Jean-Philippe Yerly steht vor dem Freilaufstall seiner Kühe im800-Einwohner-Dorf Echarlens und lässt den Blick über das Greyerzerland gleiten: Im Vordergrund der Lac de Gruyère, dahinter die sanften Hügel, darüber die Berggipfel bis hin zum Moléson. Yerly ist einer von rund 1600 Bauern, die für den weltberühmten Greyerzer-Käse Milch produzieren. Und die in diesen Monaten die Launen von US-Präsident Donald Trump im eigenen Stall zu spüren bekommen.
Das Unheil kündigte sich schon im Januar an. In Washington wurde Donald Trump gerade feierlich als US-Präsident ins Amt eingeführt, da warnten die Affineure in der Romandie bereits ihre Milchproduzenten: «Sie sagten uns, dass wir wenn möglich Kühe abgeben sollten, an den Metzger oder die Viehhändler – und den Tierbestand sicher nicht ausbauen», erinnert sich Yerly. «Sie warnten, dass wir möglicherweise bald unsere Milchmenge reduzieren müssen.»
Die Affineure. Sie sind nach den Bauern und Käserinnen das dritte Glied in der Produktionskette des Gruyère. In der Regel kauft der Affineur einen drei Monate alten Greyerzer-Laib der Käserei ab, lagert ihn und lässt ihn mehrere Monate bis weit über ein Jahr reifen. Die Affineure sind es auch, die für den Verkauf des Käses verantwortlich sind. Im Inland, wo letztes Jahr über 16'000 Tonnen über den Ladentisch gingen. Aber auch im Export: Rund 7000 Tonnen Greyerzer gingen 2024 in die EU, 4300 Tonnen in die USA.
Mit ihren Kontakten in alle Welt sind die Affineure zugleich die Antennen der Greyerzer-Produzenten. Kein Wunder waren sie es, die zusammen mit der Sortenorganisation Gruyère AOP, in der Milchproduzenten, Käser und Affineure zusammengeschlossen sind, früh vor Trumps desaströser Zollpolitik warnten. Sie sollten Recht behalten.
Einer dieser Affineure ist Kevin Vonlanthen. Wir treffen ihn Ende August am Bahnhof Bulle. Es ist ein sonniger Montag. Auf Gleis 1 wird heute der «Fondue Moitié-Moitié Zug» feierlich eingeweiht. «Machen Sie keine halben Sachen – ausser beim Fondue» heisst der Slogan, der nebst den Bildern überdimensionierter Gruyère- und Vacherin-Käse den Zug ziert.
Es ist ein Stelldichein des Westschweizer Käse-Adels. Alt Ständerat Urs Schwaller ist da, als Präsident der Sortenorganisation Vacherin. Didier Castella, der Landwirtschaftsdirektor des Kantons Freiburg, hält eine launige Rede. Und auch der Chef der Sortenorganisation Gruyère AOP, Pierre-Ivan Guyot, freut sich, dass der Zug, der nun zwischen Bulle und Bern pendelt, in der Bundesstadt bei Tausenden Pendlerinnen und Pendlern Werbung machen wird. Nach den Reden gibt's Vacherin und Gruyère.
Kevin Vonlanthen, der Affineur, hält keine Rede. Doch im Gespräch schildert er, wie die letzten Monate sein Geschäft erschüttert haben. Und warum es für die Käsebranche besonders schwierig ist, sich auf Trumps Sprunghaftigkeit einzustellen.
«Wir lagern die jungen Laibe mindestens fünf bis neun Monate. Manche aber auch bis 18 Monate oder länger», sagt er. Wie lange genau, das hängt von auch der Beschaffenheit der Laibe ab, welche Kräuter die Kühe gefressen haben, wie der Käser die Milch verarbeitet hat. «Es ist wie beim Wein: Manche Laibe sind besser jung, andere werden mit längerer Lagerung besser.» Es ist ein Metier, das viel Kenntnis erfordert, Geduld und vor allem: Zeit. «Wir produzieren jetzt, was erst in einem halben Jahr oder später auf den Markt kommt.»
Das verträgt sich schlecht mit dem sanguinischen Charakter eines Präsidenten mit Weltherrscher-Anspruch. «Mit Trump können wir keine Pläne machen», sagt Affineur Vonlanthen. Seine Geschäftspartner in Amerika offensichtlich auch nicht: «Kurz nachdem Trump die Zölle im April ein erstes Mal auf 31 Prozent erhöht hat, wurden viele Reservationen annulliert.»
