Bereits zu Beginn des Rockerprozesses Ende Mai kam es zu wüsten Szenen vor dem Amtsgericht in der Berner Innenstadt. Die Mitglieder der verfeindeten Rockergruppen der Hells Angels und Bandidos warfen mit Steinen und Flaschen aufeinander. Die Polizei musste Gummischrot, Tränengas und Wasserwerfer einsetzen.
Auch für heute Donnerstag sind die Berner Sicherheitsbehörden mit einem deutlich sichtbaren Dispositiv vor Ort, wie Sicherheitsdirektor Reto Nause gegenüber dem «Blick» bestätigte. «Der Prozess an sich zeigt ja auf, dass durchaus eine hohe Gewaltbereitschaft da ist, und das macht unter dem Strich natürlich auch Sorgen», so Nause.
Rund um das Amtshaus hatten schon frühmorgens viele Polizisten Position bezogen, wie Reporter der Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichteten. Auf der nahegelegenen Schützenmatte begannen sich die Hells Angels zu versammeln.
Rund 30 Mitglieder der Motorradgruppe waren kurz nach 7 Uhr bereits vor Ort. Ob auch die verfeindeten Bandidos aufmarschieren werden, ist unbekannt.
Der Verkehr rollte zunächst normal. Auf den Strassen rund um das Gerichtsgebäude standen zahlreiche Polizeifahrzeuge mit Einsatzkräften bereit. Seit Mittwochnachmittag gilt rund um das Gerichtsgebäude ein Parkverbot.
Das Regionalbericht Bern-Mittelland will die Urteile ab 9 Uhr verkünden. Drei Stunden sind dafür veranschlagt, wie «Bund» und «Berner Zeitung» am Donnerstag berichteten.
2019 kam es im Berner Vorort Belp zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen drei Motorradclubs.
Zum Streit kam es laut einhelligen Aussagen der Verfahrensbeteiligten, weil der damals in der Schweiz nicht offiziell vertretene Motorradclub Bandidos in Belp ein Clublokal eröffnen wollte. Die Hells Angels und die mit ihnen verbündeten Berner Broncos wollten das verhindern und die Bandidos einschüchtern.
Beteiligt waren etwas über 30 Personen. Die Polizei hielt nach den Auseinandersetzungen 34 Personen an und stellte zahlreiche Waffen sicher. Ende Mai begann der Prozess am Amtsgericht Bern. Vor Gericht müssen sich nun 22 Mitglieder der verfeindeten Rockergruppen verantworten.
Der Berner Staatsanwalt Marco Amstuz forderte in seinem Plädoyer für die 22 Beteiligten Freiheitsstrafen von insgesamt fast 38 Jahren.
Die zwei Hauptangeklagte, beide Mitglieder der Bandidos, sollen 9,5 respektive 8,5 Jahre hinter Gitter. Nach Auffassung des Berner Staatsanwaltes haben sich die beiden der vorsätzlichen versuchten Tötung und des Raufhandels schuldig gemacht. Einer von ihnen zog nach Überzeugung des Staatsanwaltes beim Streit um die Vorherrschaft von Motorradclubs in der Schweiz seine Pistole und schoss im Tumult um sich.
Er soll mit einem Schuss einen Gegner lebensgefährlich verletzt haben. Der andere rammte laut dem Staatsanwalt einem am Boden liegenden Gegner zweimal ein langes Messer in den Rücken. Dieser Mann trug laut Amstutz «aus reinem Zufall» keine lebensbedrohlichen Verletzungen davon. «Wer bei einem Tumult von 30 Personen so herumschiesst, nimmt den Tod eines Menschen in Kauf», so Amstutz vor Gericht.
Für einen dritten Angeklagten beantragte der Staatsanwalt wegen der Vorwürfe der versuchten schweren Körperverletzung und des Raufhandels eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Dieser Mann schlug nach Überzeugung des Anklägers rund fünfzehnmal mit grosser Wucht mit einem dicken Elektrokabel auf den Kopf eines Gegners ein – denselben Mann, der danach mit dem Messer verletzt wurde.
