CH-Game «Ground of Aces» wird Early-Access-Erfolg. Doch es braucht mehr
Moritz Zumbühl trommelt mit den Fingern nervös auf den Tisch. Immer wieder greift er zum Smartphone, rutscht unruhig auf seinem Bürostuhl hin und her. Der CEO des Zürcher Game-Studios Blindflug befindet sich im Call mit den Entwicklern. Der Konferenzraum ist karg, die Wände zieren unzählige Kritzeleien. Nur Marketing-Expertin Nuria ist vor Ort. Der Rest des Teams wird per Bildschirm zugeschaltet.
Anfang Juli erschien «Ground of Aces» als sogenanntes Early Access. So werden Games genannt, die zwar spielbar sind, sich aber noch tief in der Entwicklungsphase befinden. Am nächsten Mittwoch steht das erste grosse Update an. Es geht um viel – vielleicht um alles.
«Sind die neuen Features stabil genug, damit unser Ranking nicht taucht?», fragt Zumbühl in die Runde. Am Sonntag will er in einem Livestream einige Neuheiten vorstellen. «Nicht alle. Wir wollen ein bisschen teasen, Spannung aufbauen.» Ein Entwickler nach dem anderen versichert dem Chef, dass er sich keine Sorgen machen muss.
Sorgen gehören zum Geschäft – auch wenn «Ground of Aces» einen vielversprechenden Start hinlegte. 88 Prozent der über 600 Bewertungen auf der Game-Plattform Steam sind positiv. In den letzten 30 Tagen waren es gar 90 Prozent. Zumbühl und seine Truppe dürfen zu Recht stolz sein. Doch jetzt gilt es, den Schwung mitzunehmen und die Euphorie zu monetarisieren. Bewertungen zahlen keine Löhne: «Wir müssen Stückzahlen verkaufen. Wenn uns das nicht gelingt, heisst es ‹Game over›.» Positive Bewertungen sind dafür natürlich hilfreich.
Mit First Strike landete Blindflug vor Jahren einen Sensationshit. Zwölf Millionen Spieler zockten – und zocken teilweise immer noch – das atomare Schreckensszenario. Doch von vergangenen Erfolgen kann das Studio nicht leben. Games produzieren heisst in der Schweiz am Abgrund tanzen. Ein Fehltritt und der finale Absturz wird Tatsache.
Acht fest angestellte Schweizer Entwickler, Game-Designer, 3D-Künstler, Grafiker und Vermarkter beziehen bei Blindflug einen Schweizer Lohn. Drei Mitarbeiter leben im Ausland. Damit muss sich das Studio im globalen Markt behaupten, in dem die Fachkräfte günstiger sind, der Dollar für Schweizer immer wertloser wird – und vermehrt auf KI gesetzt wird: «Unser Game ist noch zu 100 Prozent handgefertigt. Es wird in der Art vermutlich das letzte sein», wagt Zumbühl eine Prognose.
Von Menschen für Menschen? Man müsste doch davon ausgehen, dass menschengemachte Spiele bevorzugt würden? Zumbühl lacht spöttisch: «Das sind leere Versprechungen – heisse Luft. Gefragt ist ein möglichst gutes Spiel zum möglichst tiefen Preis. Wie das zustande kommt, interessiert die Masse nicht.»
Aber es gibt sie: Die Spieler, die es interessiert, die sich auch in den Produktionsprozess einbringen, die aktive Community. Und auf die setzt Blindflug. 8000 Rückmeldungen wertete das Studio in der ersten Entwicklungsphase aus. Jeder Steam-Review wird analysiert. Das Team ist extrem nahe an seiner Kundschaft – über 8500 Arbeitsstunden wurden alleine in Community Building und Marketing investiert. Und das kommt zurück. Begeisterte Gamer aus aller Welt haben «Ground of Aces» in verschiedene Sprachen übersetzt: Katalanisch, Chinesisch, Niederländisch, Indonesisch. Bereits hat das Game eine weltweite Fan-Gemeinde.
Das Spiel ist ein klassischer Base Builder – ein Basen-Aufbauspiel. In diesem Fall: eine britische Luftbasis während des Zweiten Weltkriegs. Von hier aus werden Luftoperationen geflogen, Piloten ausgebildet, eine Flugabwehr gegen feindliche Angriffe installiert. Der Charme kommt von der Liebe zum Detail. Dabei orientiert sich Blindflug am «Tim und Struppi»-Stil, der frankobelgischen Comic-Stilrichtung Ligne claire (klare Linie), und an den Arbeiten des Comic-Zeichners Francis Bergèse. Der Franzose prägte das Genre des Flieger-Comics mit verschiedenen Titeln wie «Buck Danny» und «Biggles».
Zumbühl zaubert ein paar Comichefte aus dem Regal. Es sprudelt nun nur so aus ihm heraus, er schlägt Seiten auf, verweist auf Details, verweist auf seinen Grossvater, der ihn als Swissair-Pilot mit der Leidenschaft für die Fliegerei ansteckte, auf seine verstorbene Mutter, nach deren Tod er sich fragte, was er im Leben noch alles kreieren wolle.
Zuoberst auf der Liste landete ein Weltkriegs-Game im Bergèse-Stil. Es ist ein Herzensprojekt. Das ist deutlich spürbar.
Herzensprojekt ja, Soloprojekt nein. Bei Blindflug gibt es kein Ideenmonopol. So setzte sich Co-Gründer und Creative Director Jeremy Spillmann mit der Idee einer 3D-Variante durch. Zumbühl war 2D vorgeschwebt: «Zum Glück hat sich Jeremy durchgesetzt», sagt der CEO heute fröhlich.
Im Call drückt der omnibeschäftigte Zumbühl jetzt wieder auf seinem Smartphone herum. Gerade zeigt 3D Artist Brian seine neusten Werke, darunter auch eine futuristisch aussehende Trainingsmaschine. «Awesome!» Der CEO schiesst aus dem Stuhl hoch und schnippt in Richtung Nuria. «Niemand wird glauben, dass die damals wirklich so aussahen. Das braucht einen Post mit historischen Fotos. Das wird super!» Und schon wippt sein Bein wieder nervös auf und ab. Nuria notiert. Sie ist die Ruhe selbst und bildet mit dem zappeligen Zumbühl die perfekte Symbiose.
Mindestens vier grosse Updates will Blindflug dem Spiel noch hinzufügen. Ob das klappt, hängt einzig an den Verkaufszahlen. Eine Bruchlandung mit «Ground of Aces» kann sich das Studio nicht leisten. «Wer keine guten Nerven hat, sollte keine Games produzieren», sagt der Chef. Vielleicht braucht es gute Nerven. Vielleicht aber einfach auch nur sehr viel Leidenschaft. Und einen Schuss Craziness.
«Ground of Aces» gibt es bei Steam für 25 Franken.
«First Strike» im App Store.
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