Ertan Y. (Name geändert) inszeniert sich auf seinem öffentlichen Instagramprofil wie ein Star. Er posiert auf Jachten und in Privatjets, mit dicken Zigarren und edlen Steaks. Regelmässig rückt er dabei seinen linken Arm mit seiner goldenen Rolex ins Bild. So wird auch der Schriftzug sichtbar, den er von der Luxusuhr bis zum Ellbogen tätowieren liess: HELLS ANGELS. «Wir sind immer noch da», schrieb er im Jahr vor seiner Verhaftung.
Der 36-jährige Türke aus Basel betrieb mutmasslich Geschäfte, die sich mit Diskretion am besten erledigen liessen. Als Haupteinnahmequelle soll er an einem Anlagebetrug in Millionenhöhe beteiligt gewesen sein und als Nebenerwerb illegales Glücksspiel mitorganisiert haben. Doch die Rolle des unauffälligen Strippenziehers war ihm nicht genug. Deshalb dokumentierte er sein Jetsetleben im Dunstkreis von Prominenten.
Ertan Y. war früher Mitglied der Motorradgang Hells Angels in der Türkei und von 2017 bis 2020 bei der Basler Ortsgruppe, genannt Charter. Gemäss der Basler Staatsanwaltschaft hatte er innerhalb der Rockergang eine führende Stellung und «wurde gegen aussen regelmässig als Chef der Hells Angels Basel wahrgenommen». Der amtierende Präsident des Basler Charters bestreitet dies allerdings und bezeichnet ihn als einfaches Mitglied.
Die Inszenierung des Höllenengels kommt auf Instagram gut an. Er hat 50’000 Follower und stuft sich auf der Plattform selbst als «Person des öffentlichen Lebens» ein. Dabei nutzt er auch den Ruhm anderer: Wie Trophäen stellt er seine Kontakte zu Fussball- und Rapstars aus. Nach seinen Geburtstagen im Juni in den Jahren 2018, 2019 und 2020 veröffentlichte er jeweils Videonachrichten, die sie ihm schickten.
Zu den Gratulanten gehören: Breel Embolo (heute bei AS Monaco), Granit Xhaka (Bayer Leverkusen), Taulant Xhaka (FC Basel), Eray Cömert (FC Nantes), Michael Lang (FC Basel), Samuele Campo (FC Luzern), Manuel Akanji (Manchester City), Albian Ajeti (FC Basel), Noah Okafor (AC Mailand). Alle spielten in jungen Jahren in Basel.
Kassra Zargaran ist ein Hells-Angels-Aussteiger. Der 37-Jährige war Mitglied des Berliner Charters und dabei Teil eines Killerkommandos. Vor Gericht sagte er als Kronzeuge aus und erhielt dafür einen Strafrabatt. Nach sieben Jahren im Gefängnis veröffentlichte er ein Buch: «Der Perser». Das war sein Spitzname mit Bezug auf seine iranischen Wurzeln. Heute lebt er an einem geheimen Ort in Deutschland unter Polizeischutz.
Aus der Perspektive der Hells Angels sei es nachvollziehbar, sagt er in einem Videoanruf, dass sie versuchten, einen Fuss ins Milliardengeschäft Fussball zu kriegen. «Dass aber Fussballstars dabei mithelfen und einem Hells Angel zum Geburtstag gratulieren, halte ich nicht nur für maximal naiv, sondern für gefährlich.» In Westeuropa wisse man, wofür die Hells Angels stünden: Der Club zeichne seine Mitglieder dafür aus, wenn sie töten, dem Staat schaden oder die Prostitution fördern.
Zargaran hat die Hells Angels als kriminelle Organisation erlebt: «Es ist jenseits von Gut und Böse, zu glauben, es handle sich um einen Verein von Männern, die nur zusammen Motorrad fahren und Bier trinken.» Dafür könne man in irgendeinen Töffclub gehen.