Die Wirkung des Elektrokabels sei vergleichbar mit jener eines Schlagstocks oder einer Stange, sagte der Staatsanwalt.
Neunzehn weitere Männer waren vor dem Berner Gericht angeklagt wegen Raufhandels. Für sie beantragte Amstutz Freiheitsstrafen zwischen sechs und vierzehn Monaten – im Gegensatz zu den Strafen von vier, achteinhalb und neuneinhalb Jahren alle bedingt auszusprechen.
Alle am Streit Beteiligten hätten gewusst, dass mit einer Auseinandersetzung zwischen Bandidos und Hells Angels respektive den mit ihnen verbündeten Berner Broncos zu rechnen sei, sagte der Staatsanwalt. Und sie hätten sich in irgendeiner Form am Tumult beteiligt. Dass es auch zu einer Schiesserei kommen würde, damit habe allerdings wohl niemand gerechnet.
Als erster Verteidiger sprach im Prozess Rechtsanwalt Beat Luginbühl, welcher den mutmasslichen Schützen vertrat. Luginbühl beantragte für seinen Klienten eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Dies für versuchte vorsätzliche Tötung in Notwehrexzess.
Luginbühl betonte, der 37-Jährige sei designierter Sicherheitschef der Bandidos gewesen. Er habe also den Auftrag gehabt, die Gäste der Geburtstagsparty zu schützen – darunter auch solche, welche überhaupt nichts mit dem Motorradclub zu tun hätten.
Er habe die vielen Broncos und Hells Angels auf die Bandidos zuströmen sehen und nach einem ersten Gerangel mit einem Angreifer zuerst in die Luft gefeuert. Erst dann habe er auf ein Auto geschossen, wobei nicht erstellt sei, dass dieser Schuss zu einer lebensgefährlichen Verletzung eines Hells Angels geführt habe.
In Angst und Panik habe sich der Mann nicht mehr anders zu helfen gewusst. Diese Notwehrlage sei strafmindernd zu berücksichtigen – ebenso das Geständnis, geschossen zu haben. Dieser Mann befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug.
Die Anwälte sämtlicher Angeklagten forderten während des Prozesses Freisprüche für ihre Mandanten. Es gäbe keine Beweise, dass die Club-Mitglieder aktiv an der Auseinandersetzung beteiligt waren.
Der öffentliche Druck ist gross. Viele Stimmen fordern strenge Urteile. «Die Strafe müsse psychisch wehtun», liess sich FDP-Nationalrätin Doris Fiala von «20 Minuten» zitieren. So könne man Schläger womöglich von Gewalt abhalten und Verhaltensänderungen bewirkt werden.
Auch vonseiten SVP ist der Ton scharf. «Wir können nicht tolerieren, dass private Gruppen ihre Kämpfe auf unseren Strassen austragen», so SVP-Nationalrat Mauro Tuena gegenüber der Pendlerzeitung.
Auch der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause äusserte sich im Vorfeld der Urteilsverkündigung. Die Gewaltbereitschaft der Anhänger der Motorradclubs sei sehr hoch, der Einsatz für die Polizei gefährlich. «Beide Gruppen suchen konstant die Eskalation und wollen aufeinander losgehen», so Nause. Deswegen brauche es «griffige und abschreckende Strafen».
Vom öffentlichen Druck sollte sich das Berner Amtsgericht aber nicht beeinflussen lassen. Es wird seine Entscheidung unabhängig davon fällen und am Donnerstag im Laufe des Tages darüber informieren.
(ohe/sda)
Hoffe auf ein hartes Urteil, aber auch auf ein hartes durchgreifen der Polizei. Es kann nicht sein, dass diese wichtige Verkehrsachse wegen den pubertierenden töfflibuebe immer wieder gesperrt werden muss.
Zwei grosse Motorradtreffen im Kanton Bern erhalten wahrscheinlich keine Bewilligung.