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SBB: ÖV-Preise steigen erneut – «Geht in die völlig falsche Richtung»

ARCHIV - Train attendant Priska Protmann of Swiss Federal Railways SBB scans a passenger's electronic ticket in the InterCity train from Zurich to Geneva, Switzerland, on May 29, 2013. --- Preisu ...
Die Preise für den öffentlichen Verkehr steigen um 3,7 Prozent.Bild: KEYSTONE

ÖV-Preise steigen erneut – «Dieser Aufschlag geht in die völlig falsche Richtung»

Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember wird der öffentliche Verkehr erneut teurer. Aus Sicht der Grünen ist der Preisanstieg «folgenschwer». Die FDP weist auf die hohen Kosten des ÖV hin, die Nutzer müssten zur Finanzierung beitragen.
16.10.2023, 19:48
Ralph Steiner
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3995 Franken. Ein Betrag, der für Menschen, die auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind und über ein tiefes Einkommen verfügen, nicht einfach so zu stemmen ist. Erst recht nicht in Zeiten, in denen aufgrund der Inflation auch sonst vieles teurer wird. 3995 Franken kostet das Generalabonnement (GA) in der 2. Klasse ab Dezember, der aktuelle Preis beträgt 3860 Franken. Beim GA für die 1. Klasse steigt der Preis mit dem Fahrplanwechsel im Dezember von 6300 auf 6520 Franken, das Halbtax kostet neu 170 statt 165 Franken. Im Durchschnitt beträgt der Preisanstieg für den öffentlichen Verkehr 3,7 Prozent.

Florence Brenzikofer, Nationalrätin der Grünen, Mitglied der Verkehrskommission und Präsidentin der IGöV, bezeichnet diesen Aufschlag gegenüber watson als «folgenschwer». «Wenn man bedenkt, dass eines der Ziele des Bundes darin liegt, den Anteil des ÖV zu steigern, und auch unter Beachtung des angenommenen Klimaschutzgesetzes, geht dieser Preisaufschlag in die völlig falsche Richtung», so Brenzikofer.

Florence Brenzikofer, GP-BL, spricht zum Strassenbau, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 30. Mai 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Florence Brenzikofer von den Grünen.Bild: keystone

Etwas anderer Meinung ist Christian Wasserfallen. Der FDP-Nationalrat, auch er politisiert in der Verkehrskommission, weist auf den Kostendeckungsgrad des öffentlichen Verkehrs hin. Dieser betrage lediglich 50 Prozent.

«Der Bund muss die SBB mit mehr als einer Milliarde ausfinanzieren, weil sie betriebswirtschaftlich sehr schief dasteht und hohe Schulden hat. Mit dieser Preiserhöhung versucht man nun, auch die Passagiere an den Kosten zu beteiligen. Das ist sehr schmerzhaft und ich finde es auch schade, dass es diesen Schritt braucht.»
Christian Wasserfallen
Christian Wasserfallen, FDP-BE, spricht an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 12. Juni 2018 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen.Bild: KEYSTONE

Auf die Argumentation des Kostendeckungsgrades von Wasserfallen angesprochen, entgegnet Brenzikofer:

«Der zu tiefe Kostendeckungsgrad beim ÖV ist kein Argument. Ich wohne in einer Randregion, da ist es wahnsinnig schwierig, diesen Kostendeckungsgrad zu erreichen. Doch gerade in solchen Gebieten darf man das Angebot nicht reduzieren, sonst wird der öffentliche Verkehr sofort unattraktiver, dies führt zu einer Negativspirale.»
Florence Brenzikofer

Ein Taktfahrplan müsse auch in Randregionen zwingend gegeben sein, zu Pendlerzeiten aber auch beim Freizeitverkehr.

Die Grünen-Nationalrätin ergänzt: «Rechnet man externe Kosten des Autoverkehrs wie Lärm, Abgase und Klimaschäden mit, so ist der Kostendeckungsgrad des Autos tiefer als beim ÖV.»

Der erstaunte Preisüberwacher

Für Kritik sorgt jedoch nicht nur der eigentliche Preis, sondern die Art und Weise, wie er zustande gekommen ist. Eigentlich liegt die sogenannte Tarifhoheit bei den Verkehrsunternehmen, sie legen die Preise für ihre Leistungen fest. Eine Recherche des «Sonntagsblick» zeigt, dass zumindest die SBB – sie entscheidet über die Preise mit – bis 2030 keine Preisanpassungen plante.

