Die Zeit der Semesterprüfungen hat begonnen. Doch diesmal ist alles anders. Die Studierenden sitzen nicht in Hörsälen unter den wachsamen Augen und Ohren einer Aufsichtsperson, sondern schreiben ihre Prüfung allein zu Hause.
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Allein – wirklich? Sicherzustellen, dass niemand fremde Hilfe beansprucht, ist unter diesen Umständen schwierig. Erfahrung damit hat die Fernfachhochschule Schweiz, die bereits vor der Coronakrise in kleinerem Rahmen Fernprüfungen durchgeführt hat.
Wer die Prüfung ablegt, muss sich mit der Legitimationskarte der Schule vor der Webcam ausweisen. Dann wird die Kamera durchs Zimmer geschwenkt – nirgends darf ein zweiter Bildschirm stehen oder ein Smartphone liegen. Danach ist die Webcam während der gesamten Prüfung aufs Gesicht gerichtet. Eine Software zeichnet das Ganze auf.
Willi Bernhard vom Departement Informatik sagt: «Derzeit schauen wir noch alle Videos manuell durch. Wir sind aber daran, Software zu entwickeln, die uns mittels künstlicher Intelligenz dabei unterstützt.» Sie soll in Zukunft automatisch erkennen, wenn eine zweite Person im Raum auftaucht, eine Studentin telefoniert oder ein Student verdächtig oft zur Seite guckt.
Solange die Aufnahmen aber erst im Nachhinein begutachtet werden, kann der Student nicht während der Prüfung gefragt werden, weshalb er seinen Kopf ständig abwendet. Zudem müssen fürs Aufnehmen Fragen des Datenschutzes geklärt werden.
Eine andere Form der Aufsicht kommt bei den aktuellen Semesterendprüfungen an der ETH Zürich zum Einsatz. Dort können die Studierenden live mit einer Videokonferenz-Software beaufsichtigt werden: Eine Aufsichtsperson der Hochschule überwacht am Bildschirm jeweils eine Gruppe Studierender.
Nicht sichtbar ist dabei, was die Studierenden alles auf ihrem Bildschirm haben. Wie kann also verhindert werden, dass sie per E-Mail ihre Resultate vergleichen oder via Chat eine Kollegin aus einem höheren Semester um Hilfe fragen? Dazu gibt es technische Lösungen.
In diversen Hochschulen wird beispielsweise ein spezieller Prüfungsbrowser verwendet, der den Computer weitgehend blockiert und nur diejenigen Aktivitäten zulässt, die für das Ablegen der Prüfung nötig sind. Er verhindert unter anderem, dass Chatprogramme gestartet oder im Internetbrowser neue Fenster geöffnet werden.
Für einen pragmatischen Ansatz hat sich die Universität Zürich – mit rund 27000 Studierenden die grösste Uni der Schweiz – entschieden: Bei schriftlichen Prüfungen, die von zu Hause aus geschrieben werden, dürfen grundsätzlich Hilfsmittel verwendet werden. Die Studentin dürfte also während der Prüfung das Internet durchforsten, der Student stapelweise Bücher und Spickzettel konsultieren.
Ob ihnen dies einen Vorteil bringt, ist eine andere Frage – für ausufernde Recherchen wird ihnen die Zeit fehlen. Auf jeden Fall ist diese Variante garantiert fair. Wo nichts verboten ist, kann auch nicht gemogelt werden.
Ganz alles ist aber auch den Studierenden der Uni Zürich nicht erlaubt: Sie müssen ihre Prüfungen selbstverständlich selber schreiben und dürfen sich dabei mit niemandem austauschen. Dazu müssen sie auch einen Ehrenkodex bestätigten. Direkt überprüft wird es bei den meisten Onlineprüfungen nicht.
«Schummeleien sollen über mehrere unterschiedliche Prüfungsabläufe und über die verfügbare Zeit pro Antwort vermieden werden», lässt die Universität Zürich gegenüber CH Media verlauten.
Zum Beispiel können Fragen bei den Prüfungsteilnehmenden in unterschiedlicher Reihenfolge gestellt werden oder bei Multiple Choice die Antwortmöglichkeiten variieren. In gewissen Fachgebieten können auch Antworten verlangt werden, die von den Studierenden in eigenen Worten formuliert sind und zeigen, dass der Stoff verstanden wurde.
Für jede und jeden eine individuelle Prüfung erstellen – das tönt nach enormem Aufwand. Doch gefragt ist dies nicht nur in der aktuellen Situation, auch bei einer klassischen Prüfung erschwert es das Abschreiben. Software wie die bekannte Lernplattform Moodle bietet dabei Unterstützung.
Thomas Piendl von der Abteilung Lehrentwicklung und -technologie der ETH Zürich sagt: «Bei uns gibt es sowohl Dozierende, die schon länger mit randomisierten Fragen in Onlineprüfungen in Moodle arbeiten, als auch solche, die diese Fragetypen aktuell erstmals anwenden.»
Dabei werden die exakten Fragestellungen oder die Antwortmöglichkeiten von einer Software nach Zufallsprinzip ausgewählt. So wird der Studentin Anna dieselbe Aufgabe mit anderen Zahlen gestellt als dem Studenten Anton.
Das Verhindern von Schummeleien ist aber nicht die einzige Herausforderung, mit der die Hochschulen nun konfrontiert sind. Wie wird zum Beispiel damit umgegangen, wenn bei jemandem die Internetverbindung während der Prüfung abbricht?
Um von vornherein sicherzustellen, dass den Studierenden durch die ausserordentliche Situation kein Nachteil entsteht, haben viele Hochschulen einen aussergewöhnlichen Entscheid getroffen: Missratene Prüfungen werden annulliert, also nicht als gescheiterter Versuch gewertet. Das gilt zum Beispiel an der ETH Zürich.
Eine einheitliche Regelung dazu gibt es aber nicht. So wertet die Universität Luzern Fehlversuche auch dieses Jahr grundsätzlich wie gewohnt – im Einvernehmen mit der Studierendenorganisation. In Härtefällen sollen individuelle Lösungen gefunden werden.
Dozierenden, welche die Schwierigkeiten umgehen wollen, bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder wandeln sie die schriftliche in eine mündliche Prüfung um, die sich weit einfacher per Videokonferenz abhalten lässt. Oder sie verschieben die Prüfung. Voraussichtlich dürfen die Hochschulen am 8. Juni wieder ihre Türen öffnen. Vollkommene Sicherheit gibt es auch dann nicht – geschummelt werden kann auch im Hörsaal. (aargauerzeitung.ch)