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Joel, du hast die Reportage «17 Hammerschläge, 26 Messerstiche, zwei Tote: Wie sich der Horror in eine Familie einschlich» geschrieben. Wie gross war der Aufwand?
Joel Bedetti: Das ist schwierig ... Rein zeitlich gerechnet habe ich mehr als ein Jahr lang recherchiert. In reiner Arbeitszeit gerechnet betrug der Aufwand sicher sechs bis acht Wochen. Ich war insgesamt 15 mal in der Strafanstalt Pöschwies und habe Dimi besucht. Und ich habe zwei Tage in Göppingen, der Heimatstadt von Dimi und Diana, verbracht.
Da sind aber die emotionalen «Aufwendungen» noch nicht mit drin. Der Vater tötete seinen Hanfdealer, die Mutter – weil sie es nicht aushält, die «Mördergattin» zu sein – die gemeinsame Tochter Sara. Wie nahe ging dir das Schicksal dieser jungen Familie?
Bei den Gefängnisbesuchen konnte ich die Emotionen jeweils recht gut hinter mir lassen. Wenn die Schleuse hinter mir zuging und ich die Pöschwies verliess, liess ich auch das Schicksal von Dimi und seiner Familie hinter mir.
Wie gut kennst du Dimi?
Ich kenne ihn inzwischen sehr gut. Ich würde sagen, wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Ich habe auch viel mit Markus, seinem besten Freund, geredet. Dimi ist ein netter, guter Mensch, der einige falsche Entscheide getroffen hat. In einem anderen Leben hätte ich mit ihm im selben Fussballclub spielen können oder so – und ich hätte ihn sicher sympathisch gefunden.
Zurück zu den Emotionen ...
Beim Schreiben kamen die Emotionen am meisten hoch. Da kommt man mit dem Kopf nicht mehr hinaus. Ich hatte wirklich Zeiten, in denen ich schlecht abschalten konnte, wo mich die Geschichte so beschäftigt hat, dass sie mich im Halbschlaf verfolgt hat ...
Was macht man da?
Sofort aufschreiben, was einem durch den Kopf geht – egal, wie spät in der Nacht oder wie früh am Morgen es ist.
Beeinträchtigt sowas nicht das Privatleben? Du stehst mitten in der Nacht auf und schreibst dir deine Gedanken auf ...
Ja, in gewisser Weise schon. Aber mehr als das habe ich die Geschichte nicht an mich herangelassen.
Wie hast du das geschafft?
Ich habe sehr oft mit meinen Büro- und Berufskollegen darüber geredet, weil ich gemerkt habe, dass ich mich sonst vereinnahmen lasse – eben weil Dimi ein so netter Kerl ist. Die Sicht von Dritten, die ihn nicht kannten, half mir immer wieder, die Distanz zu wahren. Darauf habe ich Wert gelegt.
Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, diese Geschichte zu erzählen?
Um ehrlich zu sein: Ich wollte ursprünglich das «Breaking Bad der Schweiz» erzählen und in das Milieu der Schweizer
Hanfbauern und -besitzer eintauchen. Dieses Milieu wird ja immer krimineller, die Polizei greift härter ein, die Hanfbauern sind von unscheinbaren Gärtnern zu organisierten Kriminellen geworden. Der Handel ist immer mehr in den Händen von Ausländern.
Dazu ist es nicht gekommen. Warum nicht?
Ich erfuhr am Anfang meiner Recherchen vom Prozess gegen Dimi, der wegen des Mordes an seinem Kumpel und Hanfdealer Chang vor Gericht stand. Das hat mich interessiert, und ich habe mich, so gut es ging, an Dimis Fersen geheftet. Doch bevor der erste Besuch im Gefängnis zustande kam, erstach Diana die Tochter Sara.
Was passierte dann?
Es dauerte nochmals einige Monate, bis ich Dimi das erste Mal besuchen konnte. Von da an wollte ich einfach wissen, wie so etwas, so eine riesige Familientragödie, überhaupt passieren kann.
Du hast Dimi beschrieben. Wie ist Diana?
Ich hatte nie die Gelegenheit, sie persönlich zu treffen. Aber ich habe natürlich viel mit Dimi und gemeinsamen Freunden über Diana gesprochen, beispielsweise mit der Nachbarin, mit Hanna Winter aus Balterswil.
Und? Wie ist sie? Ein Drogenmädchen, das sich nicht vom Feiern abhalten lässt, oder ein «Huscheli», das mit zwei Kindern zuhause sitzt und unzufrieden ist?
Keins von beidem. Sie ist wohl eine nette und normale Frau. Das ist ja das Verrückte: Es deutete nichts auf diese Taten hin, weder bei Dimi noch bei Diana. Sie muss eine eher passive Frau sein, und hat sich meistens mitreissen lassen, bei den Drogen, bei den Partys. Man habe ihr immer einen Stups geben müssen, sagt Hanna Winter. Sie war wohl auch passiv-aggressiv, was dann wieder ihre Tat zumindest ein bisschen erklären würde.
Du hast deinen «Coup» mit dieser Reportage gelandet. Wie geht es jetzt weiter mit eurem Projekt Coup?
Wir sammeln immer noch kräftig Geld. Damit könnten wir wieder weitere Geschichten recherchieren und realisieren. Um solch aufwändigen Journalismus finanzieren zu können, haben wir die Plattform Coup gegründet. Wer auch künftig solche Geschichten lesen will, soll uns deshalb auf Wemakeit unterstützen! Die Kampagne dauert nur noch rund eine Woche.