«Meine Brüste waren Gesprächsthema in der Männerrunde» – Sexismus in der Gastronomie
Den Satz «Wir haben genug!» schreibt das Gastra Kollektiv auf seinem Instagram-Profil mehr als einmal. Es besteht aus Frauen, Inter-, Non-binary- und Transpersonen, die in der Gastronomie arbeiten und sich zusammengeschlossen haben.
Sie haben vor allem einen gemeinsamen Treiber – die Wut.
So sagt das Kollektiv gegenüber watson: «Uns vereint die Wut gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Sexismus in der Gastronomie. Festzustellen, dass wir mit diesen Problemen nicht allein sind, hat uns Kraft gegeben, uns gemeinsam zu engagieren.»
Nebst dieser Wut verbindet die Mitglieder des Kollektivs noch etwas – sie alle mussten schon sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz erleben.
«Als wir uns als Gastra Kollektiv das erste Mal getroffen und unsere Erfahrungen mit sexueller Belästigung geteilt haben, verspürten wir richtige Gänsehaut-Solidarität. Zu hören, dass wir das alle kennen und damit nicht allein sind, hat vielen von uns die Augen geöffnet», so das Kollektiv.
Für das Gastra Kollektiv ist klar, dass der Sexismus in der Gastronomie prävalent ist. Es möchte auf ebendiesen aufmerksam machen und etwas dagegen unternehmen. Deshalb hat es folgenden Post auf Instagram veröffentlicht:
Konkrete Schilderungen von Betroffenen
Das Gastra Kollektiv erhielt nach dem Post eine Flut an Direktnachrichten. Einige davon hat es mit watson geteilt.
Der schon etwas ältere Herr kostete also den Wein, gab mir ein Zeichen, dass der Wein gut war. Darauf goss ich seinen Kollegen auch Wein ein. Der erste Herr fragte mich währenddessen, ob ich zu Hause auch alle Dinge auf den Boden werfe. Ich verstand zuerst gar nicht, was er damit meinte. Dann realisierte ich, dass es um den Korken ging. Ich sagte nichts und schenkte weiter Wein ein. Als ich nicht reagierte, sagte er in normaler Lautstärke zu seinem Tischnachbar:‹Die sollte man einmal so richtig durchfi***n, dann lernt sie das schon!›
Ich stellte den Wein hin – ohne allen Wein eingeschenkt zu haben – und verliess den Tisch. Ich ging zur Bar und stand einfach nur so da. Was hat der jetzt gerade gesagt? Kann das wirklich sein? Der Chef sah mich schockiert dastehen und fragte mich, was los sei. Ich erzählte ihm die Geschichte. Er wurde wütend und übernahm den Tisch für mich. Das war schon gut, aber eigentlich hätte man denen die Rechnung bringen sollen!»
Ich war so perplex, dass ich das Weite suchte und mich an meine Vorgesetzte wandte, um sie zu bitten, dass wir sie gleich wieder des Lokals verweisen. Sie meinte, sie würde den Tisch übernehmen, worauf sie sich den ganzen Abend sexistische Sprüche und Anmachen anhören musste. Als wäre das nicht genug schlimm, kam an einem Punkt unser Geschäftsführer per Zufall privat ins Lokal. Da war die Gruppe schon weg. Ich habe mich an ihn gewandt und erzählt, was passiert ist. Ich habe aktiv gesagt, meine Kollegin und ich seien von der Gruppe sexuell belästigt worden und dass es ein schlimmer Abend für mich war. Er hat mich nicht ernst genommen und meinte: ‹Haben sie denn gut konsumiert? Ja? Dann ist’s ja halb so schlimm.›
«Nur gemeinsam können wir etwas bewirken»
Das Gastra Kollektiv formuliert auch klare Lösungsansätze: «Es braucht in allen Betrieben Schulungen gegen sexuelle Belästigung. Es erfordert diesbezüglich eine klare Handhabung: Wir müssen unangenehme Gäste verwarnen und des Lokals verweisen und dabei auf die Rückendeckung unserer Chefs und Chefinnen und Mitarbeitenden zählen können.»
Doch das Kollektiv spricht auch noch weitere Punkte an, bei denen es in der Gastronomie dringend Verbesserungen benötigt: «Nach der Pandemie haben enorm viele Gastroangestellte den Job gewechselt. Kein Wunder, denn die Arbeitsbedingungen sind mies.»
«Konkret braucht es höhere Löhne, keine Arbeit auf Abruf, ausser entlöhnte Pikettdienste, eine klare Haltung aller Betriebe gegen Sexismus und Schutz der Beschäftigten, höhere Entschädigung für Nacht und Sonntagsarbeit», ergänzt es.
Das Kollektiv hat eine Vision: «Wir wollen in unseren Betrieben mitreden, denn um unsere Bedürfnisse kümmert sich sonst niemand. Deshalb müssen wir Gastroarbeitende uns zusammen schliessen. Nur gemeinsam können wir etwas bewirken.»