In Deutschland sind viele Charter der Hells Angels verboten. In der Schweiz sind die Behörden zurückhaltender, seit die Bundesanwaltschaft 2010 damit gescheitert ist, sie als kriminelle Organisation zu verfolgen.
Das Bundesamt für Polizei schätzt die Lage heute so ein: «Mehrere Rocker- und rockerähnliche Gruppierungen, die auch in der Schweiz präsent sind, sind im Ausland regelmässig Gegenstand von Verfahren wegen organisierter Kriminalität. Wiederholt bestehen dabei Bezüge zur Schweiz.» Schweizer Mitglieder seien in der Vergangenheit in Gewalt-, Vermögens-, Waffen- und Drogendelikte involviert gewesen. In Europa sei die Rockerszene zudem mehrfach in Callcenter-Betrugsfälle verwickelt gewesen.
Dieses Geschäftsmodell hat Ertan Y. mutmasslich in die Schweiz geholt. Gemäss internationalen Ermittlungen lief der Anlagebetrug so ab: Hells Angels in Deutschland und der Türkei bauten 38 Investmentplattformen auf, schalteten Werbung dafür und bewegten Interessierte dazu, ihre Kontaktdaten zu hinterlegen. Diese erhielten danach Anrufe aus türkischen Callcentern mit gefälschten Telefonnummern. Auf dem Display erschienen keine türkischen, sondern schweizerische Nummern. Die Callagents drängten die Anleger dazu, Beträge auf Schweizer Konten einzuzahlen. Ein fiktives Onlinebanking gaukelte ihnen dafür ein Portfolio vor.
Ertan Y. soll gemäss der Basler Anklageschrift die Geldflüsse durch die Schweiz organisiert haben. Komplizen von ihm registrierten 600 Meter neben dem Clublokal der Hells Angels Scheinfirmen mit Geschäftskonten, auf welche die Betrogenen einzahlten. Danach soll Ertan Y. das Geld so schnell wie möglich in die Türkei verschoben haben. Anwärter oder Mitglieder der Hells Angels Basel soll er dabei gegen Provision als Kuriere eingesetzt haben.
Von all dem dürften die Fussballer keine Ahnung gehabt haben, auch wenn Ertan Y. als Hells Angel auftrat. Traditionell haben die Hells Angels über die Fankurve einen engen Bezug zum Fussball. Die Hooliganszene besteht aus vielen Anwärtern und Mitgliedern der Hells Angels, die früher zum harten Kern der Fankurven gehörten. Inzwischen dominiert die Ultrabewegung, die sich unter anderem über Choreografien und Pyrotechnik definiert.
Im Fall von Ertan Y. kommt eine weitere Verbindung hinzu. Auf Instagram gibt er an, für eine Spieleragentur tätig zu sein. Auf einem Foto zeigt er sich in einem Büro und schreibt dazu, auch während der Pandemie für seine Spieler da zu sein.
In dieser Zeit wechselte das Aushängeschild der Agentur den Verein: Ricardo Rodríguez, langjähriger Verteidiger der Schweizer Nationalmannschaft. Von solchen Transfers leben die Spieleragenturen, sie kassieren Provisionen. Die AC Mailand lieh ihn damals an PSV Eindhoven aus. In der Türkei tauchten aber auch Gerüchte auf, der Spieler könnte nach Istanbul wechseln. Ein bekannter türkischer Sportkommentar berief sich dabei auf den türkischen Vertreter der Spieleragentur: auf Ertan Y.
Die Recherchen von CH Media zeigen, dass das Netzwerk des angeklagten Hells Angel noch weiter reicht, als «20 Minuten» und «Blick» bisher publik machten.
Der Inhaber der Spieleragentur dementiert jedoch auf Anfrage geschäftliche oder vertragliche Beziehungen mit Ertan Y. Dieser sei auch nie Vertreter der Firma gewesen. Der Firmenchef muss allerdings gewusst haben, dass Ertan Y. auf Instagram als Firmenvertreter auftrat. Er folgte ihm auf der Plattform und likte seine Bilder.
