Schweiz
Energie

Bei Gebidem-Stausee muss trotz Energieknappheit Wasser verschwendet werden

Warum dieses Stauwerk trotz Energieknappheit Wasser verschwenden muss

Der rasant schmelzende Aletschgletscher bringt einen Stausee zum Überlaufen. Das Kraftwerk läuft auf Hochtouren - doch das reicht nicht.
10.08.2022, 07:44
Benjamin Rosch / ch media
Mehr «Schweiz»

Das Bild ist beeindruckend. Aus allen sieben Öffnungen schiesst das türkise Gletscherwasser des Gebidem-Stausees in Richtung Tal. Die Massa, wie der Fluss heisst, ist an vielen Tagen des Jahres wenig mehr als ein Rinnsal. Seit Wochen herrscht dort aber eine Hochwassersituation wie nur selten.

Gebidem-Stausee
Gebidem-Stausee: Trotz Maximalleistung des Kraftwerks ist Wasser im Überfluss vorhanden.Bild: Alpiq / Aargauer Zeitung

Bis zu 120 Kubikmeter Wasser pro Sekunde donnerte zeitweise durch die Schlucht, was ungefähr der Aare bei Bern entspricht. Die Betreiber der Stauanlage Gebidem warnten vor rund zwei Wochen davor, die Schlucht zu betreten. Es bestehe Lebensgefahr.

Es scheint paradox, dass ein Stausee überquillt, obwohl die Schweiz derzeit versucht, ihre Wasserreserven für die Versorgungssicherheit im Winter zusammenzukratzen. Schliesslich hatte Umwelt- und Energieministerin Simonetta Sommaruga kurz vor den Sommerferien noch gewarnt, die Speicherkapazitäten könnten dieses Jahr nicht die üblichen Füllstände erreichen. Eine Hiobsbotschaft in einem Jahr, in dem die Schweizer Energieversorgung in Schieflage geriet.

«Der Sommer ist extrem»

Von solchen Sorgen ist man im Gebiet zwischen Belalp und Riederalp weit entfernt. Der Grund für den Überfluss liegt in den Bergen, genauer: im Aletschgletscher. Er ist der mächtigste seiner Art in den Alpen, über 22 Kilometer lang. Doch aktuell geht es ihm schlecht. Er schmilzt und dies rasant. «Dieser Sommer ist extrem», sagt Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich. Er schätzt, dass dieser Sommer unrühmlich in die Annalen eingehen könnte.

«Es ist durchaus möglich, dass die Schweizer Gletscher dieses Jahr noch stärker abschmelzen als im bisherigen Rekordjahr 2003.»

Damals verloren die Schweizer Gletscher gesamthaft 3.8 Prozent ihrer Masse. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es bis Ende der warmen Jahreszeit 2022 vier oder sogar mehr Prozent sein können. Seit 2001 gab es kein Jahr mehr, in der die Gletscher gewachsen sind, und auch damals waren es lediglich 0.2 Prozent Wachstumsvolumen. Die Folgen sind offensichtlich: Erst vor kurzem füllte das Wrack eines Kleinflugzeugs die Schlagzeilen, das der Aletschgletscher nach Jahrzehnten freigegeben hat.

Mitverantwortlich für die Ausnahmesituation in diesem Jahr ist ein ausserordentlich trockenes Winterhalbjahr. Dies hat dazu geführt, dass weniger Schnee auf den Gletschern zu liegen kam - doch dieser wirkt in der heissen Jahreszeit wie ein Schutz. «Schnee reflektiert die Sonne stärker als Eis», sagt Farinotti.

Ist der Gletscher also erst mal sein Schutzschild los, nimmt der Abschmelzprozess Fahrt auf. Kommt dazu, dass der aktuelle Sommer mehrere Hitzeperioden brachte. «Eine Kombination von diesen beiden Phänomenen bedeutet ein Worst-Case-Szenario für die hiesigen Gletscher», erklärt Farinotti.

Ein zweites Kraftwerk?

