Es waren kaum alle Stimmen ausgezählt zum Tabakwerbeverbot in der Schweiz, da schossen bereits die nächsten Forderungen ins Kraut. Das Blaue Kreuz verlangte höhere Zigarettenpreise, SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen nahm die Besteuerung von E-Zigis ins Visier. Mehr als 56 Prozent Ja-Anteil für eine Initiative bedeuten Aufwind für die Präventionslobby. Sogar im Kanton Neuenburg, wo Tabakproduzent Philip Morris der grösste Steuerzahler ist, sagte das Stimmvolk wuchtig Ja zum Jugendschutz.
Auch wenn die Schweizer Tabak-Gesetzgebung im europäischen Vergleich noch immer wenig streng gehalten ist: Der Trend ist eindeutig. Binnen weniger als zwei Jahrzehnten hat die Schweiz den Qualm aus Zügen und Beizen verbannt; Genf jüngst sogar aus Schwimmbädern sowie von Bushaltestellen und Sportplätzen. Der Tabakindustrie kann das wenig anhaben. Der Konsum von Rauchwaren ist in der Schweiz nur leicht rückläufig.
Einer der Hauptgründe für mehr gesetzliche Strenge sind die Kosten, die Tabak verursacht. 3.9 Milliarden Franken sollen Raucherinnen und Raucher die Volkswirtschaft hierzulande jährlich kosten, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einer Studie 2020 vorgerechnet hat - und diese Zahl beruhe noch auf konservativen Annahmen. Bald einmal dahinter folgt allerdings die zweite Volksdroge, der Alkohol, mit immerhin jährlichen Kosten von 2.8 Milliarden Franken. Grosse Unterschiede zeigen sich auf der Einnahmeseite. Mit mehr als zwei Milliarden speist die Tabaksteuer jährlich die AHV. Die Alkoholsteuer bringt mit jährlich 400 Millionen Franken nur einen Bruchteil davon ein.
Fast scheint es, als sei Repression beim Alkohol ein Schweizer Tabuthema. Im internationalen Vergleich ist die Biersteuer sehr tief, auf Wein wird gar keine erhoben. Sogar Werbung im Fernsehen ist erlaubt. Der Fachverband Sucht schreibt auf seiner Website, es sei «ruhig geworden» um die nationale Alkoholpolitik. Dabei strebte der Bundesrat noch 2015 eine Totalrevision des Alkoholgesetzes an, das auf der Kartoffelschnapspest aus dem zweiten Jahrhundert fusste. Doch viele Innovationen blieben zwischen National- und Ständerat hängen - auch eine Steuererhöhung auf reinen Alkohol. So schnell wird sich daran nichts ändern: Seit 2020 laufen Fragen zu Alkohol, Tabak und Sucht in einer einzigen Eidgenössischen Kommission zusammen. Zwanzig Expertinnen und Experten sitzen darin. Auf Anfrage heisst es beim Präsidenten: Alkohol stehe momentan nicht im Fokus.
Zuletzt standen die Zeichen sogar - wie generell in der Suchtpolitik - auf einer Liberalisierung. Seit einem Jahr dürfen Autobahnraststätten alkoholische Getränke ausschenken. Und bald dürften Bierbüchsen und Weinflaschen sogar in den Regalen der Migros stehen. Alkohol ist aus der Mitte der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. «Das gesellschaftliche Stigma von Tabak hat sich im Gegensatz zu Alkohol stark verändert», sagt Suchtexperte Thomas Kessler. «Wer will heute noch einen Rauchermund küssen?», fragt er lakonisch. Dagegen gelte als weltgewandt, wer sich bei Gin und Whisky auskenne, und als hip, wer statt zu einem Lagerbier zu einem Pale Ale greife.
Auch wenn sich die Bilder von schwarzen Lungen besser in die Köpfe der Menschen einbrennen als eine vernarbte Leber: Ein Blick auf die Folgen des Schweizer Alkoholkonsums ist ernüchternd. Rund jede fünfte Person in der Schweiz trinkt missbräuchlich, schätzt das BAG, bis zu 300'000 Personen seien abhängig. (aargauerzeitung.ch)
und scheinbar wird jetzt sogar die Suchtkomission von Alkoholikern geleitet 🤷‍♂️👏