Abends im Open-Air-Kino: Kurz bevor der Film startet, flimmert ein Werbespot über die Leinwand, bei dem sich der eine oder andere Zuschauer ertappt fühlt. Beim Checken der Geschäftsmails auf dem Smartphone oder beim Gedanken daran, welche Herausforderungen am nächsten Tag bei der Arbeit auf ihn warten. Denn der 80-Sekunden-Spot, in dem die Protagonisten sperrige Schreibtische um die Hüfte tragen, hat eine klare Botschaft: «Freizeit ist besser ohne Büro. Schalten Sie aus, tanken Sie auf.»
Der Spot ist Teil der Kampagne «Ausschalten – Auftanken» des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), die am Montag in die dritte und voraussichtlich letzte Phase geht. Nach Kolumnen und kurzen Online-Spots soll die Bevölkerung dieses Mal mit einer Plakatkampagne dazu gebracht werden, die Arbeit nicht mit in die Freizeit zu schleppen.
«Arbeit und Freizeit lassen sich immer weniger trennscharf auseinanderhalten», sagt Eliane Stricker von der Arbeitsgruppe Prävention des Schweizerischen Versicherungsverbandes. Denn aufgrund der zunehmenden Digitalisierung wie auch der Globalisierung der Wirtschaft hätten immer mehr Menschen das Gefühl, jederzeit für die Arbeitskollegen oder Kunden erreichbar sein zu müssen. Mit Folgen: «Diese ständige Erreichbarkeit erhöht die Unfallgefahr in der Freizeit», sagt Stricker.
Diesen Zusammenhang will der Verband mit seiner neuesten Kampagne anschaulich aufzeigen. Wie zum Beispiel mit dem Sujet aus dem Seilpark. «Wer sich in seiner freien Zeit von der Arbeit ablenken lässt, ist unaufmerksamer», erläutert Stricker. «Das kann beim Wandern, im Strassenverkehr oder eben im Seilpark gefährlich werden.»
Der SVV hofft, dass die Präventionskampagne einige Freizeitunfälle verhindern kann, um dadurch einen kostendämpfenden Effekt auf die Leistungskosten zu erzielen. Wie viel Geld in die Präventionskampagne investiert wurde, teilt der Verband nicht mit.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung hat untersucht, wie hoch die Kosten von Freizeitunfällen ausfallen. Alleine im Jahr 2010 haben Nichtberufsunfälle in der Schweiz 10,4 Milliarden Franken gekostet. Tendenz steigend. Denn in den letzten Jahren sind die Unfallzahlen weiter gestiegen.
Die zunehmende Vermischung von Arbeit und Freizeit kann aber aber auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen. Davor warnte etwa Mediziner Georg Bauer in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: «Dauererreichbarkeit und häufige berufliche Nutzung des Smartphones können zu Schlafstörungen, mangelnder Erholung, gestörtem Familienleben und längerfristig zu psychischen Erkrankungen wie Depression und Burnout führen.»
Gemäss einer Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verursachen psychische Erkrankungen in der Schweiz einen volkswirtschaftlichen Schaden in der Höhe von 19 Milliarden Franken pro Jahr.
Gewerkschaften fordern darum immer wieder, dass das Recht des Arbeitnehmers auf Unerreichbarkeit möglichst deutlich im Vertrag festgeschrieben werden soll. Radikal war auch der Vorschlag von SP-Nationalrat Corrado Pardini. In einem offenen Brief an seine Genossen forderte er: «Zwischen 19 und 7 Uhr ist internetfreie Zeit.» Gegenüber «20 Minuten» präzisierte er: «Wir brauchend dringend Spielregeln, damit die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit nicht weiter verschwimmt.»
Was Pardini mit einem Gesetz durchsetzen wollte, will der Schweizerische Versicherungsverband nun mit Sensibilisierung erreichen: Keine Arbeit in der Freizeit.