ÖV-Preise steigen erneut – «Dieser Aufschlag geht in die völlig falsche Richtung»
3995 Franken. Ein Betrag, der für Menschen, die auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind und über ein tiefes Einkommen verfügen, nicht einfach so zu stemmen ist. Erst recht nicht in Zeiten, in denen aufgrund der Inflation auch sonst vieles teurer wird. 3995 Franken kostet das Generalabonnement (GA) in der 2. Klasse ab Dezember, der aktuelle Preis beträgt 3860 Franken. Beim GA für die 1. Klasse steigt der Preis mit dem Fahrplanwechsel im Dezember von 6300 auf 6520 Franken, das Halbtax kostet neu 170 statt 165 Franken. Im Durchschnitt beträgt der Preisanstieg für den öffentlichen Verkehr 3,7 Prozent.
Florence Brenzikofer, Nationalrätin der Grünen, Mitglied der Verkehrskommission und Präsidentin der IGöV, bezeichnet diesen Aufschlag gegenüber watson als «folgenschwer». «Wenn man bedenkt, dass eines der Ziele des Bundes darin liegt, den Anteil des ÖV zu steigern, und auch unter Beachtung des angenommenen Klimaschutzgesetzes, geht dieser Preisaufschlag in die völlig falsche Richtung», so Brenzikofer.
Etwas anderer Meinung ist Christian Wasserfallen. Der FDP-Nationalrat, auch er politisiert in der Verkehrskommission, weist auf den Kostendeckungsgrad des öffentlichen Verkehrs hin. Dieser betrage lediglich 50 Prozent.
Auf die Argumentation des Kostendeckungsgrades von Wasserfallen angesprochen, entgegnet Brenzikofer:
Ein Taktfahrplan müsse auch in Randregionen zwingend gegeben sein, zu Pendlerzeiten aber auch beim Freizeitverkehr.
Die Grünen-Nationalrätin ergänzt: «Rechnet man externe Kosten des Autoverkehrs wie Lärm, Abgase und Klimaschäden mit, so ist der Kostendeckungsgrad des Autos tiefer als beim ÖV.»
Der erstaunte Preisüberwacher
Für Kritik sorgt jedoch nicht nur der eigentliche Preis, sondern die Art und Weise, wie er zustande gekommen ist. Eigentlich liegt die sogenannte Tarifhoheit bei den Verkehrsunternehmen, sie legen die Preise für ihre Leistungen fest. Eine Recherche des «Sonntagsblick» zeigt, dass zumindest die SBB – sie entscheidet über die Preise mit – bis 2030 keine Preisanpassungen plante.
Doch dann kam das Bundesamt für Verkehr BAV ins Spiel. Dessen Direktor Peter Füglistaler wandte sich im März mit einem Brief an die Verkehrsunternehmen. Auf 2024 seien Tarifmassnahmen umzusetzen, sowohl national als auch bei den regionalen Tarifverbünden. Ein Vorgehen, dass Preisüberwacher Stefan Meierhans erstaunt, wie er gegenüber «SRF» sagt: «In dieser klaren Art und Weise eine Erwartung zu formulieren war bis jetzt nicht üblich.»
Geht es nach Christian Wasserfallen, ist das Vorgehen des BAV legitim. «Die Tarifhoheit der Verkehrsbetriebe existiert und soll auch weiter existieren. Wenn aber der Bund die SBB mit Geldern in Milliardenhöhe retten muss, muss man über verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Und da ist die Nutzerfinanzierung ein Teil davon.»
ÖV vs. Auto
In der laufenden Debatte gibt ein weiterer Punkt zu reden: Der überproportionale Anstieg der ÖV-Preise, verglichen mit den Betriebskosten pro Kilometer fürs Auto. Eine Auswertung der «Sonntagszeitung» zeigt: Seit 2003 stiegen die ÖV-Preise um 27 Prozent, beim GA beträgt der Preisaufschlag satte 38 Prozent. Die Kosten fürs Auto stiegen nur um gut 4 Prozent.
Christian Wasserfallen weist darauf hin, dass der Strassenverkehr trotz weniger stark gestiegenen Preisen den öffentlichen Verkehr immer noch querfinanziere. «Das ist grundsätzlich auch okay. Der ÖV verursacht sehr hohe Kosten, deswegen muss man hier eine Balance finden, damit er attraktiv bleibt.»
Die Rolle des Klimawandels
Im Juni hat die Schweizer Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz mit 59,1 Prozent Ja-Anteil deutlich angenommen. Wird als Folge davon der Aspekt Klimawandel entsprechend in die Debatte um steigende ÖV-Preise miteinbezogen? Zu wenig, sagt Florence Brenzikofer. «Das Ziel Netto Null bis 2050 steht, dafür braucht es nun Zwischenschritte. Der Verkehr ist der grösste Klimasünder, deshalb ist die Mobilität ein entscheidender Faktor zur Erreichung der Pariser Klimaziele. Der ÖV-Preisanstieg im Dezember ist kontraproduktiv.»


