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Roger Schawinski: «ESC wird für extreme politische Ziele missbraucht»

Israel's Yuval Raphael poses on the turquoise carpet during the opening ceremony of the 69th Eurovision Song Contest in Basel, Switzerland, Sunday, May 11, 2025. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Die israelische ESC-Kandidatin Yuval Raphael an der Eröffnungsfeier. In der Menge im Hintergrund befinden sich zahlreiche pro-palästinensische Protestierende.Bild: KEYSTONE
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«Der ESC wird auf schändliche Weise für extreme politische Ziele missbraucht»

Kulturschaffende, Aktivisten und Demonstranten fordern, dass Israel vom ESC ausgeschlossen wird. Die israelische Kandidatin tritt am Donnerstag dennoch auf. Voraussichtlich unter Buhrufen. Was halten Schweizer Jüdinnen und Juden von dieser Diskussion?
15.05.2025, 04:3115.05.2025, 08:18
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«Mein Herz ist am 7. Oktober gebrochen worden», sagt Roger Schawinski. Der Medienunternehmer, der einst den ersten Privatradiosender Radio 24 gründete, ist als Sohn eines jüdischen Textilwarenhändlers in Zürich-Wiedikon aufgewachsen. Er beobachtet die Proteste gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest in Basel mit grosser Sorge.

Vergangene Woche haben diese Proteste eine neue Eskalationsstufe erreicht. Zunächst forderten zahlreiche Kulturschaffende, Politikerinnen sowie Aktivisten den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Darunter Nemo.

Bei der Eröffnungsfeier am Wochenende dann das: Ein pro-palästinensischer Demonstrant fixierte mit seinem Blick die israelische Kandidatin Yuval Raphael, die am 7. Oktober den Angriff der Hamas auf das Supernova-Musikfestival überlebte. Dann gestikulierte der Demonstrant mit dem Zeigefinger an seinem Hals, was er der Sängerin wünscht: den Tod.

Juden könnten sich nicht mehr sicher fühlen

Die israelische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Kan hat umgehend Anzeige wegen Morddrohung gegen den Demonstranten erstattet. Nun warnt der israelische nationale Sicherheitsrat Jüdinnen und Juden davor, zum ESC in Basel zu reisen. Falls sie dennoch anreisten, sollten sie von Kleidung oder Symbolen absehen, die sie als Jüdinnen und Juden zu erkennen geben könnten, so die Empfehlung.

Roger Schawinski, Geschaeftsfuehrer, Besitzer und Radiomoderator von Radio1, portraitiert am 26. Mai 2021 bei Radio1 in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
Roger Schawinski gilt als Pionier des Schweizer Privatradios. Bild: KEYSTONE

«Dass ich einmal erleben muss, dass sich Israeli und Schweizer Juden auf den Strassen in Basel nicht sicher fühlen können, hätte ich nie gedacht. Das ist sehr bedrückend», sagt Schawinski. Für ihn sind die Proteste gegen Israel im Rahmen des Wettbewerbs fehl am Platz, vor allem, weil der ESC als Musikevent ins Leben gerufen worden war, um die Nationen zu einen. Jetzt sei schon zum zweiten Mal in Folge das Gegenteil der Fall:

«Der ESC mit seiner grossen internationalen Ausstrahlung wird auf schändliche Weise für extreme politische Ziele missbraucht.»
Roger Schawinski, Medienunternehmer

Russland und Israel seien nicht gleichzusetzen

Der Forderung nach einem Ausschluss Israels vom Contest kann Schawinski nichts abgewinnen, auch wenn der ESC Russland ausgeschlossen hat. Für Schawinski gibt es zwischen Israel und Russland einen eklatanten Unterschied: «Russland hat ein demokratisches Land angegriffen und will es zerstören. Israel wurde angegriffen und hat sich anschliessend gegen eine furchtbare Terrororganisation gewehrt.»

Gaza erlebe eine furchtbare Tragödie, welche die Hamas ohne die geringste Rücksicht auf die eigene Bevölkerung provoziert habe, sagt Schawinski.