Der Agenturchef hat sein Netzwerk einst als Assistenztrainer des heutigen Nationaltrainers Murat Yakin geknüpft. Die Weggefährten sind sich bis heute verbunden geblieben. So kam es auch zu einem Treffen in Schaffhausen, das Yakin mit einem Selfie dokumentiert hat. Der Inhaber der Spieleragentur und Ertan Y. haben es beide auf Social Media veröffentlicht und dazu geschrieben, sie seien dabei für ihre Firma aktiv gewesen.
Darauf zu sehen sind: Yakin, der Chef der Spieleragentur, Hells Angel Ertan Y., der damalige Präsident des FC Schaffhausen und Giancarlo Tottoli, Herausgeber der Prepaidkarte Antepay. Dieses Zahlungsmittel hat nur einen Zweck: Damit kann man an illegalen Onlineglücksspielen teilnehmen, ohne Spuren zu hinterlassen. Bis dies durch eine Medienrecherche aufflog, war Antepay Hauptsponsor des FC Zürich.
Ertan Y. fungierte gemäss der Basler Staatsanwaltschaft als Administrator von illegalen Onlineglücksspielen, die er für Kioske, Läden, Restaurants und Bars einrichtete und dabei Provisionen von 15 bis 20 Prozent kassiert haben soll. Die Spieler zahlten mit Antepay. Ertan Y. soll als Kopf einer Bande Zahlungskarten im Wert von über 700’000 Franken organisiert haben. Direkte Kontakte zur Führung der Firma sind dabei hilfreich, welche Rolle diese genau spielten, bleibt aber unklar.
Murat Yakin gibt auf Anfrage folgendes Statement ab: «Diese Person ist mir aus früherer Zeit bekannt, das Bild stammt aus dem Jahr 2020. Er hat damals aktiv den Kontakt zu Spielern und Trainern gesucht und so ist dieses Bild entstanden.»
Granit Xhaka lässt ausrichten, er kenne «besagten Herrn nur sehr flüchtig». Er stehe in keiner persönlichen Verbindung zu ihm, woran auch eine Videobotschaft vor einigen Jahren nichts ändere.
Samuele Campo sagt: «Ich habe schon oft auf Bestellung Glückwünsche oder Unterschriften für meine Fans gemacht oder verteilt, ohne die Person persönlich zu kennen. Das gehört zu meinem Beruf und wird auch von den Vereinen erwartet.» Sein Gratulationsvideo an Ertan Y. mag allerdings nicht recht in dieses Schema passen. Campo folgt auf Instagram nicht allen Fans, aber Ertan Y. ist einer von wenigen, deren Aktivitäten ihn interessieren.
Manuel Akanji verteidigt sich ähnlich. «Es ist nicht unüblich, dass Fussballspieler Geburtstagsglückwünsche an Dritte versenden, die ihnen nicht persönlich bekannt sind. So war es auch im vorliegenden Fall», meint seine Marketingberaterin.
Am besten dokumentiert ist die Beziehung mit Breel Embolo. Dieser gratulierte Ertan Y. nicht nur dreimal in Folge zum Geburtstag, sondern traf sich mit ihm auch zu einem Essen in der Siddharta Buddha Lounge in Rorschach am Bodensee, einem Szenetreff von Autoposern und Gangsterrappern. Für Embolo liess Ertan Y. zudem Anfang Februar 2021 über eine Labormitarbeiterin zweimal gefälschte Covid-Reisezertifikate auf dessen Namen ausstellen – ein weiterer Anklagepunkt.
Dokumentiert sind auch Kontakte zur Xhaka-Familie; ein Nachtessen mit dem Vater der Brüder in Istanbul ist auf Instagram öffentlich einsehbar. Die vielen Treffen zeigen: Ertan Y. war offenbar ein beliebter Abendunterhalter und wusste sich zwischen einer Glitzer- und einer Schattenwelt zu bewegen.
