Es ist ein Strategiewechsel von grosser Tragweite: In der Schweiz sollen alle Menschen, nicht nur über 65-Jährige, bald eine Auffrischungsimpfung erhalten. Dass dieser Strategiewechsel nun vorzeitig via Sonntagspresse bekannt geworden ist, stösst dem Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg (SVP) sauer auf: «Total dilettantisch» nennt er das Vorgehen, spricht von einem «weiteren Kommunikationsflop.»
Einer der Gründe für Schneggs Ärger: Am Mittwoch ist ein Treffen zwischen den Kantonen und dem Innendepartement von Gesundheitsminister Alain Berset (SP) geplant. Traktandiert sind auch die Booster-Impfungen. Doch jetzt ist die Sache bereits raus.
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Ganz überraschend kommt die Wende nicht. Der Druck ist seit letzter Woche nochmals deutlich angestiegen, eine dritte Impfdosis («Booster») für die breite Bevölkerung zuzulassen. Insbesondere aus der Wissenschaft. In der «Schweiz am Wochenende» machten sich führende Epidemiologen angesichts steigender Fallzahlen und vermehrter Impfdurchbrüche für eine Ausweitung der Booster-Kampagne stark.
Auch in der Politik wuchs zuletzt die Ungeduld. Am Samstag sagte Lukas Engelberger, oberster Gesundheitsdirektor, zu Radio SRF, er «zähle darauf», dass die Booster-Impfung rechtzeitig Personengruppen unter 65 Jahren freigegeben werde. Und Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) forderte in der «NZZ am Sonntag» eine Ausweitung auf die Gesamtbevölkerung.
Jetzt kommt das sehr schnell. Wie «SonntagsBlick» und «Sonntagszeitung» übereinstimmend berichteten, wird die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) ihre Empfehlung bezüglich Booster bald ausweiten. Ab wann und für wen genau, ist unklar. Deren Präsident Christoph Berger bestätigte am Sonntag gegenüber CH Media lediglich: «Wir werden die Booster-Impfung für Jüngere öffnen, sobald alle über 65-Jährigen, die das wollen, eine dritte Impfung bekommen konnten.»
Die Impfkommission hat die Auffrischungsimpfung bisher lediglich für Personen über 65 Jahre sowie Risikopatienten empfohlen. Noch am Donnerstag sagte Berger in der NZZ, die Position der Kommission sei klar: «Alle Personen unter 65 Jahren ausser Risikopatienten sind zurzeit gut geschützt». Der Nutzen einer Drittimpfung für Jüngere sei medizinisch nicht erwiesen.
Dass die Kantone, welche diese Impfungen organisieren müssen, nun vor dem Mittwochs-Treffen aus der Zeitung vom Strategiewechsel erfahren, kann laut dem Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg «einfach nicht sein». Mit dieser Art der Kommunikation entstehe der Eindruck, dass eine medizinische Entscheidung auf politischen Druck hin getroffen worden sei, sagt Schnegg:
Das Vorgehen sabotiere die Bemühungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus, so der Berner.
Auf Fragen zu den Vorwürfen Schneggs wollte EKIF-Präsident Berger am Sonntag nicht eingehen. Inhaltlich begrüsst der Berner Gesundheitsdirektor die angekündigte Ausweitung der Auffrischungsimpfungen auf Jüngere: «Das ist eine gute Sache», findet Schnegg. Wenn medizinische Gründe dafür sprechen, sei der Kanton Bern «selbstverständlich» dazu bereit und in der Lage, Jüngere ein drittes Mal zu impfen.
Die Kantone würden für die Booster-Kampagne die nötige Impfinfrastruktur bereitstellen, heisst es bei der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Das wichtigste Mittel bei der Bekämpfung der Pandemie bleibe aber eine möglichst hohe Durchimpfung der nicht-immunen Bevölkerung, weshalb die Impfoffensive auch nach der nationalen Impfwoche weitergehe, sagt GDK-Sprecher Tobias Bär.
Bei den Drittimpfungen haben zunächst über 65-Jährige, Heimbewohner und jüngeren Personen mit chronischen Erkrankungen mit höchstem Risiko Priorität. Dennoch begrüsst die GDK die Ausweitung der Booster-Empfehlung. Sprecher Tobias Bär sagt:
Voraussetzung dafür ist laut Bär allerdings eine klare Empfehlung der Impfkommission.
Bis diese erfolgt, bleibt unklar, ob die Drittimpfung für unter 65-Jährige im «Off-Label-Use» durchgeführt werden. Damit gemeint ist, wenn Medikamente oder Impfungen mit Zustimmung der betroffenen Personen eingesetzt werden, auch wenn für diese keine offizielle behördliche Zulassung zur Anwendung besteht.
Auf Anfrage teilt die Heilmittelbehörde Swissmedic mit, der Booster sei ohne Alterslimite zugelassen und auf immungeschwächte Personen und «besonders gefährdete Personen» beschränkt. Die Impfkommission bestimme, was sie mit der letztgenannter Gruppe meine: «Sie kann diese Gruppe für Personen ab 12 Jahren definieren», so Swissmedic. Fragen zur Off-Label-Thematik liess EKIF-Chef Berger am Sonntag unbeantwortet.
Wenn ich die Storyline in watson so verfolge, dann hat Herrn Schneggs Kollege, Guy Parmelin, dieses Vorgehen doch schon vor 2 Tagen angekündigt. Wenn nun die Impfkommision ebenfalls zu dem Entschluss kommt, ein Booster wäre gut, was wollen die Kantone gross mit entscheiden? Es ist Pandemie, ob sie wollen oder nicht, sie werden die Vorgaben des Bundes umsetzen müssen, im Interesse der Schweiz als Ganzes.
Erstimpfungen haben Priorität? Ja, schön, in der Theorie ist das so. Wenn es jetzt aber niemanden mehr hat, der sich impfen lassen will, dann ist man aufgeschmissen?
Nun haben wir wieder Millionen von Menschen, welche sich boostern lassen möchten und nicht können. Und die Kantone sind auch bestimmt wieder total überrascht, war ja absolut unvorhersehbar. Ich meine, alle Länder boostern, also warum sollte das in der Schweiz kommen? Ist trotz intensivem Beobachten wohl untergegangen. Kommunikation ist echt übel.