Da soll noch einer sagen, die Spreitenbacher seien abstimmungsfaul, so wie es in den Medien vor den (eidgenössischen) Parlamentswahlen im Oktober kolportiert worden war. Gar als Nichtwähler-Dorf war Spreitenbach bezeichnet worden. Die gestrige Gemeindeversammlung aber bewies das Gegenteil: 693 (von 4683) Stimmberechtigte überforderten die Kapazitäten der Turnhalle Boostock und so blieb Gemeindepräsident Valentin Schmid (FDP) kurz vor 20 Uhr nichts anderes übrig als die Versammlung abzusagen.
Die untere Halle der Doppelturnhalle war aber für die Versammlung gar nicht eingeplant, die eigentlich um 19.30 Uhr angesetzt war. Doch um diese Zeit standen draussen immer noch Menschen Schlange, während es in der oberen Halle bereits keinen Platz mehr hatte. Schmids Absage quittierten die Anwesenden mit ungläubigem Lachen – und Applaus. «Das habe ich ja noch nie erlebt», war von einigen zu hören.
Die meisten Menschen waren wegen einem eigentlich eher technischen Traktandum gekommen: Der Teiländerung der Bau- und Nutzungsordnung (BNO), die aus der bisherigen Einkaufszone beim Shoppi Tivoli eine Wohn- und Einkaufszone machen soll. Diese würde einer grossen Veränderung den Weg ebnen: Dem «Zentrum Neumatt». Mitten in Spreitenbach soll ein neues Quartier entstehen, das die alten und neuen Quartiere miteinander verbindet und Spreitenbach ein neues Gesicht verleiht.
Das Zentrum würde dem Dorf mit vier fast 100 Meter hohen Türmen zudem die höchsten Hochhäuser im Kanton bescheren. Diese vier schmalen Wohnblöcke mit 600 Mietwohnungen und ein weiterer Bau mit 70 Eigentumswohnungen wären umrahmt von einem grossen Stadtpark und einem kleineren Stadtplatz. Dort, wo heute Asphalt und Beton dominieren, sollen dereinst die Menschen, die nach Spreitenbach kommen, freundlicher begrüsst werden.
Noch selten war in ein Projekt in Spreitenbach so viel Arbeit gesteckt worden wie in dieses Zentrum. Die letzten acht Jahre hat der Investor und Grundstückeigentümer, ein Immobilienfonds der Credit Suisse, viele Ressourcen dafür aufgewendet, um die Bevölkerung für das Zentrum zu begeistern. Mehrmals wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt und Fragen beantwortet.
Die Befürchtungen vieler Einwohner sind unter anderem, dass sich Spreitenbach mit den neuen Mietern doch wieder neue Probleme einbrockt statt, wie von der Gemeinde erwartet, gut verdienende Steuerzahler anzulocken. Auch die rege Bautätigkeit in Spreitenbach beschäftigt viele Einwohner. Diese gehört in Spreitenbach seit vielen Jahren zum Alltag – und das würde sich durch das Zentrum Neumatt auch in den nächsten zehn Jahren nicht ändern.
Inzwischen hat sich ein anonymes Nein-Komitee formiert, das Flyer verteilen liess, in denen alle negativen Punkte aufgezählt wurden. Auch auf Facebook wurde das neue Zentrum fleissig diskutiert. Auffällig hier vor allem die Befürworter, die sich diese Veränderung für Spreitenbach wünschen. Deshalb wurde dazu aufgerufen, an die Gemeindeversammlung zu gehen, um sich nicht von den älteren, eher kritisch eingestellten Stimmbürgern überstimmen zu lassen.
Diesem Ruf sind die Menschen offensichtlich gefolgt. «Wir haben geahnt, dass mehr Leute kommen werden als normalerweise», sagte Schmid. Das sind durchschnittlich 180 Stimmberechtigte. «Wir waren heute für rund 600 vorbereitet.»
Diese Gemeindeversammlung wird als die bestbesuchte in die Geschichte Spreitenbachs eingehen, auch wenn sie nicht durchgeführt werden konnte. «Die Gemeindeversammlung, die bis jetzt am meisten Besucher hatte, war im Jahr 1986 mit 532 Stimmberechtigten», wusste Schmid zu berichten.
Die Gemeindeversammlung wird nun auf Mitte Januar 2020 verschoben. Wo sie stattfinden wird ist noch nicht ganz klar, sagt Schmid: «Spreitenbach hat leider keine Möglichkeit, in dieser Grösse eine Versammlung durchzuführen – ausser in der Umweltarena.» In der Facebook-Gruppe «Du bisch vo Spreitebach wenn...» wurde inzwischen bereits die Hoffnung geäussert, dass diese dann mit noch mehr Stimmbürgern getoppt werden kann.
(aargauerzeitung.ch)
Das aktuelle Spreitenbach mit den beiden Türmen und den endlosen Betonwüsten ist hässlich. Drum wäre die Realisierung dieser Idee eine echte Verbesserung. Es würde sicher auch besser zum schönen alten Teil des Dorfes passen.