Steigen die Prämien, verzichten mehr auf Gesundheitsleistungen
Die steigenden Krankenkassenprämien führen dazu, dass mehr Menschen in Genf zunehmend auf Arztbesuche verzichten. Das zeigt eine Studie des Genfer Universitätsspitals (HUG).
Anhand von Längsschnittdaten kommt das Forschungsteam zum Schluss: Bei jedem Prämienanstieg um zehn Franken sind es 2,1 Prozent mehr, die aus Kostengründen nicht zum Arzt oder zur Zahnärztin gehen.
26 Prozent sparen bei medizinischer Versorgung
In Genf gibt heute jede vierte Person an, in den vergangenen 12 Monaten aus finanziellen Gründen auf medizinische Behandlungen oder Zahnbehandlungen verzichtet zu haben, so das Resultat der Studie «Bus Santé». Zum Vergleich: Im Jahr 2011 war es noch jede siebte Person.
Setzt sich der Trend der steigenden Krankenkassenprämien fort, könnte 2030 jede zweite Person wegen der Kosten den Gang zum Arzt meiden. «Und das in der Schweiz, das ist beunruhigend», sagt Mayssam Nehme, Co-Autorin der Studie und leitende Ärztin am HUG, zu watson.
Am Schluss landeten viele, die auf Arztbesuche verzichteten, obwohl sie nötig wären, im bereits überlasteten Notfall. Dies komme für das Gesundheitssystem und für die Patientinnen und Patienten im Endeffekt teurer, sagt Nehme. Sie betont:
Am häufigsten verzichteten Menschen aus tieferen Einkommensschichten auf Behandlungen. Zunehmend greife das Problem aber auch auf mittlere und höhere Einkommensschichten über, sagt Nehme. 2011 waren es in dieser Gruppe nur vier Prozent, die aus finanziellen Gründen auf medizinische Versorgung verzichteten, heute sind es 14 Prozent.
Gerade junge, gesunde Menschen würden oft eine höhere Franchise wählen, sagt Nehme: «Wenn sie dann einmal ein Problem haben, merken sie, dass sie zuerst 2500 Franken selbst bezahlen müssen, bevor die Versicherung etwas übernimmt. Da verzichten viele auf den Arztbesuch.»
Bei den Zähnen wird als Erstes gespart
Wenn die Krankenkassenprämie teurer wird, verzichten die Genferinnen und Genfer als Erstes auf den Besuch beim Zahnarzt und danach auf den Gang zur Hausärztin. Bei den Zahnarztbesuchen sieht Mayssam Nehme den Grund vor allem darin, dass diese selten von den Krankenversicherungen abgedeckt sind. «Zahnbehandlungen haben für viele keine Priorität, sie sind aber sehr wichtig», fügt Nehme an.
Die Umfrage bezieht sich zwar nur auf Genf, die Ergebnisse dürften sich von der restlichen Schweiz allerdings nicht grundsätzlich unterscheiden, ist sich Nehme sicher.
Das legen auch Daten des International Health Policy Survey von «The Commonwealth Fund» nahe. Gemäss deren Umfragedaten verzichtete 2023 ein bedeutender Anteil der Schweizer Bevölkerung aus finanziellen Gründen auf zahnärztliche Behandlungen oder Kontrollen.
Dort zeigt sich ein ähnliches Muster wie in Genf: Menschen mit wenig Einkommen sind am stärksten betroffen, aber nicht nur sie verzichten. Unter Menschen aus unteren und mittleren Einkommensschichten war es jede dritte Person, unter Personen aus höheren Einkommensschichten jede fünfte, die eine zahnärztliche oder medizinische Behandlung oder Kontrolle aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch nahm.
Mit Blick auf die Studie der HUG sagt Nehme: «Wir müssen diese Resultate sehr ernst nehmen. Und wir müssen darüber nachdenken, wie Gesundheitsbehandlungen abgedeckt werden. Lösungen dafür zu finden, ist Sache der zuständigen Behörden.»