Während die Fussballer die Kontakte im Nachhinein nicht richtig erklären können, ist dies für die Stars einer anderen Branche des Showbusiness einfacher. Auch die Rapstars Loredana, Mozzik, Haftbefehl und Capital Bra erwiesen ihm mit kumpelhaften Grussbotschaften die Ehre.
Ertan Y. fand den Zugang zu ihnen über Abdo Abidin, einen Hells Angel, der als Schutzengel von Loredana auftritt. Sie und ihre Kollegen haben sich ein Image als Gangsterrapper aufgebaut. Sie engagieren regelmässig die Hells Angels als Schutztruppe und profitieren dabei von ihrem berühmt-berüchtigten Stil.
Die Beziehungen in die Sicherheitsbranche sind so tief, dass Ertan Y. diese sogar in der Untersuchungshaft nutzen konnte. Seit Juni 2021 sitzt er im Basler Gefängnis Waaghof. Dort engagiert der Staat Sicherheitsleute von Securitas, um Geld zu sparen.
Ein damals 25-jähriger Sicherheitsmann soll ihm in den ersten Monaten in Haft mehrmals geschmuggelte Handys im Gefängnis übergeben haben: für 5000 Franken pro Gerät. Überwachungskameras hielten fest, wie der Aufseher den Häftling mit einem Faustgruss empfing, dieser seine schwarzen Socken auszog und später mit einer gefüllten Socke in der Hand seine Zelle wieder betrat. Darin soll das Smartphone versteckt gewesen sein. Damit soll Ertan Y. Spuren verwischt haben. Sein Instagramprofil liess er allerdings online. Diesen Ruhm kann ihm offenbar niemand nehmen.
Die gleichaltrige Freundin des Aufsehers arbeitete ebenfalls für Securitas im Untersuchungsgefängnis. Sieben Mal soll sie mit dem Hells Angel Sex in der Zelle gehabt haben. Dafür soll er ihr über eine unbekannte Person ausserhalb des Gefängnisses mehrere tausend Franken bezahlt haben. In Chatnachrichten soll er ihr zudem ein «schönes Leben, schöne Ferien und schöne Geschenke» versprochen haben. Der Freund der Aufseherin soll dabei als Vermittler ihrer sexuellen Dienstleistungen agiert haben. Die beiden stehen gemeinsam mit Ertan Y. ab dem 13. Mai in einem zwölftägigen Prozess vor dem Basler Strafgericht.
Als weiteren Anklagepunkt wirft die Staatsanwaltschaft Ertan Y. die mehrfache Vergewaltigung einer 14-Jährigen vor. Er lernte sie über Snapchat kennen, wo sie ihm intime Fotos von sich schickte. Damit soll er sie erpresst und immer mehr von ihr verlangt haben – auch Nacktbilder ihrer 10-jährigen Schwester. Pädokriminalität wäre selbst in der Welt der Hells Angels eine Grenzüberschreitung.
Ertan Y. hat alle geblendet. Er machte sich wichtiger, als er tatsächlich war, und öffnete sich damit viele Türen im Showgeschäft. Inzwischen versucht er sich in einer neuen Rolle: Er bestreitet alles und möchte gemäss seinem Strafverteidiger nicht mehr als Person des öffentlichen Lebens behandelt werden. Seine goldene Rolex trägt er nicht mehr. Sie liegt mit den anderen beschlagnahmten Gegenständen in der Asservatenkammer. (aargauerzeitung.ch/lyn)
Warum diese Nähe zu Fussballern? Nur für den “Fame”? Das ist zu bezweifeln, wenn auch der Name Antepay auftaucht.
Es wäre spannend zu erfahren, ob es auch in der Schweiz Versuche zu Bestechung oder Spielmanipulationen gab, teils auch in unteren Ligen wo die Löhne schlechter sind (und die Spieler/Schiedsrichter damit noch anfälliger).