Muslimbrüder-nahes Institut in Frankreich aufgelöst – Direktor lebt im Kanton Neuenburg
Diese französische Entscheidung könnte Folgen in der Schweiz haben. Am 3. September hat der Ministerrat die Auflösung des «Institut européen des sciences humaines» (IESH) in Château-Chinon, Region Bourgogne-Franche-Comté, beschlossen. Das IESH wurde Anfang der 1990er-Jahre mit Unterstützung der damaligen Behörden von der «Union des organisations islamiques de France» (UOIF, seit 2017 «Musulmans de France») gegründet, einer mit den Muslimbrüdern verbundenen Vereinigung, einem der wichtigsten Kanäle zur Verbreitung des Islamismus.
Übersetzung
Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.
Islamismus ist jene expansionistische Ideologie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einigen muslimischen Ländern, darunter Ägypten, entstand und die Scharia, das islamische Recht, über jede andere Rechtsordnung stellt.
Schwere Vorwürfe
Die französischen Tageszeitungen Le Monde und Le Figaro haben den Polizeibericht erhalten, der zur Auflösung des IESH führte – nach zwei Hausdurchsuchungen im Dezember 2024 und im Verlauf des Jahres 2025 (Datum nicht mitgeteilt).
Laut «Le Monde» werden «drei unterschiedliche Gründe angeführt, um diesen Auflösungsentscheid zu rechtfertigen»:
- «Anstachelung zu Gewalttaten gegen Personen.»
- «Anstachelung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen Gruppen aufgrund ihrer Religion, nationalen oder ethnischen Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung.»
- «Handlungen mit dem Ziel, Terrorakte in Frankreich oder im Ausland herbeizuführen.»
Gestützt auf Berichte der Geheimdienste führt das Innenministerium an, mindestens neun Personen, die die Einrichtung besucht hätten, hätten sich später dschihadistischen Gruppen in Kriegsgebieten angeschlossen oder Anschläge verübt.
Verbindungen in die Schweiz
Offenbar leitete zum Zeitpunkt der Auflösung der seit Langem im Neuenburger Jura wohnhafte Mohamed Karmous – eine in der islamistischen Szene bekannte Figur – das IESH, nachdem er zuvor als Schatzmeister fungiert hatte. In der Folge wurden die französischen Vermögenswerte von Mohamed Karmous und Saïd Bouhdifi, Letzterer verantwortlich für die «Abteilung Heiliger Koran», eingefroren.
Der französische und tunesische Staatsbürger Mohamed Karmous ist Gründer der Liga der Muslime der Schweiz (LMS), die er 1997 ins Leben rief. Die LMS gilt als der Muslimbruderschaft nahestehend. Karmous und seine Frau Nadia, Initianten des «Musée des civilisations de l’islam» in La Chaux-de-Fonds, spielen in den Enthüllungen der Journalisten Georges Malbrunot und Christian Chesnot in ihrem 2019 erschienenen Buch «Qatar Papers» über die Finanzierung muslimischer Infrastruktur in der Schweiz mit Geld aus Katar eine wichtige Rolle.
Katar ist mit Netzwerken verbunden, die den Muslimbrüdern nahestehen. Es beherbergte bis zu seinem Tod 2022 den populärsten Prediger dieser Strömung: Yusuf al-Qaradawi, ein regelrechter Star, bekannt für provokative und mitunter zu Gewalt aufrufende Äusserungen.
Umgerechnet vier Millionen Franken seien zwischen 2011 und 2014 über die NGO Qatar Charity in die Schweiz geflossen, schreiben die Autoren der «Qatar Papers». Von diesen Geldern profitiert haben sollen unter anderem das Museum der Zivilisationen des Islam in La Chaux-de-Fonds, der «Complexe Culturel Musulman de Lausanne» in Prilly (CCML) und die Salah-Eddine-Moschee in Biel.
2019, nach dem Erscheinen der «Qatar Papers», wurde ein von Mohamed Karmous angestossenes Immobilienprojekt über 22 Millionen Franken in La Chaux-de-Fonds aufgegeben: Katar sah angesichts des negativen Echos von der Auszahlung der Gelder ab.
Am Montag versuchten wir, Mohamed Karmous telefonisch zu erreichen. Doch es meldete sich ein Mann, der angab, nicht Mohamed Karmous zu sein. Er sagte, bevor er auflegte:
Zurück in die Gegenwart. In ersten Reaktionen haben die Verantwortlichen des IESH in Château-Chinon bestritten, den aufrührerischen Islam zu verbreiten, dessen sie die französische Regierung bezichtigt. Im Gegenteil, sie beteuern, sich für die Integration der Muslime in die französische Gesellschaft einzusetzen, und werfen den Innen- und Justizministern, Bruno Retailleau und Gérald Darmanin, vor, sich auf ihre Kosten einen Prestigeerfolg ans Revers heften zu wollen.
Ein ehemaliger Vertrauter der Muslimbrüder sagte auf Anfrage: «Die ‹Union des organisations islamiques de France›, die das IESH gegründet hat, ist ihrem eigenen Spiel zum Opfer gefallen – dem der Transparenz gegenüber den Behörden, deren bevorzugter Ansprechpartner sie innerhalb der muslimischen Landschaft in Frankreich sein wollte. Diese hatten es dann leicht, kompromittierende Texte aufzutreiben, wie man sie in zahlreichen islamischen Bibliotheken findet, ohne dass das alles oder zwingend etwas über die tatsächlich vermittelten Inhalte aussagt.»
Schlag gegen «radikalen Islam»
Die Schliessung des IESH in Château-Chinon hinterlässt eine Lücke in der Imam-Ausbildung – «rund tausend Studierende (im Präsenz- und im Fernunterricht) belegten Kurse in Arabisch, Koranrezitation oder Theologie, in einer von den Behörden als ‹radikal› eingestuften Ausrichtung des Islam», schreibt «Le Monde».
Weitere IESH, die derselben Lehre folgen, gibt es in Europa – etwa in Deutschland, Finnland und Italien, wie «Le Figaro» berichtet. Das zeigt auch die Schweizer Islamismusforscherin Saïda Keller-Messahli in einem 2020 gedrehten Dokumentarfilm.