Frau Zimmermann-Murphy, die Ehe ist keine Lebensversicherung mehr. Das hat das Bundesgericht in diversen Urteilen entschieden. Ist das nicht ein Nachteil für viele Hausfrauen?
Anna Zimmermann-Murphy: Im Gegenteil. Die Entscheide helfen den Frauen. Damit wird ihnen klargemacht, dass sie im Erwerbsleben bleiben sollen.
Begegnen Ihnen als Familienrechtlerin überhaupt noch Familien, bei denen die Mutter gar nicht mehr arbeitet und sich zu 100 Prozent um Kinder und Haushalt kümmert?
Solche Fälle erlebe ich praktisch nicht mehr. Meistens geht es nicht darum, dass die Mutter wieder ins Erwerbsleben einsteigt, sondern darum, dass sie ihr Pensum wieder aufstockt. Dass die Frau sich komplett aus der Arbeitswelt zurückzieht, ist ein veraltetes Modell. Die Ehe ist in der Praxis schon länger keine Lebensversicherung mehr.
Das heisst, es war höchste Zeit, dass auch das Bundesgericht den gesellschaftlichen Wandel anerkennt?
Richtig. Es ist gut, dass dieser falsche Anreiz nun verschwindet.
Was meinen Sie damit?
Wenn man als Mutter komplett aus der Berufswelt aussteigt, gibt man sich in eine komplette finanzielle Abhängigkeit. Die Frauen müssen wissen, dass sie sich in einem Scheidungsfall nicht auf eine Eheversicherung verlassen können. Sie müssen wissen, dass der Mann nicht bedingungslos bis zur Pensionierung zahlen wird. Und auch wer nach zehn Jahren ohne Job wieder einsteigen will, der landet ziemlich sicher beim Sozialamt.
Das Bundesgericht behandelte vor allem Fälle aus ländlicheren Kantonen, Graubünden oder Solothurn gehörten dazu. Ist das ein Zufall oder gibt es eine ländliche und eine städtische Rechtsprechung?
Das ist alles andere als Zufall. Die Unterschiede im richterlichen Ermessen sind enorm. Ein Richter an einem Regionalgericht in Burgdorf entscheidet häufig ganz anders als einer in der Stadt Bern.
Ein weiteres wegweisendes Urteil des Bundesgerichts ist jenes zu den Unterhaltszahlungen von Müttern. Haben Sie häufig erlebt, dass Väter punkto Obhut oder Unterhaltszahlungen benachteiligt wurden?
Solche Fälle gab es. Besonders bei den unteren Instanzen erhielten häufig die Frauen die alleinige Obhut. Dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung geändert hat, ist zu begrüssen. Doch es stellt uns Familienrechtlerinnen auch vor neue Probleme.
Die da wären?
Die alternierende Obhut wurde zur Regel erklärt. Das heisst, dass sich Mutter und Vater die Obhut teilen sollen. Die Kinder wohnen dann bei beiden Eltern. In der Familienrealität ist es aber immer noch meistens so, dass sich die Mütter hauptsächlich um die Kinder gekümmert haben. Für die Kinder ist Stabilität aber besonders wichtig, vor allem dann, wenn sich die Eltern trennen. Wenn nun ein Gericht eine alternierende Obhut anordnet, sich die Mutter aber vor der Trennung viel häufiger um die Kinder gekümmert hat, dann wird diese Stabilität gekippt.
Ist es nicht eine begrüssenswerte Entwicklung, dass sich auch Väter mehr um ihre Kinder kümmern sollen?
Natürlich ist es das. Aber wenn man rein aus Gleichberechtigungsgründen eine starre 50:50 Betreuung anordnet, dann widerspricht das der gesellschaftlichen Realität. In der Praxis führt das immer wieder zu riesigen Obhutsstreitigkeiten. Fachstellen, die Obhutsgutachten schreiben, sind deswegen massiv überlastet.
Gibt es weitere Bereiche, bei denen Ihnen ein wegweisendes Bundesgerichtsurteil den Arbeitsalltag erleichtern würden?
Früher berechneten die Gerichte den Kinderunterhalt mithilfe von fixen Prozentregeln. Das ist heute nicht mehr so. Und das Ermessen der Richterinnen und Richter ist enorm gross. Da gibt es zum Teil riesige Unterschiede. Wenn man den Krach zwischen geschiedenen Partner klein halten will, dann sollte man sich wieder in Richtung fixe Werte und Tabellen bewegen.
Wurde die Ehe mit den Bundesgerichtsentscheiden nun wieder salonfähig gemacht? Oder braucht es noch mehr Bewegung?
Die Urteile sind sicher ein richtiger und wichtiger Schritt. Doch es muss auch politisch noch Einiges passieren. Ich weiss aus ganz persönlicher Erfahrung, dass es noch immer viele falsch gesetzte Anreize gibt. Beispielsweise dass ein Zweiverdienerehepaar mehr Steuern als ein nicht verheiratetes Paar zahlt. Oder dass die externe Kinderbetreuung nicht komplett von den Steuern abgezogen werden kann. Das führt in Fällen dazu, dass sich die Frauen wieder aus dem Erwerbsleben zurückziehen, weil es sich finanziell einfach nicht lohnt, zu arbeiten und die Kinder extern betreuen zu lassen.
Alleine schon dieser Satz bringts auf den Punkt, wie Hausfrauen/männer oft wahrgenommen werden: Sie arbeiten nicht mehr. Wird dann aber dieselbe Arbeit von Kitaangestellten oder einer Nanny oder Haushilfe erledigt, dann ist es plötzlich eine Arbeit, die natürlich auch bezahlt werden muss.
Ich fand mein Leben nie anstrengender, als zu der Zeit, als ich vollzeitlich meine kleinen Kinder betreute, bekochte, bespielte, tröstete, pflegte, und sie von Herzen liebte.