Für die meisten Leute sind Corona-Fälle abstrakte Meldungen. Wann kommt der Code für die Covid-App? Wer muss in Quarantäne? Was dann geschieht, kann man sich auch sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie kaum vorstellen.
Die Kanti-Lehrerin Monika Stiller bringt Licht ins Dunkel. «Covid-19 hat unsere Familie erreicht»: Auf Twitter schreibt die Aargauerin ein viel beachtetes «Live-Protokoll» über ihre Erfahrungen. Die Zeitangaben bringen neue Erkenntnisse, wie zähflüssig das Contact-Tracing in der Schweiz nach wie vor funktioniert.
Stiller befindet sich in Quarantäne, nachdem ihr Sohn positiv auf das Virus getestet wurde. «Wegen Kopfschmerzen und asthmatischer Beschwerden hat er noch am Freitag einen Test gemacht, am Samstagabend dann das positive Ergebnis erhalten.»
Am vergangenen Freitag berichtete eines meiner Kinder (18) per Chat am Vormittag von den Symptomen eines Schulkollegen. Wegen Kopfschmerzen und asthmatischer Beschwerden hat er noch am Freitag einen Test gemacht, am Samstagabend dann das positive Ergebnis erhalten.
— Monika Stiller (@ichbinstiller) August 24, 2020
Vorbildlicherweise hat die Familie Stiller die SwissCovid-App auf ihrem Handy installiert. «Was mich wundert/irritiert: Sohn hat seinen positiven Befund seit 2 Tagen und wartet noch immer auf den Code, mit dem er dies an die Covid-App melden kann», schreibt sie am Montag weiter.
Die App sollte dann jene Personen warnen, welche sich möglicherweise angesteckt haben könnten. Die Codes können nur die Kantonsarztämter ausstellen.
Es dauerte nach dem positiven Test des Sohnes 42 Stunden, bis dieser von den Aargauer Behörden den entsprechenden Code für die SwissCovid-App erhält.
Zwei Stunden nachdem der Sohn den Code in die App eingegeben hat, meldet die SwissCovid-App von Monika Stiller eine «mögliche Ansteckung».
16 Stunden nach der App-Warnung ruft schliesslich ein Mitarbeiter des Contact-Tracing-Teams an und informiert Monika Stiller über den Corona-Fall ihres Sohnes und dass sie auf der Kontaktliste stehe.
Insgesamt dauert es also gut 60 Stunden vom positiven Testergebnis bis zum Anruf des kantonalen Contact-Tracers.
Gerade der Anruf vom Contact Tracing, weil ich auf der Kontaktliste meines Sohnes stehe.
— Monika Stiller (@ichbinstiller) August 25, 2020
"Ja, ich habe mitbekommen, dass er positiv ist."
Abgesehen von dieser kleinen Absurdität ein sehr freundliches, unterstützendes und informatives Gespräch.
Am Dienstag schaltet sich der Epidemiologe Marcel Salathé in die Diskussion ein. «Liebe Kantone, so läuft euch die Zeit davon. Die schnellste Technologie nützt nichts, wenn das Zuvor und das Danach dermassen langsam ist», schreibt er auf Twitter.
Auf Nachfrage von watson hinterfragt Salathé die von den kantonalen Behörden organisierten Contact-Tracing-Prozesse: «Wäre der Code gleich mit dem Testresultat ausgestellt worden, hätten die App-Kontakte schon nach zwei Stunden eine Meldung erhalten.»
Ein hoch lesenswerter COVID Thread von @ichbinstiller ("Covid-19 hat unsere Familie erreicht").
— Marcel Salathé (@marcelsalathe_d) August 25, 2020
Von Testresultat bis zu code für die @SwissCovid app: 42 Stunden (!!!)
Von Code Eingabe bis zur App-Benachrichtigung der Kontakte: 2h
Liebe Kantone: So läuft Euch die Zeit davon. pic.twitter.com/An70c2vmtn
Wieso dauerte es im aktuellen Fall von Familie Stiller so lange, bis der Code für die Covid-App gesendet wurde?
Auf Anfrage von watson sagte Sprecherin der kantonalen Verwaltung gegenüber, dass die zuständige Aargauer Gesundheitsbehörde sonntags jeweils keine Covidcodes ausstellt.
«Glücklicherweise» handle es sich im vorliegenden Fall «um eine Ausnahme», teilte die Mediensprecherin weiter mit.
Im Kanton Aargau würden neu infizierte Personen innerhalb von 24 Stunden vom Contact-Tracing-Center (CONTI) kontaktiert. Dabei würde der infizierten Person auch der COVID-Code abgegeben, sofern dieser gewünscht wird.
Die lange Zeitdauer ist übrigens kein Einzelfall. Anfang August sorgte in Genf ein Fall für Schlagzeilen, wo ein positiv getesteter Mann ganze zehn Tage auf seinen Code für die SwissCovid-App wartete. Der kantonsärztliche Dienst meldete sich erst bei ihm, nachdem er auf Twitter seinem Ärger öffentlich Luft gemacht hatte:
Exactly one week ago, I tested positive for COVID-19. Luckily, only mild symptoms so far. I have the @SwissCovid app. But still no code received. 🤔
— Johannes Schwarzer (@schwayo) August 7, 2020
Am Dienstagnachmittag kann Monika Stiller erstmals aufatmen. Per SMS wurde ihr mitgeteilt, dass ausser dem Sohn alle Familienmitglieder negativ getestet worden sind. Dem Sohn gehe es den Umständen entsprechend gut, sagt sie zu watson.
Warum hat aber Stiller eigentlich überhaupt öffentlich über ihren Fall berichtet? Stiller betont, dass sie mit ihren Tweets keineswegs die Arbeit des Kantons bewerten wolle. Es gehe ihr darum, ihre Kolleginnen und Kollegen über die Abläufe im Quarantänefall zu informieren.
Rethinking
Dazu kommen dann noch diejenigen, „die es schon immer so gemacht haben“...
Und letztlich noch all die schönen Gärtli und Silos, deren Könige ihre Reiche wie Löwen beschützen...
„When you digitize a shitty process, you have a shitty digital process“.
Dan Rifter
Aber andere Frage:
Weshalb steht der Beruf von Frau Stiller im Titel?
Ihr Beruf hat hier keinerlei Relevanz, es geht um die langsame Reaktionszeit der Kantonsärzte.
Rethinking
Absurd ist dies ganz und gar nicht. Viel mehr zeigt es auf, dass die Anonymität gewahrt bleibt.
Woher soll der Contact Tracer wissen, dass es sich bei der infizierten Person um jemand aus demselben Haushalt handelt?
Nur logisch weiss er das nicht...