Verschmierte Böden, mit Corona-Sprüchen vertaggte Wände: Die Bahnhofsunterführung in Belp BE gibt dieser Tage ein tristes Bild ab, wie ein Augenschein des watson-Reporters zeigt. Laut Anwohnern kommen fast täglich neue Schmierereien dazu.
Die Vandalenakte in der Berner Vorortsgemeinde sind kein Einzelfall: «Wir stellen seit Ausbruch der Corona-Krise im März eine starke Zunahme von Graffitis und Sachbeschädigungen fest. Und zwar an Bahnhöfen wie auch in und an unseren Zügen», sagt Helene Soltermann, Sprecherin der BLS, welche die S-Bahn Bern betreibt. In manchen Zügen seien Sitze aufgeschlitzt worden.
Was steckt dahinter? Ein Problem dürfte sein, dass wegen des Lockdowns alle Jugendtreffs und Bars geschlossen sind. So mutieren die Shops an Bahnhöfen zu Hotspots für gelangweilte Teenager. Zudem sind praktisch keine Passagiere mehr unterwegs. «Die soziale Kontrolle funktioniert darum wohl weniger», konstatiert Soltermann.
Ob auch die SBB von vermehrten Vandalenakten betroffen sind, ist derzeit unklar. Auf watson-Anfrage können die Bundesbahnen keine Auskunft geben, ob sich die Anzahl der Graffitis und Sachbeschädigungen in den letzten Wochen verändert hat. SBB-Sprecherin Sabine Baumgartner betont, dass trotz stark ausgedünntem Fahrplan gleich viel (Sicherheits-)Personal wie normal unterwegs sei.
Zumindest Langfinger treiben in Intercitys vermehrt ihr Unwesen: «Es gibt mehr Meldungen von Taschendieben. Bitte achtet auf euer Gepäck», gab am Mittwoch ein Zugbegleiter zwischen Bern und Zürich per Lautsprecher durch.
Zurück nach Belp. An diesem Abend macht es sich eine Gruppe Jugendlicher mit hochgezogenen Kapuzenpullis auf einem Bänkli vor dem Bahnhof Belp gemütlich. Eine Zigi in der linken Hand, ein Eistee in der Rechten. Sie sitzen dicht nebeneinander, von Social-Distancing keine Spur.
Dies ist nicht nur im Kanton Bern ein Problem. In St.Gallen hagelte es bei der Polizei Reklamationen wegen Teenager- Ansammlungen vor den Bahnhofsläden und Tankstellen. «Es ist schwierig, dass sich die jungen Leute dort an die Regeln halten. Die Gruppierungen werden immer grösser und sie halten den Abstand nicht ein», sagt Kapo-Sprecher Hanspeter Krüsi zu FM1. Auch die Kantonspolizei Bern stelle fest, dass sich vorwiegend Jugendliche trotz Abstandsregeln in grossen und kleineren Gruppen treffen. Man verzeichne indes momentan keine entsprechende Tendenz, dass in diesem Zusammenhang zunehmend Sachbeschädigungen verübt würden, so Kapo-Sprecherin Jolanda Egger.
Warum ist es für die Jugendlichen so schwer, sich mit den Corona-Einschränkungen abzufinden? Wir haben bei Marcus Casutt, Geschäftsleiter der offenen Jugendarbeit Schweiz, nachgefragt.
Herr Casutt, warum trifft der Corona-Lockdown die Jugendlichen besonders hart?
In der Pubertät lösen sich die Jugendlichen von den Eltern ab, das Bedürfnis nach Autonomie ist sehr gross. Soziale Kontakte mit Gleichaltrigen und Erfahrungen ausserhalb des Elternhauses sind in dieser Lebensphase elementar. Nach mehreren Wochen zu Hause fällt einigen sicher die Decke auf den Kopf. Irgendeinmal reichen Whatsapp-Chats mit Kollegen einfach nicht mehr. Es kommt natürlich auch sehr drauf an, wie das Verhältnis in der eigenen Familie ist. In manchen Haushalten ist die Situation sicher angespannt und Jugendliche sind durch die aktuelle Situation verunsichert. Eltern machen sich Sorgen wegen der Zukunft, die Reibungen verstärken sich. Da wollen die Jugendlichen natürlich erst recht rausgehen.
Laut Polizei halten vorwiegend Jugendliche die Abstandsregeln nicht ein und treffen sich weiter in grösseren Gruppen. Was ist der Grund?
Wie gesagt, persönliche Treffen sind für Pubertierende sehr wichtig. Natürlich versuchen Jugendliche, die Grenzen auszuloten. Das ist in normalen Zeiten nicht anders. Wir stellen aber fest, dass sich viele Teenager an die Abstandsregeln halten und sich etwa in Nachbarschaftshilfen stark engagieren.
Geschlossene Jugendtreffs, abgesagte Sportveranstaltungen. Jugendliche langweilen sich und kommen auf dumme Gedanken. Was kann die Jugendarbeit dagegen tun?
Vielen Jugendarbeitsstellen haben ihre Angebote in den digitalen Raum verlegt und bieten etwa Online-Jugendtreffs an. Auf diesen Plattformen können sich Teenager direkt mit Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern und mit anderen Jugendlichen austauschen. Wichtig ist aber auch festzuhalten, dass sich gerade Jugendliche in der Corona-Krise besonders stark engagieren und etwa für Risikogruppen Einkäufe erledigen. Und so etwas Abwechslung in den Alltag bringen.
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