Nach monatelangen Verhandlungen steht das Abkommen der Schweiz mit der EU. Ein «historisches» Ereignis, schwärmte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Pressekonferenz mit Bundespräsidentin Viola Amherd. Um 15 Uhr folgten die konkreten Resultate der Verhandlungen – das sind die wichtigsten Punkte.
Bislang ist der Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt in fünf Abkommen geregelt. Betroffen sind Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft und Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA). Nun sollen drei weitere Bereiche hinzukommen: Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Bei diesen neuen Punkten gilt eine sogenannte «dynamische Rechtsübernahme».
Konkret beschlossen wurde neu etwa eine Liberalisierung des Strommarktes. Dabei könne die Versorgungssicherheit gestärkt werden, argumentiert der Bund. Weiter wurde entschieden, dass die Schweiz im Bildungsbereich wieder bei EU-Programmen mitmachen darf. Dazu gehören etwa das Uni-Austauschprogramm Erasmus oder das Forschungsprogramm Horizon.
Auch im ÖV kommt es zu Neuheiten: Ausländische Züge dürfen neu auf Schweizer Schienen fahren. Dabei kommen gewisse Rahmenbedingungen zum Tragen. Schweizer Fluggesellschaften dürfen dafür neu Inlandflüge innerhalb von EU-Staaten anbieten.
Beim Thema Gesundheit geht es darum, dass die Schweiz mit der EU bei der Prävention und der Kontrolle von Krankheiten zusammenarbeitet.
Die Schweiz übernimmt hiermit EU-Recht. Grundsätzlich können Parlament und Volk diese Regeln weiterhin ablehnen, müssen dann aber mit möglichen Strafen rechnen. Einzelne Ausnahmen bleiben möglich.
Bei Streitfällen entscheidet ein Gemischter Ausschuss des betroffenen Abkommens. Gibt es dort keine Einigung, kommt ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht zum Zug. Dieses muss den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einbeziehen, wenn es um EU-Recht geht. Die Beurteilung liegt dann aber nicht beim EuGH, sondern beim Schiedsgericht.
Die grosse Frage im Vorfeld lautete: Wie viel Geld muss die Schweiz an die EU im Rahmen eines Abkommens überweisen? Bereits früh schien klar: Wohl um einiges mehr als die bisherigen 130 Millionen Franken pro Jahr. Und das bestätigte sich am Freitag.
So wird die Schweiz ab 2030 und bis 2036 Kohäsionsbeiträge in der Höhe von 350 Millionen Franken pro Jahr bezahlen. Bis dahin gilt eine Übergangsphase: Während dieser muss die Schweiz pro Jahr einen Beitrag von 130 Millionen Franken pro Jahr nach Brüssel überweisen.
Mit dem Beitritt der Schweiz zum Personenfreizügigkeitsabkommen 2002 nahm die Zuwanderung stark zu. Wirtschaftlich profitiert die Schweiz davon, doch gewisse Begleiterscheinungen der hohen Zuwanderung sorgen für Kritik. Die Schweiz drängte in den Verhandlungen deshalb auf eine Schutzklausel im Bereich der Zuwanderung.
Dieses Thema hatte im Vorfeld für Spannungen gesorgt – so wurde bezweifelt, dass die Schweiz tatsächlich eine solche Klausel erhält. Zu einem gewissen Grad wurde diese nun aber doch erreicht: Für die Schweiz gilt eine Schutzklausel «für den Fall von unerwarteten Auswirkungen der Personenfreizügigkeit». Betroffen sind etwa Landesverweise – hier übernimmt die Schweiz keine Bestimmungen der EU, falls diese über das Freizügigkeitsabkommen hinausgehen.
Weiter wird das in der Unionsbürgerrichtlinie von der EU vorgesehene Daueraufenthaltsrecht, welches EU-Staatsangehörigen nach fünfjährigem Aufenthalt zusteht, in der Schweiz nur Erwerbstätigen zugestanden.
Bei solchen Ausnahmen kann die EU Ausgleichsmassnahmen bei der Zuwanderung beschliessen.
In der Schweiz gilt derzeit «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort». Heisst: Betriebe aus dem Ausland mit Arbeitskräften, die in die Schweiz geschickt werden, müssen sich an die Schweizer Bedingungen halten.
Dieses Prinzip besteht auch in Zukunft. Bei Entsendungen aus der EU in die Schweiz bedeutet dies, dass Entsendebetriebe ihren Arbeitnehmern die in der Schweiz geltenden Löhne zahlen müssen. Zudem wurde vereinbart, dass die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz auch weiterhin von den Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie den Kantonen kontrolliert wird.
Allerdings gibt es auch Ausnahmen – so etwa die Voranmeldefrist für ausländische Firmen, die in der Schweiz Dienstleistungen erbringen wollen. Diese Frist wird von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage verkürzt und gelangt in Risikobranchen zur Anwendung.
(dab)
Tolles Wortspiel!
Ich hoffe, dass diese Regelung nicht dazu führt, dass ausländische Bahnunternehmen sich lukrative Strecken sichern und die SBB noch mehr subventioniert werden muss, weil noch mehr Belastung durch defizitäre (aber trotzdem für das Gesamtverkehrskonzept!) wichtige Strecken bedienen muss!
Dito Strommarktliberalisierung... die Schweiz ist ein Honigtopf für ausländische Anbieter; hier darf es nicht zum Ausverkauf kritischer Infrastruktur kommen!
Wer denkt, dass wir gegenüber der EU am grösseren Hebel sind, wird noch auf die Welt kommen.
Man muss nur Grossbritannien schauen. Dort läufts ja mit allem wie geschmiert seit ihrem Brexit im Jahre 2016...