Der Schweizer Filmemacher und Schriftsteller Micha Lewinsky ist ebenfalls Jude. Bekanntheit erlangte er unter anderem mit seinem Spielfilm «Moskau Einfach!», der von der Schweizer Fichenaffäre handelt. Zum Nahost-Konflikt will sich Lewinsky nicht politisch äussern. Zu den Protesten gegen die Teilnahme Israels am ESC sagt er nur so viel:

«Ich halte grundsätzlich nichts von Kulturboykotten.»
Micha Lewinsky, Filmemacher
Portrait des Regisseurs und Drehbuchautors Micha Lewinsky im Kino Lido in Biel, aufgenommen am 24. Januar 2008. Lewinsky gewinnt am 23. Januar 2008 den Schweizer Filmpreis 2008 fuer seinen Film " ...
Micha Lewinsky gewann 2008 den Schweizer Filmpreis für seinen Film «Der Freund». Bild: KEYSTONE

Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober beobachte er zunehmend, wie israelische Kulturschaffende Schwierigkeiten hätten, eine Bühne zu finden. Viele Veranstalter hätten inzwischen Angst davor, mit einer Einladung ein politisches Statement zu senden. Für Lewinsky ist jedoch klar:

«Jemandem zuzuhören, ist noch kein politisches Statement.»
Micha Lewinsky, Filmemacher

Mit Boykotten würden alle Stimmen eines Landes zum Schweigen gebracht. Und damit auch die kritischen.

Selbst betroffen von Antisemitismus

Auch die SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser hat jüdische Wurzeln. Anders als Roger Schawinski findet Rosenwasser die Proteste am ESC jedoch legitim: «Wir müssen uns vor Augen führen, worum es hier geht: Gegen Netanjahu liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vor, die israelische Regierung hat angekündigt, den Gazastreifen komplett besetzen zu wollen, und sie verhindert jegliche Hilfslieferungen.»

Dass Aktivistinnen und Aktivisten den ESC als Bühne zu nutzen wollen, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, findet Rosenwasser nachvollziehbar. Eine Demokratie müsse das aushalten können. Zumal der Wettbewerb aus Rosenwassers Sicht schon immer politisch war, auch wenn er sich gerne das Gegenteil auf die Flagge schrieb. So habe der ESC schliesslich auch Russland nach der Invasion der Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Nationalraetin Anna Rosenwasser, SP-ZH, am Rand der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 18. Dezember 2023 im Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Anna Rosenwasser sagte in einem Interview 2023: «Das Jüdischste an mir ist wahrscheinlich der Antisemitismus, der mir entgegengebracht wird.»Bild: KEYSTONE

Nichtsdestotrotz sind die Proteste für Rosenwasser auch ein Stich ins Herz. Protest sei in Ordnung, aber Hass und Gewalt nicht. Denn: «Es ist eine Realität, dass sich einige jüdische Menschen im aktuellen politischen Klima nicht sicher fühlen.»

Dass Antisemitismus in der Schweiz zunimmt, spürt Rosenwasser am eigenen Leib:

«Ich erhalte seit eineinhalb Jahren mehr antisemitische Nachrichten. Einfach wegen meines jüdischen Namens.»
Anna Rosenwasser, SP-Nationalrätin

Viele würden Menschen mit jüdischen Wurzeln gleichsetzen mit Unterstützern der israelischen Regierung. Doch dies sei zu vereinfacht. «In der jüdischen Community gibt es sehr viele verschiedene und sehr differenzierte Meinungen zu Israel und dem Nahost-Konflikt», sagt Rosenwasser.

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339 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tagedieb
15.05.2025 06:58registriert März 2016
Anna Rosenwasser bringt es ziemlich auf den Punkt.
Und zu sagen den ESc sei unpolitisch ist etwas so logisch, wie zu sagen eine EM habe nichts mit Politk zu tun. Das ist schlicht nicht möglich, wenn Länder gegeneinader antreten!
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Greta
15.05.2025 06:29registriert Dezember 2021
Israel hat in den vergangenen Tagen und Wochen wiederholt betont, Gaza vollständig einnehmen zu wollen und dass sie Gaza wollen aber nicht die bestehenden Einwohner*innen.Damit wären wir halt weiterhin bei einer ethnischen Säuberung! Das Land zeitgleich an einem internationalen Feel-Good Event auftreten zu lassen und dann fordern diese Realität zu ignorieren ist doch genauso politisch, wie aktiv dagegen zu sein! Es fühlt sich etwas sehr nach Toleranz-Paradoxon an, wo Toleranz so weit geht, dass sie für Intoleranz gefordert wird und das auf Weltbühne.
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Daniel Noger
15.05.2025 06:02registriert November 2022
Ist so und Israel an erster Stelle mit der bewussten Auswahl der Kandidatin.
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