Der öffentliche Verkehr bereitet sich auf eine Stromkrise vor. Neben einschneidenden Folgen für die Passagiere fürchtet sich die Branche vor massiven finanziellen Verlusten.
26.10.2023, 11:5026.10.2023, 12:36
Pascal Michel / ch media

«Hinweis: Ausfall»: Bei einer akuten Stromkrise wäre dieser Vermerk auf einer Anzeigetafel keine Seltenheit.Bild: Anex Anthony/KEY
Es war ein sperriger Begriff, der vor einem Jahr die Schweiz in Atem hielt: die Strommangellage. Der Ukraine-Krieg trieb die Energiepreise in die Höhe, die Nachbarländer wollten der Schweiz nicht mehr so viel Strom liefern wie früher, und im Inland waren die Stauseen nur knapp gefüllt.
Dank eines milden Winters kam es nicht zu einer akuten Energiekrise. Doch die Gefahr ist auch dieses Jahr nicht gebannt. Der Bund sowie die Wirtschaft haben deshalb die Massnahmen konkretisiert, um weiterhin unkontrollierte Stromausfälle zu verhindern. Diese betreffen insbesondere die rund 34'000 Grossverbraucher, deren Strombedarf der Bundesrat im Krisenfall mit Kontingenten beschränken würde.
Branche forderte eine Speziallösung
Die teils starren Sparmassnahmen funktionieren für den öffentlichen Verkehr, den grössten Stromverbraucher in der Schweiz, nur bedingt. Denn SBB & Co. sind auf eine kontinuierliche Versorgung angewiesen – sonst droht der Kollaps. Die Branche warnt deshalb vor «punktuellen Eingriffen ins feine Räderwerk». Ein Beispiel: Würde der Bund den SBB, den Zürcher Verkehrsbetrieben und den Regionalbahnen unterschiedliche Stromkontingente zusprechen, käme es zum Chaos und die Anschlüsse wären nicht mehr gewährleistet.
Deshalb haben die SBB in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verkehr und weiteren Akteuren ein sogenanntes Bewirtschaftungsmodell ausgearbeitet. Das kürzlich aufgeschaltete Konzept sieht vor, den Strombedarf im öffentlichen Verkehr ganzheitlich zu steuern und zu reduzieren. Der Krisenplan rechnet mit folgenden Szenarien:
- Stufe 1 (Verbote und Beschränkungen): Nicht zwingende Beleuchtungen wie Werbetafeln werden abgeschaltet. «Zusätzlich muss bereits mit Einschränkungen für touristische Angebote, Freizeitverkehr und Extrafahrten gerechnet werden», heisst es im Dokument.
- Stufe 2 (mittlere bis starke Kontingentierung): Es kommt zu einer Fahrplanausdünnung. Zuerst wird das Zusatzangebot in der Rushhour gestrichen und unnötige Beiwagen werden abgehängt. Danach werden die Zugkompositionen gekürzt und elektrische Trolleybusse durch Dieselbusse ersetzt. Schliesslich fährt die Branche das Grundangebot herunter, was maximal einer Kapazitätsreduktion von 30 Prozent entspricht.
- Nur den Fahrplan auszudünnen und Züge zu verkürzen, reicht gemäss den SBB aber nicht. Es brauche auch Appelle an die Bevölkerung, weniger zu reisen. «Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Gesamtsystem aufgrund von Überlastungen nicht mehr aufrechterhalten werden kann und ein sicheres Verkehren verunmöglicht wird.» Um dies zu verhindern, bräuchte es wohl einen denkwürdigen Aufruf wie während der Pandemie, als Gesundheitsminister Alain Berset vor die Medien trat und erklärte: «Bleiben Sie zu Hause.»
- Stufe 3 und 4 (starke bis extreme Kontingentierung): Um Netzabschaltungen in gewissen Regionen abzuwenden, muss der Bundesrat das öffentliche Leben stark einschränken. Für den öffentlichen Verkehr bedeutet dies, dass der Personenverkehr auf der Schiene eingestellt werden muss. Denn beim Personenverkehr auf dem Normalspurnetz, «dem Rückgrat des ÖV», kann die Leistung nur bis zu einem Drittel heruntergefahren werden – weitere Einsparungen führen zum Kollaps. In diesem Szenario würde auch der Güterverkehr ausgedünnt und notfalls auf lebenswichtige Güter beschränkt.
- Stufe 5 (zyklische Netzabschaltungen): Es kommt zu einem «sofortigen Grounding», wie es im Krisenplan heisst. Der Bahnverkehr wird geordnet heruntergefahren. Auch Busse und Trams können kaum mehr verkehren. Kommt es sogar zu einem Blackout, muss das gesamte Bahnsystem noch rascher heruntergefahren werden. Die Kantone müssten dann gemäss SBB eine «grosse Anzahl gestrandeter Kundinnen und Kunden betreuen». Die Wiederaufnahme des Normalbetriebs dürfte Monate dauern.
Stromkrise würde massives Loch in die Kasse reissen
Die Folgen des Stillstands wären nicht nur für die Passagiere und die Wirtschaft verheerend. Auch die bereits durch Covid gebeutelten Verkehrsbetriebe müssten mit massiven finanziellen Ausfällen rechnen. Besonders bitter: Der Bund ist nicht verpflichtet, den Unternehmen zu helfen. Zumindest gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage. Im Krisenplan heisst es deshalb, der Umgang mit den wirtschaftlichen Schäden folge der Coronapandemie, das heisse primär «politischem Ermessen».
Die öffentliche Hand stützte damals den öffentlichen Verkehr mit einer Finanzspritze von rund einer Milliarde Franken. Und das zusätzlich zu den regulären Staatsgeldern von mehreren Milliarden Franken pro Jahr. Mittlerweile haben sich die Erträge der Verkehrsbetriebe stabilisiert. Die Kundschaft strömt zurück in die Züge, die Billettverkäufe ziehen an.
Es liegt somit im ureigensten Interesse der Branche, die weitreichenden Folgen von Netzabschaltungen und Blackouts zu verhindern. (aargauerzeitung.ch)
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Das ist nicht ganz korrekt. Richtig müsste es heissen: Die Energiekonzerne haben den Ukraine-Krieg als Vorwand gebraucht, um die Energiepreise in die Höhe zu treiben. Und die Politik hat tatenlos zugesehen.
Das könnte man doch einfach jetzt schon machen. Es gäbe so viel Spar Potenzial, gerade in der Öffentlichkeit oder Industrie- Gewerbe.
Aber die Leute beschweren sich ja schon wenn das Hallenbad 1 Grad weniger warm ist, obwohl dies enorm viel Energie sparen würde. Verrückte Welt, immer wieder.