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Schweiz: Die Angst vor dem Blackout geht wegen der Energiekrise um

Die Angst vor dem Blackout geht um

Ein AKW-Chef kauft sich einen Dieselgenerator, sogar Wasserfilter sind ausverkauft. Was ist nur los mit der Schweiz?
22.08.2022, 10:0922.08.2022, 10:32
Benjamin Rosch, Kari Kälin und Florence Vuichard / ch media
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Er erzählte es beiläufig am Mittagstisch vor einer kleinen Schar von Journalisten, die an einer Führung teilgenommen hatten. Ja, er habe sich jetzt auch einen kleinen Dieselgenerator zugetan, sagte Herbert Meinecke. Er ist der Leiter des Atomkraftwerks Gösgen. Dessen Jahresproduktion: acht Milliarden Kilowattstunden, 15 Prozent des jährlichen Schweizer Strombedarfs.

ZUR MELDUNG, DASS AKW AUCH WAEHREND IHRER STILLEGUNGSPHASE "GEFAEHRLICH" BLEIBEN, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Vapor exudes from the cooling tower of the Goesgen ...
Das AKW Gösten reicht nicht, um die Sorgen vor einem Energiemangel zu beseitigen.Bild: KEYSTONE

Dass ausgerechnet der Leiter eines Atomkraftwerks, einem der zuverlässigsten Schweizer Stromlieferanten, auf ein Dieselmotörchen zurückgreift, mag erstaunen. Meinecke befindet sich aber in bester Gesellschaft. Die Angst vor einer europaweiten Energiekrise treibt die Menschen in der Schweiz dazu, Vorkehrungen auch im eigenen Haushalt zu treffen.

Erst kürzlich hat Werner Luginbühl, Präsident der Schweizerischen Elektrizitätskommission, gegenüber der «NZZ am Sonntag» gesagt: «Ich habe mehr Brennholz als sonst bestellt. Taschenlampe und Batterien sind auch parat.» Zu ihm gesellt sich etwa Marcel Dettling, SVP-Nationalrat aus dem Kanton Schwyz. Fliesst im Winter in seinem Landwirtschaftsbetrieb in Oberiberg kein Strom mehr, laufen die Melkmaschinen trotzdem weiter. Dettling muss nur einen Schalter drehen, damit ein Dieselgenerator Notstrom liefert. Gekauft hat er die Anlage, die früher in einem Spital zum Einsatz kam, diesen Sommer für 7000 Franken.

Marcel Dettling
Im Notfall liefert der Dieselgenerator Strom: SVP-Nationalrat und Landwirt Marcel Dettling.Bild: zvg

Aus seiner Fraktion haben ausserdem die Energiepolitiker Mike Egger und Christian Imark bekannt gegeben, dass sie sich aus Angst vor zu wenig Strom im Winter mit zusätzlichen Taschenlampen eindecken. Auch Grünen-Nationalrat Bastien Girod sagte gegenüber «Nau», er kaufe Kerzen für den Winter.

Reissende Absätze bei Online-Händlern

Der Wille, sich mit allem einzudecken, was im Winter Licht und Wärme verspricht, zeigt sich auch beim grössten Schweizer Online-Warenhaus Digitec Galaxus. Im August sind die Absatzzahlen in schwindelerregende Höhen geklettert. Beim Brennholz stieg der Absatz zwischen dem 1. und dem 17. August um ganze 1897 Prozent im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode. «Die Leute lagern Holz zu Hause für den Fall, dass sie plötzlich kein Gas oder kein Heizöl mehr kriegen», sagt Stephan Kurmann von Digitec Galaxus.

Firewood on a heap, pictured in Scuol, Switzerland, on July 13, 2013. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Brennholz auf einem Stapel, aufgenommen in Scuol am 13. Juli 2013. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
2020 wurde WC-Papier gehamstert, nun wollen alle Brennholz kaufen.Bild: KEYSTONE

Ebenfalls rund verzwanzigfacht hat sich beim Onlineshop der Absatz von sogenannten Powerstationen. Das Horten dieser tragbaren Riesenbatterien hat gemäss Kurmann bereits im März begonnen - also unmittelbar nach der russischen Invasion in die Ukraine. Doch im August haben die Absätze mit einem Plus von 1868 Prozent neue Rekordhöhen erreicht. «Die Bevölkerung in der Schweiz bereitet sich anscheinend auf den Ernstfall vor», ergänzt Kurmann. Mit Powerstationen - vorausgesetzt sie sind aufgeladen - könne man auch bei einem Stromausfall wichtige Geräte wie Smartphones, Wasserkocher oder Computer weiter bedienen.

Gross ist die Nachfrage bei Stromgeneratoren, Solarpanels, entsprechendem Zubehör und Heizkörpern. Hier wurden im Vergleich zur Vorjahresperiode zwischen rund 500 und 1000 Prozent mehr Stück verkauft. Konkrete Angaben zu den Stückzahlen macht Digitec Galaxus nicht, das Online-Warenhaus hält aber fest, dass die Absatzzahlen alle im drei- bis vierstelligen Bereich liegen würden.

