Das Covid-19-Virus ist ein unsichtbarer Feind, der sich nicht nur auf Oberflächen und Lungenflügeln festsetzt, sondern auch in unseren Köpfen. Und unser Leben in den letzten Wochen auf den Kopf gestellt hat. Mit teils dramatischen Folgen.
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Die Universität Basel wollte wissen, was das Coronavirus mit der Psyche macht. Und führt mit der «Swiss Corona Stress Study» derzeit eine gross angelegte, schweizweite Studie durch. Über 10000 Personen in der Schweiz haben an der Umfrage bisher teilgenommen, erste Ergebnisse liegen nun vor. Und sie sind erschreckend: In der erhobenen Phase des Lockdown hat sich die Häufigkeit von schweren depressiven Symptomen fast verdreifacht.
Auffällig: 20 Prozent der Befragten mit schweren depressiven Symptomen im Lockdown hatten vor der Coronakrise keine oder minimale depressive Symptome. Bei 80 Prozent hat sich eine bereits bestehende depressive Symptomatik verschlimmert.
Konkret heisst das: Jeder Fünfte hat neu, bedingt durch die Krise, überhaupt Symptome entwickelt. «Bei einigen haben die Symptome sehr rasch zugenommen, innerhalb von rund zwei, drei Wochen nach Beginn des Lockdown», sagt Dominique de Quervain, Neurowissenschafter und Initiator der Studie. «Die Symptome können nun genau so schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetreten sind – oder aber chronisch werden.»
Zukunftsprognosen seien schwer möglich, da niemand wisse, was die Corona-Zeit mit den Leuten mache. Doch klar ist: «Gerade diese Übergangsphase, in die wir nun kommen, kann für gewisse Menschen erst recht gefährlich werden.» Denn alte Stressfaktoren, wie beispielsweise Druck bei der Arbeit, würden wieder ins Leben treten, Erholung und soziale Kontakte sind jedoch weiterhin eingeschränkt. «Deshalb ist es wichtig, für das Thema sensibilisiert zu sein. Und sich, wenn sich die Symptome nicht bessern, professionelle Hilfe zu holen», sagt de Quervain.
Auch die Stiftung Pro Mente Sana hat einen markanten Anstieg an Beratungsgesprächen zu verzeichnen. Man habe das Beratungsangebot aufs Wochenende ausgedehnt, ist nun auch am Samstag und Sonntag im Gespräch. Die Klientel, sagt Geschäftsleiter Roger Staub, unterscheide sich auffällig gegenüber Zeiten vor der Krise. «Rund die Hälfte aller Anrufe sind von Menschen ohne einschlägige psychiatrische Vorgeschichte», sagt er.
Staub sieht in der aktuellen Situation einen Nährboden für die Ausbildung von chronischen psychischen Erkrankungen. «Es rufen Leute an, die sich nicht mehr aus dem Haus trauen, deren soziale Ängste zunehmen. Die alles desinfizieren müssen, die einen Waschzwang entwickeln», sagt Staub. Knapp ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung leidet bereits an einer oder mehreren psychischen Erkrankungen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursachen die Folgen von Depressionen und Angststörungen weltweit Kosten von rund 1000 Milliarden Dollar pro Jahr. Vor allem für Leute, die schon vor der Krise psychisch labil waren, ist die Situation doppelt belastend.
Auch, weil sie während des Lockdown Behandlungsunterbrechungen in Kauf nehmen mussten. Die soziale Isolation und Gefühle von Einsamkeit können die negative Spirale oft noch verstärken, bis die Betroffenen keinen Ausweg mehr sehen. Was die Studie der Universität Basel auch zu Tage bringt: «Die Häufigkeit von Personen mit täglichen Suizidgedanken hat sich von 0,8 Prozent vor der Coronakrise auf 1,5 Prozent im Lockdown erhöht – also fast verdoppelt», sagt Neurowissenschaftler Dominique de Quervain.
Die Kommunikation des Bundes, sagt Roger Staub von Pro Mente Sana, sei gerade für psychisch labile Menschen nicht immer glücklich gewesen. «Bleiben Sie Zuhause» führe bei einigen nun eben auch dazu, dass sie übermässige Angst vor anderen Menschen entwickeln. «Soziale Phobien werden zunehmen», ist Staub überzeugt.
Und: «Die Gesellschaft unterschätzt noch völlig, was diese Coronakrise noch auslösen wird. Wir müssen mit Langzeitfolgen rechnen. Betroffene, Therapeuten, die ganze Gesellschaft. Das kollektive Trauma ist ein Stück weit bereits Realität, auch wenn im Moment alle das Gefühl haben, es sei alles wieder gut.» Die Resultate der Studie beziehen sich auf den Erhebungszeitraum vom 6. bis 8. April 2020. Die Studie sei statistisch hoch signifikant, schreibt die Universität.