Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat am Tag der Arbeit ein düsteres Bild der Arbeitnehmenden gezeichnet. Wegen der Coronavirus-Pandemie seien Ungleichheiten verstärkt worden. Deshalb sei es Zeit für eine soziale Wende. In Bern und Zürich kam es zu unbewilligten Kundgebungen.
SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard sagte am Samstag in der Liveübertragung zum Tag der Arbeit, die Corona-Pandemie sei eine grosse soziale Katastrophe. Viele Menschen befänden sich in der Kurzarbeit. Doch 20 Prozent weniger Lohn über Monate stelle viele Familien vor Schwierigkeiten.
«Nach dem Kampf gegen das Virus ist es höchste Zeit, den sozialen Kampf wieder aufzunehmen», sagte Maillard im SGB-Livestream. Es brauche einen Aufschwung für die Arbeiterinnen und Arbeiter mit Vollbeschäftigung, besseren Löhnen und einer sozialeren Altersvorsorge – eine soziale Wende.
Anders als vor einem Jahr fand der Tag der Arbeit dieses Mal nicht nur im Internet statt. Schweizweit wurde laut SGB an rund 40 verschiedenen Anlässen auf die Anliegen der Gewerkschaften und Arbeitnehmenden aufmerksam gemacht.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga und ihr SP-Bundesratskollege Alain Berset forderten zum 1. Mai Solidarität, denn die Arbeitsbedingungen seien wegen der Pandemie in Berufen mit niedrigen Löhnen schlechter geworden. Berset sagte in seiner Twitter-Ansprache, Ungleichheiten würden weiter zunehmen. Jobs mit tiefen Löhnen seien besonders gefährdet. Vor allem treffe diese Krise die Frauen, so Berset.
Notre solidarité est plus grande que la crise. #1mai Die Krise mag gross sein. Unsere Solidarität ist grösser. #1mai La crisi sarà anche grande, ma la nostra solidarietà lo è di più. #1maggio #SozialeWende pic.twitter.com/0WfMLsEWxH
— Alain Berset (@alain_berset) May 1, 2021
Sommaruga hatte anlässlich des Tages der Arbeit bereits am Freitag Verkäuferinnen in Lausanne besucht. Bei ihrer Visite im Detailhandel forderte sie Lohngleichheit und Flexibilität, nicht nur von den Arbeitnehmenden sondern auch von den Arbeitgebern.
VPOD-Präsidentin und Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) betonte im Livestream, gerade für den Service Public sei es ein «extremes und ausserordentliches» Jahr gewesen. Die Systemrelevanz der Berufe dieses Sektors, darunter Bildung, ÖV, Sozialwesen aber auch Abfallwesen, sei sichtbar geworden.
Laut Unia-Präsidentin Vania Alleva hat sich die Situation in den Tieflohn-Branchen wegen der Corona-Krise verschärft. Flexible Arbeitszeiten, Kleinstpensen und Arbeit auf Abruf würden überhandnehmen, deshalb werde der Kampf für «anständige Löhne und sichere Arbeitsbedingungen umso wichtiger», sagte Alleva an der SGB-Veranstaltung.
In mehreren Städten der Schweiz kam es zu Kundgebungen. In Bern und Zürich war zu unbewilligten Demonstrationen aufgerufen worden. In den Kantonen Bern und Zürich dürfen an Demonstrationen zurzeit maximal 100 Personen teilnehmen.
Mehrere Hundert Personen beteiligten sich an einer unbewilligten 1.-Mai-Demonstration in Bern. Die Polizei hielt sich beim Umzug durch die Innenstadt im Hintergrund, obwohl die Teilnehmerzahl deutlich zu hoch war. Zur Kundgebung aufgerufen hatte ein «Berner Bündnis Revolutionärer 1. Mai».
Die Gewerkschaften verzichteten in Bern auf den traditionellen 1.-Mai-Umzug. Es gab lediglich dezentrale Informationsstände, quer durch die Stadt verteilt.
In Zürich ging die Polizei in der Innenstadt gegen eine unbewilligte Kundgebung zum 1. Mai vor. Sie kesselte am frühen Nachmittag mehrere Demonstranten ein. Im Kurznachrichtendienst Twitter teilte die Polizei mit, dass sie einen Umzug nicht toleriere.
Laut einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur Keystone-SDA befanden sich in der Nähe des Helvetiaplatzes mehrere Hundert Demonstranten und Schaulustige. Es wurden vereinzelt Böller gezündet und einige Container umgeworfen. Die Polizei riegelte zeitweise den Helvetiaplatz und Teile der Rotwandstrasse sowie der Langstrasse ab. Wasserwerfer standen bereit.
In Basel versammelten sich weit über tausend Menschen zur polizeilich bewilligten 1.-Mai-Kundgebung. Der Demonstrationszug blieb mit Ausnahme eines kurzen Scharmützels mit der Polizei und einer internen Auseinandersetzung gegen Schluss friedlich.
Auch in St.Gallen verlief eine Demonstration friedlich. Die Polizei war mit einem kleinen Aufgebot sichtbar vor Ort. In Genf beteiligten sich rund tausend Menschen am traditionellen 1.-Mai-Umzug.
Vor einem Jahr hatte es wegen des Coronavirus erstmals in der Geschichte der organisierten Schweizer Arbeiterschaft – und damit seit 130 Jahren – zum Tag der Arbeit am 1. Mai keine Kundgebungen gegeben. (sda)