Die Nachfrage steigt im August bei Digitec Galaxus massiv:

  • Brennholz: +1897%
  • Powerstationen: +1868%
  • Stromgeneratoren: +1148%
  • Solarpanels: +999%
  • Solarenergie Zubehör: +672%
  • Heizkörper: +492%
  • Heizlüfter: +169%
  • Heizstrahler: +155%

Die Schweiz stellt dabei keine Ausnahme dar: Auf «Spiegel.de» dreht sich einer der meistgelesenen Artikel darum, wie Hausbesitzer ihr Eigenheim energetisch selbstversorgen können. Menschen erzählen von ihrer solarbetriebenen Infrarotheizung und 9000-Liter-Wassertanks, welche die Wärme vom Spätsommer in die kalte Jahreszeit retten.

Die Krise als Faszination

So sinnvoll die Vorbereitung auf die reale Gefahr einer Strommangellage im Winter ist: In einer gesteigerten Form gibt es für andere auch eine Faszination für die Ausnahmesituation. Prepping nennt sich neudeutsch, wenn man sich unter anderem aus Vergnügen auf eine Krise einstellt. In den USA gibt es diese Szene zwischen Hobby und Lifestyle bereits seit den 1970er-Jahren. Durch Klima-, Corona- und nun Energiekrise erhielten Prepper auch hierzulande mehr Auftrieb.

Die Definitionsgrenze verläuft allerdings unscharf. Je nach Betrachtung reicht das Spektrum von Survival-Expertinnen bis zu Menschen, die sich lediglich an die Empfehlungen des Bundes halten und die angegebenen Vorräte bunkern: ein bisschen Wasser, Dosen und Zwieback für eine Woche, ein Gaskocher und ein batteriebetriebenes Radio.

Sicher ist: Der aktuelle Trend zu mehr Unabhängigkeit lässt sich in fast allen Besorgniszuständen beobachten. In der Schweiz können sich fortgeschrittene Prepper etwa im Online-Shop der Berner Firma Mountainmen eindecken. Zwischen Fluchtrucksack und Klappsäge gibt es so ziemlich jedes Gadget zum Überleben in der Wildnis. Der Shop führt ausserdem eine Rubrik mit dem Titel «Blackout Schweiz». «Uns erreichen immer mehr Fragen und auch konkrete Anfragen zu Beratung. Wir glauben, man sollte sich in aller Ruhe und Umsicht Gedanken machen, wie man solchen Ausfällen begegnen möchte», steht darunter. Mangellage oder Stromausfälle? Egal, crisis sells.

Wasserfilter und Survival-Kurse

Empfohlen wird auch die Anschaffung eines Wasserfilters. Die Werbung scheint zu funktionieren: Die Mehrheit der angepriesenen Produkte ist ausverkauft. «In der Schweiz haben wir gute Infrastrukturen, sind aber nicht in allen Themen autark», schreibt Mountainmen.

Autark. Krisen wecken die Lust des Menschen, auf sich alleine eingestellt zu sein - oder zumindest den Ernstfall zu prüfen. Markus Lusser bietet Survival-Kurse an. «Nicht erst seit Februar, schon mit Corona hat sich die Nachfrage verstärkt. Wir sind oft ausgebucht», sagt er. Der Ruf der Wildnis ist ein bekanntes Phänomen in einer zunehmend technisierten Welt. «Aber jetzt wird den Menschen bewusst, wie abhängig sie von allem sind.» Die Angst vor dem Blackout sei «definitiv ein Thema», das Lusser unter seinen Kursteilnehmenden zuletzt vermehrt beobachtete.

Gion Saluz verzeichnet ebenfalls mehr Interesse an seinen Survival-Kursen, seit neustem bietet er sogar einen an mit Fokus auf den Blackout. Die aktuellen Schlagzeilen um eine drohende Mangellage im Winter vermögen ihn nicht zu überraschen, bereits 2014 sprach er mit dem «Beobachter» über die Gefahr von Stromausfällen in Wintermonaten. Die Schweizer Bevölkerung stiesse dann sehr schnell «an ihre Grenzen». Generatoren besitzt Saluz schon lange - Plural, wohlgemerkt, auch deshalb, weil er sie in einer Notlage gegen ein anderes Gut tauschen könnte. Für manche ist die Apokalypse eben Beruf und Maxime gleichermassen. (aargauerzeitung.ch)

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300 Kommentare
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Hosenabe
22.08.2022 10:21registriert März 2014
Ja wieso wohl grassiert die Angst, liebe Medien?
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Remus
22.08.2022 10:23registriert Dezember 2016
Und Bitte vergesst das WC Papier nicht. Um Himmels Willen! VERGESST DAS WC PAPIER NICHT!
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sweeneytodd
22.08.2022 11:36registriert September 2018
Liebe Medien (und zwar alle), es wird kein Blackout geben. Keine Experte sprach je von einem Blackout, dafür stellen wir schlichtwegs genug Energie her (würde der Krieg auf Wedteuropa springen ausgenommen). Wir werden geeiss eine Mangellage haben, aber die können wir ganz einfach verhindern -> keine Schaufensterbeleuchtung, ein bisschen weniger warm heizen, in der Nacht jeder 2te Zug streichen, Sparsamer leben (Wäsche/Abwasch). Die "Panik" existiert nur weil die Medien Headlines brauchen -> Klicks ergo Werbeeinnahmen.
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