Die US-Importeure glaubten nicht, dass ihre Kundschaft die höheren Preise akzeptieren werde. Das galt umso mehr, nachdem Trump Anfang August nachlegte und die Strafzölle auf 39 Prozent erhöhte. Greyerzer galt in den USA schon zuvor als Luxusprodukt. Mit den Zöllen und der gleichzeitigen Stärkung des Frankens gegenüber dem Dollar wurde er im Laufe des Jahres für viele US-Bürgerinnen und -Bürger unerschwinglich.
Kevin Vonlanthen rechnet vor: «Im Januar erhielt ich vom Importeur pro Kilo Gruyère 15 Franken. Hinzu kamen die damals geltenden zehn Prozent Zoll plus Wechselkurs, ein Kilo kam also auf rund 18 Dollar zu stehen.» Mit Transport, Marge der Zwischenhändler und Personalkosten macht das für den US-Käseliebhaber im Laden 45 bis 50 Dollar pro Kilo. Mit dem 39-Prozent Strafzoll plus den zehn Prozent Grundzoll und dem viel ungünstigeren Wechselkurs «sind wir jetzt für den Import bei 28 bis 30 Dollar pro Kilo», sagt Exporteur und Affineur Vonlanthen. «Das führt im Geschäft für den US-Konsumenten zu einem Preis von 70 bis 90 Dollar.»
Vonlanthen befürchtet für das kommende Jahr einen Einbruch des US-Geschäfts um 60 Prozent, falls sich an der Zollfront nichts ändert. Für die Gesamtproduktion von Greyerzerkäse macht das gegen 7 Prozent aus. «Wir müssen neue Absatzmärkte finden», sagt der Affineur. Bloss geht das nicht von heute auf morgen. Was tun also?
Naheliegend wäre es, den Preis für den Käse zu senken. «Das kommt nicht infrage», sagt Pierre-Ivan Guyoz, Präsident der Sortenorganisation Gruyère AOP am Rande der Zugs-Einweihung in Bulle. «Wir haben drei Faktoren, die für den Gruyère entscheidend sind: die Qualität, der Preis und die Menge.» Und von den Milchproduzenten über die Käser bis zu den Affineuren herrscht Einigkeit: «Qualité et prix – on ne touche pas!»
Dank der Qualität ist Greyerzer weltweit gefragt, dank der Preise erhalten die Bauern die höchsten Preise, die für Käsereimilch bezahlt werden. Auch für Käser und Affineure lohnt sich das Geschäftsmodell. Bleiben zwei Möglichkeiten: Weniger Milch produzieren – oder andere Produkte herstellen.
Anruf beim Käser René Pernet von der Fromagerie Peney-le-Jorat (VD). Könnte die überschüssige Milch anders verwertet werden? «Nein», sagt der Fromager. «Schauen Sie: Ich habe heute Morgen 3500 Joghurt produziert, mit 500 Litern Milch. Mit dieser Menge produziere ich gerade einmal eineinhalb Laibe Gruyère.» Kurz: So viele Joghurts, wie es bräuchte, um all die Milch zu verwerten, die wegen Trumps Zollpolitik überflüssig ist, lassen sich weder von heute auf morgen produzieren, noch verkaufen: Die Käserei ist gar nicht dafür eingerichtet, es fehlen die Verkaufskanäle.
Bleibt die Reduktion der Milchmenge. Im Juli hat die Sortenorganisation Gruyère AOP ein erstes Mal eingegriffen: Um drei Prozent wurde die Milchmenge heruntergefahren. Im August folgte der zweite Schritt auf minus fünf Prozent. Das trifft die Bauern, Käserinnen und die Affineure gleichermassen. «Wir sind solidarisch», sagt Käser Peney am Telefon.
Doch im Stall von Jean-Philippe Yerly hinterlässt es Lücken. 20 Milchkühe hat er dieses Jahr verkauft. «Ich habe zwar einen guten Preis erhalten», sagt er, «gerade in der Ostschweiz, etwa im Thurgau, ist die Nachfrage nach Milchkühen gut.» Die dortige Milchwirtschaft ist weniger vom US-Markt abhängig – Trumps Zollhammer trifft sie weniger. Doch der Erlös für seine Kühe ist für Yerly ein schwacher Trost: «Wenn ich Vieh verkaufen muss, dann verliert mein Betrieb Substanz.»
Solange Trump an seinem astronomischen Zoll festhält, liegt ein dunkler Schatten über dem Land des Greyerzers – selbst wenn die Sonne scheint. Und so appellieren Milchproduzent Yerly, Käsermeister Pernet und Affineur Vonlanthen an die Solidarität der Schweizerinnen und Schweizer: Statt zu ausländischen Produkten sollen Käsefreundinnen und Käsefreunde zum Gruyère greifen.
Oder wie es auf dem Moitié-Moitié-Zug heisst: «Machen Sie keine halben Sachen – ausser beim Fondue!» (aargauerzeitung.ch)