Doch dann kam das Bundesamt für Verkehr BAV ins Spiel. Dessen Direktor Peter Füglistaler wandte sich im März mit einem Brief an die Verkehrsunternehmen. Auf 2024 seien Tarifmassnahmen umzusetzen, sowohl national als auch bei den regionalen Tarifverbünden. Ein Vorgehen, dass Preisüberwacher Stefan Meierhans erstaunt, wie er gegenüber «SRF» sagt: «In dieser klaren Art und Weise eine Erwartung zu formulieren war bis jetzt nicht üblich.»

Geht es nach Christian Wasserfallen, ist das Vorgehen des BAV legitim. «Die Tarifhoheit der Verkehrsbetriebe existiert und soll auch weiter existieren. Wenn aber der Bund die SBB mit Geldern in Milliardenhöhe retten muss, muss man über verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Und da ist die Nutzerfinanzierung ein Teil davon.»

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ÖV vs. Auto

In der laufenden Debatte gibt ein weiterer Punkt zu reden: Der überproportionale Anstieg der ÖV-Preise, verglichen mit den Betriebskosten pro Kilometer fürs Auto. Eine Auswertung der «Sonntagszeitung» zeigt: Seit 2003 stiegen die ÖV-Preise um 27 Prozent, beim GA beträgt der Preisaufschlag satte 38 Prozent. Die Kosten fürs Auto stiegen nur um gut 4 Prozent.

Christian Wasserfallen weist darauf hin, dass der Strassenverkehr trotz weniger stark gestiegenen Preisen den öffentlichen Verkehr immer noch querfinanziere. «Das ist grundsätzlich auch okay. Der ÖV verursacht sehr hohe Kosten, deswegen muss man hier eine Balance finden, damit er attraktiv bleibt.»

Die Rolle des Klimawandels

Im Juni hat die Schweizer Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz mit 59,1 Prozent Ja-Anteil deutlich angenommen. Wird als Folge davon der Aspekt Klimawandel entsprechend in die Debatte um steigende ÖV-Preise miteinbezogen? Zu wenig, sagt Florence Brenzikofer. «Das Ziel Netto Null bis 2050 steht, dafür braucht es nun Zwischenschritte. Der Verkehr ist der grösste Klimasünder, deshalb ist die Mobilität ein entscheidender Faktor zur Erreichung der Pariser Klimaziele. Der ÖV-Preisanstieg im Dezember ist kontraproduktiv.»

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213 Kommentare
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Madison Pierce
16.10.2023 20:32registriert September 2015
Ich würde nicht immer das GA als Vergleich heranziehen. Denn dieses ist eigentlich günstig, für das, was man geboten bekommt. CHF 4000 pro Jahr für unbegrenzte Mobilität auf dem guten Schweizer ÖV-Netz ist wirklich nicht zu viel verlangt.

Zur Förderung des ÖV würde ich das Halbtax abschaffen und die halben Preise für alle anbieten. Denn Leute, die es mal mit dem ÖV versuchen wollen, werden durch die extrem hohen Preise ohne Halbtax abgeschreckt.
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jjjj
16.10.2023 20:28registriert Dezember 2015
Ja der Herr FDP Nationalrat kann sich das halt leisten, auch wenn es „schmerzt“ (ihn nicht)
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Tim3000
16.10.2023 20:39registriert März 2021
"Christian Wasserfallen weist darauf hin, dass der Strassenverkehr trotz weniger stark gestiegenen Preisen den öffentlichen Verkehr immer noch querfinanziere."

Quatsch

Zitat "Bundesamt für Statistik":

Der motorisierte Strassenverkehr verursachte 2019 Gesamtkosten in Höhe von 76,8 Milliarden Franken (2010: 70,6 Milliarden). [...] Der Grossteil der Kosten des motorisierten Strassenverkehrs, nämlich 86%, wurde von den Verkehrsnutzenden selbst übernommen. Dennoch mussten 9,2 Milliarden Franken an Unfall-, Umwelt- und Gesundheitskosten von der Allgemeinheit getragen werden.
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