Das eingangs erwähnte Foto stammt vom Energiekonzern Alpiq, der es auf der Plattform Linkedin gepostet hat. Alpiq ist mitverantwortlich für den Betrieb des Gebidem-Staudamms. Als Bildunterschrift schrieb der Konzern: «Die Turbinen laufen seit Wochen mit maximaler Leistung und produzieren gerade im heutigen Kontext hochwillkommene Energie. Aber die noch grössere Menge Wasser müssen wir dieser Tage beim Überlauf abfliessen lassen, weil der Gletscher viel mehr Schmelzwasser abgibt, als wir nutzen und speichern können.»

Auf Anfrage sagt Sprecher Andreas Meier, dieses Jahr sei sehr viel Wasser turbiniert worden, «etwa 50 Prozent mehr als im langjährigen Mittel». In den letzten Tagen seien die Maschinen unter Volllast gelaufen, dabei wurden rund 55 Kubikmeter Wasser pro Sekunde zur Stromerzeugung verwendet.

Es könnten mehr sein. Das Projekt Oberaletsch will einen neuen See nutzen, der sich in den vergangenen Jahren gebildet hat. Mit dem Vorhaben würde das Wasser des Oberaletschgletschers über Stollen in eine knapp 700 Meter tiefer liegende neue Kraftwerkszentrale beim heutigen Gebidem-See zugeführt, um dort Turbinen anzutreiben.

Geschätzte Jahresproduktion: rund 100 Gigawattstunden, der Jahresbedarf von 25'000 Durchschnittsfamilien. «Mit dem Projekt Oberaletsch könnte man Überläufe wie in diesem Sommer reduzieren, einen Teil des Abflusses im Oberaletschsee speichern und rund 50 Gigawattstunden in den Winter transferieren», sagt Meier. Das Projekt befindet sich im Planungsstadium und liegt beim Kanton Wallis zur Aufnahme in den kantonalen Richtplan. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Dieses Containerdorf im Aargau zeigt dir, wie wir künftig mit der Energie umgehen könnten
1 / 7
Dieses Containerdorf im Aargau zeigt dir, wie wir künftig mit der Energie umgehen könnten
Eine neue Besucherausstellung im Paul Scherrer Institut macht die komplexen Herausforderungen einer Energieversorgung mit neuen, erneuerbaren Energien und ihre Lösungsansätze erlebbar.
quelle: paul scherrer institut / mahir dzambegovic
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Trump vermisst alte Glühbirnen
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
57 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
mMn
10.08.2022 08:26registriert September 2020
Diese speicher sind ok... aber die sind nur Tell der Lösung. Wir brauchen tausende Windräder, alle Dächer voll Photovoltaik, Batteriespeicher, Speichertürme und Wasserstoffspeicher CHF 70-80 Mia. Machbar, wie wir von UBS-Rettung und Corona wissen.

Brauchen nur ein Gesetz, dass Einsprachen regelt.
13311
Melden
Zum Kommentar
avatar
skater83
10.08.2022 08:44registriert November 2018
just remember - dies wird einer der kältesten sommer der kommenden jahrzehnte sein - geniesst es also noch!
(das problem mit den abschmelzenden gletschern wird sich ja aber zum glück mittelfristig lösen, weil dann irgendwann nichts mehr zum abschmelzen da ist...)
7126
Melden
Zum Kommentar
57
    Hilft lokaler Honig wirklich gegen Heuschnupfen? Eine Expertin klärt auf
    Für Allergiker hat die Zeit der juckenden Augen und des ständigen Niesens längst begonnen. Lokal produzierter Honig soll die Symptome lindern. Eine Allergie-Expertin erklärt, was da dran ist – und was garantiert hilft.

    Jucken in den Augen, eine verstopfte Nase, ständiges Niesen: Heuschnupfen betrifft etwa jede fünfte Person in der Schweiz. Während die Haselsträucher sowohl nördlich als auch südlich der Alpen bereits am Ende ihrer Blütezeit angelangt sind, blühen die Erlen nun im ganzen Land. Auch die Pollen der Eschen fliegen im Süden, im Norden schon bald. «Sonniges und milderes Wetter wird bis Ende dieser Woche einen Anstieg der Belastungswerte des Pollenflugs begünstigen», so lautet die Prognose des aha! Allergiezentrums Schweiz.

    Zur Story