Der «Charme» des Bundesrats basiert auf der Konkordanz. Die vier stärksten Parteien im Parlament sind in die vergleichsweise kleine Landesregierung eingebunden. Daraus sollen mehrheitsfähige Beschlüsse entstehen, die in einer Volksabstimmung bestehen können. Soweit die Theorie. In der Realität ist alles ein wenig komplizierter.
In letzter Zeit aber scheint das austarierte System aus der Balance zu geraten. Immer öfter hört man Klagen über die Dominanz der rechtsbürgerlichen Mehrheit von SVP und FDP. Diese «Viererbande» setze ihre Anliegen ohne Rücksicht auf SP und Mitte durch. Der Frust darüber soll zum Rücktritt von Verteidigungsministerin Viola Amherd beigetragen haben.
Die Mitte-Bundesrätin habe sich im Machtkampf mit Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) um das Armeebudget aufgerieben, hiess es. Einen Eindruck erhielt man an der Präsidialfeier für Keller-Sutter im Dezember in Wil SG, an der Noch-Bundespräsidentin Amherd auftrat und ihre launige Rede mit Spitzen gegen ihre Nachfolgerin garnierte.
Der Streit kulminierte im letzten September. Damals soll sich Amherd gemäss CH Media geweigert haben, zusammen mit Keller-Sutter und Albert Rösti die Eckwerte des Sparprogramms zu präsentieren, das auf dem Bericht der Expertengruppe Gaillard basiert. An ihrer Stelle musste Elisabeth Baume-Schneider die undankbare Aufgabe übernehmen.
Keller-Sutter und Rösti gelten als starkes Duo im rechten Viererblock, mit Guy Parmelin (SVP) und Ignazio Cassis (FDP) im «Schlepptau». Auch in der Bevölkerung ist diese Ansicht verbreitet, das zeigt eine Sotomo-Umfrage vom Dezember. Bei der Frage nach dem Einfluss der Bundesratsmitglieder liegen Rösti und Keller-Sutter mit Abstand an der Spitze.
Ihnen wird nachgesagt, dass sie ihre Anliegen, wenn nötig, rücksichtslos durchsetzen, und das nicht nur in der Finanz- oder Sparpolitik. Bei der Finanzierung der 13. AHV-Rente hätten Baume-Schneider und ihr Innendepartement eine Kombination aus Lohnprozenten und Mehrwertsteuer bevorzugt, doch der Bundesrat beschloss eine reine Mehrwertsteuerlösung.
Bei der Minderheit von SP und Mitte ist der Unmut gross. Der Bundesrat setze aktuell zu stark auf die Macht des Viererblocks aus SVP und FDP, monierte Mitte-Präsident Gerhard Pfister in der «Sonntagszeitung»: «Das ist umso problematischer, als dies weder den Mehrheitsverhältnissen im Parlament noch dem Willen der Stimmbevölkerung entspricht.»
Fraktionschef Philipp Matthias Bregy doppelte in der «NZZ am Sonntag» nach: «Der starre Viererblock im Bundesrat aus FDP und SVP ist für die politische Ausgewogenheit im Land nicht ideal. Die vier bringen alles durch, wenn sie es wollen.» Hinter diesen Aussagen steckt viel Parteitaktik: Die Mitte will mittel- bis langfristig der FDP einen Sitz abnehmen.
Es wäre die Revanche für den Sitzverlust 2003, als die damalige CVP-Bundesrätin Ruth Metzler von SVP und FDP abgewählt wurde, zugunsten von Christoph Blocher. Schon damals gab es die Befürchtung, die SVP/FDP-Viererbande werde «durchregieren». Stattdessen lieferten sich Blocher und Pascal Couchepin (FDP) einen permanenten Machtkampf.
Nach dem achtjährigen «Intermezzo» mit Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) wurde der rechte Viererblock 2015 erneut installiert. Vorerst war dies kein grosses Thema. Das änderte sich 2018, als der behäbige Berner Freisinnige Johann Schneider-Ammann durch die macht- und gestaltungsbewusste Ostschweizerin Karin Keller-Sutter abgelöst wurde.
Ihren perfekten Partner fand sie in Albert Rösti (SVP), der 2022 für Ueli Maurer in den Bundesrat gewählt wurde. Er brachte das Umwelt- und Verkehrsdepartement UVEK nach dem Motto «umgänglich im Ton, hart in der Sache» auf Rechtskurs. Gemeinsam mit Parmelin und Cassis gelingt dies der Viererbande zunehmend auch im Gesamtbundesrat.
Allerdings hat jede Medaille zwei Seiten. Die Stärke des rechtsbürgerlichen Blocks reflektiert auch die Schwäche der übrigen Mitglieder. Das zeigte sich bei einem Gespräch mit einem ehemaligen Bundesrats-Insider. Angesprochen auf die Favoritenrolle von Martin Candinas für die Amherd-Nachfolge verwarf er die Hände: «Bitte nicht noch eine schwache Figur!»
Damit spielte er auf die fehlende Führungserfahrung der Bündner Frohnatur an. Dennoch war es eine bemerkenswerte Aussage, denn der Insider war selbst im Umfeld des rechten Viererblocks tätig. Keller-Sutter und Rösti können nach seiner Meinung auch deshalb schalten und walten, weil sie kaum Gegenspieler auf Augenhöhe haben.
Das gilt besonders für das SP-Duo. Alain Berset war ein «Alphatier», er konnte Karin Keller-Sutter Paroli bieten. Auch Simonetta Sommaruga war eine starke Figur. Elisabeth Baume-Schneider hingegen dürfte das Image eines Leichtgewichts kaum loswerden, und auch Beat Jans tut sich bislang nicht nur wegen des ungeliebten Departements schwer.
Umso wünschenswerter wäre es, wenn die Mitte für die Amherd-Nachfolge eine Person mit Format finden würde. Gerhard Pfister und Philipp Matthias Bregy traut man dies zu, doch beide haben sich aus dem Rennen genommen. Gleiches gilt für andere Favoriten, darunter Candinas. Das muss noch nichts heissen, aber es ist keine ideale Ausgangslage.
Uneingeschränkt ist die Macht des Viererblocks aber nicht. Dafür sorgt das schweizerische System mit der direkten Demokratie. Es verpasste Albert Rösti im November beim Autobahnausbau eine schmerzhafte Niederlage. Und ob Keller-Sutter mit ihrem Sparplan durchkommt, ist alles andere als sicher. Sie könnte damit schon im Parlament auflaufen.
Im Prinzip undemokratische Bande.