein Sieb», Berset habe in der Pandemie «einen hervorragenden Job» gemacht. Dabei habe es «eine Informationsauseinandersetzung auf höchster Ebene» gegeben.
SP-Nationalrätin Jacqueline Badran wurde in der SRF-Arena vom Freitag noch etwas konkreter und liess das Wort «SVP-Filz» fallen. Die« NZZ am Sonntag» sieht darin eine «Verteidigungslinie» der Sozialdemokraten und nennt als deren wichtigste Punkte «Selbstviktimisierung und Verschwörungstheorie».
Sie verweist auf einen Bericht der linken «Wochen-Zeitung», in dem die Ehe der Präsidentin der Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft (AB-BA) zum Thema gemacht wird: Diese sei die Frau des SVP-Werbers Alexander Segert, der wiederum mit dem Badge von SVP-Nationalrat und GPK-Mitglied Alfred Heer Zugang zum Bundeshaus habe. Heer aber sei ein alter Fraktionskollege von Sonderermittler Peter Marti, der die brisanten E-Mails sichergestellt hat. Und alle seien mit der grauen SVP-Eminenz Christoph Mörgeli bekannt.
Alexia Heine sagt der NZZ dazu, ihre Behörde sei nicht in die Verfahren der Bundesanwaltschaft informiert. Die «gebotene Vertraulichkeit» halte sie ausserdem in allen beruflichen Angelegenheiten hoch, auch gegenüber ihrem Mann. Dieser bezeichnet die Filz-Vorwürfe gegenüber der NZZ als skandalös frauenfeindlich.
Alain Berset soll laut Informationen von CH Media am Mittwoch im Bundesrat seinen Kolleginnen und Kollegen Red und Antwort stehen müssen. Er soll erklären, welche Rolle er selbst bei Indiskretionen seines damaligen Kommunikationschefs Peter Lauener gespielt hat. Dieser soll Ringier-Verlagschef Marc Walder während der Pandemie wiederholt vertrauliche Informationen aus dem Bundesrat zugesteckt haben, etwa zu Entscheiden über anstehende Coronamassnahmen oder den Kauf von Impfstoffen. Letzteres interessiert auch die Finanzmarktaufsichtsbehörde Finma.
Einzelne Bundesräte zeigten sich nach Informationen von CH Media «schockiert und entrüstet» über Bersets nun bekannt gewordenes Vorgehen während der Coronakrise. Sie sehen die Handlungsfähigkeit des Bundespräsidenten in Frage gestellt. Denn die Vorwürfe sind geeignet, einen weit schwereren Verdacht in den Raum zu stellen. «Das Vertrauen ist zerstört in Alain Berset», sagte etwa «Nebelspalter»-Chef Markus Somm in der «Arena»: Der Bundesrat sei «stark unter Druck gesetzt» worden. Das wisse er von einer guten Quelle.
Bekannt sollte Bersets Kollegen der Wortlaut des E-Mail-Verkehrs zwischen dem Departement Berset und dem Medienhaus bisher nur aus den Medien sein: Lauener hat veranlasst, dass bei ihm beschlagnahmte Daten versiegelt werden und von Sonderermittler Peter Marti nicht eingesehen werden können. Über eine Entsiegelung entscheidet das Zwangsmassnahmengericht Bern.
Laut einem weiteren Bericht der «SonntagsZeitung» soll dieser Entscheid nun unmittelbar bevorstehen. Die letzten Eingaben seien gemacht und der Schriftverkehr damit abgeschlossen, heisst es in dem Artikel. In diesem wird auch die Parteimitgliedschaft von Gerichtspräsidentin Lorena Rampa thematisiert: Sie ist bei der SP. «Fragen zu meiner Person werden aus naheliegenden Gründen keine beantwortet», wird Rampa in der «SonntagsZeitung »zitiert. Verfahren würden aber jeweils so rasch wie möglich geführt.