Maurer hat mich (vorerst) überzeugt: Covid-Zertifikat könnte ein Erfolg werden
Zugegeben: Ich war skeptisch, was das Covid-Zertifikat anbelangt. Der Bund kündigte dieses vor gut zwei Monaten an und versprach, es noch vor den Sommerferien liefern zu wollen. Ein Auftrag musste dafür vergeben, der Code dazu programmiert und die Verantwortlichen einbezogen werden. Kommen Unternehmen, staatliche Behörden, politische Entscheidungswege dazu, dann wird's knapp.
Zweifel waren durchaus angebracht, angesichts der Fehler, die in der Informatik des Bundesamtes für Gesundheit passierten. Und sie wurden nicht kleiner, als ein anderes Bundesamt mit der technologischen Umsetzung beauftragt wurde. Wir verfolgten die Prozesse deshalb kritisch, soweit es angesichts der praktisch inexistenten Kommunikationsstrategie des Bundes möglich war.
Jetzt muss man feststellen: Der Bund hat sein Versprechen eingehalten und geliefert. Die Bundesbehörden präsentierten in den vergangenen Wochen ein Tempo in der Digitalisierung und konnten offene Fragen mehrheitlich beantworten:
- Wir wissen nun, dass in den bevölkerungsreichsten Kantonen bereits geimpfte Personen rasch und automatisiert ihr Zertifikat erhalten werden. Mit den 20 übrigen Kantonen, Hausärzt:innen und Impforten ist man im Kontakt.
- Wir wissen, dass offene und moderne Standards zum Zug kommen, die von allen Personen mit notwendigen IT-Kenntnissen nachvollzogen werden können.
- Wir sehen, dass an mögliche Fehler im ganzen Zertifizierungsprozess gedacht wurde und entsprechende Vorsichtsmassnahmen vorgenommen wurden.
Das sind ideale Voraussetzungen, dass das Covid-Zertifikat ab kommendem Montag und nach erfolgreicher Pilotphase nach und nach an alle Personen in der Schweiz ausgegeben werden kann. Vermutlich sogar noch vor der EU, die bezüglich der Technologie eigentlich Taktgeberin war!
Die Pflöcke, die nun vom Bund eingeschlagen wurden, sind die richtigen. Jetzt geht es aber um die Details und bei diesen sind vor allem die Kantone gefordert. Klappen auch diese – und so sieht es nach den Aussagen von Bundesrat Ueli Maurer zurzeit aus, könnte der Sommer tatsächlich toll werden.
Diese neue Einstellung des Bundes zur Digitalisierung lässt hoffen, dass es auch etwa bei der E-ID, beim elektronischen Patient:innen-Dosier oder papierlosen Verwaltung besser kommen wird. Die Fortschritte, die nun erzielt wurden, waren getrieben vom politischen Willen, das Richtige rasch und gut umsetzen zu wollen. Finanzielle Interessen aus der Wirtschaft wurden zum gesundheitlichen Wohl der Allgemeinheit vernachlässigt.
Was noch fehlt, ist ein stärkerer Fokus auf Transparenz und Datenschutz. Die Öffentlichkeit erlebte in kaum einer anderen Corona-Thematik eine so zögerliche Kommunikation, obschon sie zur Steigerung des Vertrauens ins Covid-Zertifikat nötig wäre. Offene Punkte hätten so früher offen angesprochen werden können, um Lösungsideen zu sammeln.
So etwa die Frage nach dem Datenmissbrauch. Nach aktuellem Stand wird es technisch möglich sein, dass Clubs, Event-Organisationen, Restaurants und Co. massenweise illegal Personendaten aus Covid-Zertifikaten auslesen und gleich speichern. «Privacy by Design», wo sowas technisch erschwert wird, sieht anders aus. Das merkte auch der Datenschützer des Bundes am Freitag an. Er forderte, dass eine Art «Light-Version des Zertifikats» zusätzlich eingeführt wird, damit etwa Zutrittskontrolleure einer Grossveranstaltung nicht auf dumme Ideen kommen.
Für die Akzeptanz des Covid-Zertifikats sind solche realen Bedenken eine Gefahr: Sie müssen jederzeit, offen und transparent angesprochen werden können. Sonst droht das Projekt, in Zeiten von viral verbreiteten Falschbehauptungen zu scheitern, weil sie das Vertrauen zerstören.
Die Bundesräte Maurer und Alain Berset sind deshalb gut beraten, wenn sie künftig bei komplexen Projekten weiterhin zusammenarbeiten, aber der Transparenz mehr Gewicht geben.