«Mein Herz ist am 7. Oktober gebrochen worden», sagt Roger Schawinski. Der Medienunternehmer, der einst den ersten Privatradiosender Radio 24 gründete, ist als Sohn eines jüdischen Textilwarenhändlers in Zürich-Wiedikon aufgewachsen. Er beobachtet die Proteste gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest in Basel mit grosser Sorge.
Vergangene Woche haben diese Proteste eine neue Eskalationsstufe erreicht. Zunächst forderten zahlreiche Kulturschaffende, Politikerinnen sowie Aktivisten den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Darunter Nemo.
Bei der Eröffnungsfeier am Wochenende dann das: Ein pro-palästinensischer Demonstrant fixierte mit seinem Blick die israelische Kandidatin Yuval Raphael, die am 7. Oktober den Angriff der Hamas auf das Supernova-Musikfestival überlebte. Dann gestikulierte der Demonstrant mit dem Zeigefinger an seinem Hals, was er der Sängerin wünscht: den Tod.
Die israelische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Kan hat umgehend Anzeige wegen Morddrohung gegen den Demonstranten erstattet. Nun warnt der israelische nationale Sicherheitsrat Jüdinnen und Juden davor, zum ESC in Basel zu reisen. Falls sie dennoch anreisten, sollten sie von Kleidung oder Symbolen absehen, die sie als Jüdinnen und Juden zu erkennen geben könnten, so die Empfehlung.
«Dass ich einmal erleben muss, dass sich Israeli und Schweizer Juden auf den Strassen in Basel nicht sicher fühlen können, hätte ich nie gedacht. Das ist sehr bedrückend», sagt Schawinski. Für ihn sind die Proteste gegen Israel im Rahmen des Wettbewerbs fehl am Platz, vor allem, weil der ESC als Musikevent ins Leben gerufen worden war, um die Nationen zu einen. Jetzt sei schon zum zweiten Mal in Folge das Gegenteil der Fall:
Der Forderung nach einem Ausschluss Israels vom Contest kann Schawinski nichts abgewinnen, auch wenn der ESC Russland ausgeschlossen hat. Für Schawinski gibt es zwischen Israel und Russland einen eklatanten Unterschied: «Russland hat ein demokratisches Land angegriffen und will es zerstören. Israel wurde angegriffen und hat sich anschliessend gegen eine furchtbare Terrororganisation gewehrt.»
Gaza erlebe eine furchtbare Tragödie, welche die Hamas ohne die geringste Rücksicht auf die eigene Bevölkerung provoziert habe, sagt Schawinski.
Der Schweizer Filmemacher und Schriftsteller Micha Lewinsky ist ebenfalls Jude. Bekanntheit erlangte er unter anderem mit seinem Spielfilm «Moskau Einfach!», der von der Schweizer Fichenaffäre handelt. Zum Nahost-Konflikt will sich Lewinsky nicht politisch äussern. Zu den Protesten gegen die Teilnahme Israels am ESC sagt er nur so viel:
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober beobachte er zunehmend, wie israelische Kulturschaffende Schwierigkeiten hätten, eine Bühne zu finden. Viele Veranstalter hätten inzwischen Angst davor, mit einer Einladung ein politisches Statement zu senden. Für Lewinsky ist jedoch klar:
Mit Boykotten würden alle Stimmen eines Landes zum Schweigen gebracht. Und damit auch die kritischen.
Auch die SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser hat jüdische Wurzeln. Anders als Roger Schawinski findet Rosenwasser die Proteste am ESC jedoch legitim: «Wir müssen uns vor Augen führen, worum es hier geht: Gegen Netanjahu liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vor, die israelische Regierung hat angekündigt, den Gazastreifen komplett besetzen zu wollen, und sie verhindert jegliche Hilfslieferungen.»
Dass Aktivistinnen und Aktivisten den ESC als Bühne zu nutzen wollen, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, findet Rosenwasser nachvollziehbar. Eine Demokratie müsse das aushalten können. Zumal der Wettbewerb aus Rosenwassers Sicht schon immer politisch war, auch wenn er sich gerne das Gegenteil auf die Flagge schrieb. So habe der ESC schliesslich auch Russland nach der Invasion der Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Nichtsdestotrotz sind die Proteste für Rosenwasser auch ein Stich ins Herz. Protest sei in Ordnung, aber Hass und Gewalt nicht. Denn: «Es ist eine Realität, dass sich einige jüdische Menschen im aktuellen politischen Klima nicht sicher fühlen.»
Dass Antisemitismus in der Schweiz zunimmt, spürt Rosenwasser am eigenen Leib:
Viele würden Menschen mit jüdischen Wurzeln gleichsetzen mit Unterstützern der israelischen Regierung. Doch dies sei zu vereinfacht. «In der jüdischen Community gibt es sehr viele verschiedene und sehr differenzierte Meinungen zu Israel und dem Nahost-Konflikt», sagt Rosenwasser.
Und zu sagen den ESc sei unpolitisch ist etwas so logisch, wie zu sagen eine EM habe nichts mit Politk zu tun. Das ist schlicht nicht möglich, wenn Länder gegeneinader antreten!