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«Paxlovid kann viele Einweisungen ins Krankenhaus verhindern»

Experte zu Covid-Medikament: «Paxlovid kann viele Einweisungen ins Krankenhaus verhindern»

Das virushemmende Medikament Paxlovid gehört zu den Hoffnungsträgern im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Ein deutscher Mediziner erklärt, warum das nur bedingt der Fall ist.
19.07.2022, 10:20
Jörg Zittlau / ch media
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Das virushemmende Medikament Paxlovid ist mittlerweile in 65 Ländern zugelassen. Seit Mitte Juni auch in der Schweiz. Doch laut einer im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie wirkt es bei Menschen ohne Risikofaktoren offenbar deutlich schwächer. Was bedeutet das für den therapeutischen Alltag? Das erklärt Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin.

epa09775282 A pharmacist displays a case of Paxlovid, a COVID-19 treatment pills developed by Pfizer Inc., at a drugstore in Seoul, South Korea, 21 February 2022. The age restriction on the administra ...
Hoffnungsträger im Kampf gegen die Corona-Pandemie: Das Medikament Paxlovid.Bild: keystone

Laut der US-Studie hat Paxlovid bei Covid-Patienten ohne Risikofaktoren offenbar einen geringeren Nutzen als bei anderen Patienten. Woran liegt das?
Martin Scherrer: Ja, es ist in der Tat so, dass es bei Patienten mit Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, Hypertonie, fehlender Impfung und fortgeschrittenem Alter besonders gut wirkt. Aber das beobachten wir schon seit dem Beginn der Pandemie: Wir können immer da den grössten Blumentopf gewinnen, wo das grösste Risiko ist. Da, wo die Verläufe ohnehin mild sind, können Sie auch, um es plakativ auszudrücken, am wenigsten reissen. Das Nutzen-Risikoverhältnis wird dann ungünstiger und kann sich eventuell sogar umkehren.​

Martin Scherer, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Martin Scherer, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.Bild: pd

Die Studie ist also kein Grund, von dem Medikament Abstand zu nehmen?
Nein, im Gegenteil. Sie zeigt ja, dass Paxlovid wirkt. In der Studie mussten nur ungefähr 0.8 Prozent der Covid-Patienten hospitalisiert werden, wenn sie das Medikament rechtzeitig eingenommen hatten. In der Placebogruppe waren es hingegen über 6 Prozent. Paxlovid kann also sehr viele Einweisungen ins Krankenhaus verhindern. Und auch viele Todesfälle. So gab es in der aus rund 1000 Probanden bestehenden Placebogruppe 12 Todesfälle, in der gleich grossen Paxlovidgruppe hingegen keinen.

Woraus besteht dieses Mittel?
Es besteht aus einem Virostatikum und einem Zusatzstoff, der den Abbau des Virostatikums in der Leber verlangsamt und für dessen längere Verfügbarkeit im Körper sorgt.​

Und worin besteht die Wirkung des Virostatikums?
Es stört die Funktion eines bestimmten viralen Eiweissmoleküls, das für den Bau neuer Viruskopien in der menschlichen Zelle benötigt wird. Es verhindert also, dass sich das Virus weiter vermehren kann. Und somit Viren nur in sehr grosser Anzahl im Körper etwas ausrichten können. So lässt sich durch diesen Effekt die Infektion eindämmen.​

Sie sprachen davon, dass der richtige Zeitrahmen für die Behandlung getroffen werden sollte. Wo liegt der?
Das Mittel sollte in den ersten fünf Tagen nach Symptombeginn eingenommen werden. In der Dosierung von 3 Tabletten alle 12 Stunden, für einen Zeitraum von fünf Tagen. Das Verabreichen in Tablettenform ist übrigens ein grosser Vorteil, der Patient braucht keine Infusionen.​

Von einem Game-Changer in der Covid-Therapie kann man nicht gerade sprechen. Liegt das daran, dass es eben nur bei den Risikofällen, also einer Auswahl der Patienten wirkt?
Bei den Ärzten ist in puncto Paxlovid tatsächlich eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten, und wir haben auch immer betont, dass der Einsatzbereich von Paxlovid sehr begrenzt ist. Aber das liegt nicht nur dem von Ihnen angeführten Grund. Ein weiterer ist, dass die Wirksamkeit des Mittels - auch in der genannten Studie - bislang nur für die Delta-Variante nachgewiesen wurde, nicht aber für Omikron.​

Es besteht also noch eine gewisse Unsicherheit, was die Wirksamkeit bei der aktuellen Variante angeht?
So ist es. Es gibt zwar gute Gründe für den Analogschluss, dass Paxlovid auch bei Omikron wirken sollte. Aber noch fehlen die klinischen Daten dazu. Wir haben schon bei der Antikörpertherapie feststellen müssen, dass sie bei Omikron schwächer wirkt als bei Delta. Sie hat zwar ein anderes Wirkprinzip, aber prinzipiell bestünde auch bei Paxlovid die Möglichkeit, dass es bei Omikron schwächer wirkt als bei Delta. Wir wissen es nicht genau.​

Wobei die schwächere Wirkung ja prinzipiell nicht ganz so schlimm wäre, insofern Omikron meistens harmloser verläuft, oder?
Ja, und da sind wir bei einem weiteren Grund für die Zurückhaltung der Ärzte. Hätten wir damals, im Winter 2020, ein so wirksames Medikament gehabt, hätte man viele Einweisungen und auch Todesfälle vermeiden können. Aber jetzt ist Omikron die vorherrschende Variante, und da besteht nicht mehr so oft die Notwendigkeit, das Medikament zum Einsatz zu bringen.​

Welche Nebenwirkungen hat Paxlovid?
Die Nebenwirkungen sind eigentlich das kleinere Problem gegenüber den Wechselwirkungen, die es mit vielen anderen Medikamenten haben kann. Da sind beispielsweise die Antiarrhythmika zu nennen, die zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden. Oder auch viele Psychopharmaka, Lipidsenker, Blutverdünner und Medikamente zur Behandlung von Herzschwäche. Und auch erektionsfördernde Mittel wie Viagra oder Cialis sollten nicht mit Paxlovid kombiniert werden.​

Das hört sich alles an wie die typische Arzneimittelliste eines Risikopatienten, der bei Covid-19 besonders gefährdet ist?
Und genau das zwingt den Arzt zum Abwägen. Er muss sich gut überlegen, ob es sich lohnt, eines oder mehrere dieser Mittel abzusetzen, um dafür Paxlovid zu verordnen.

Und für dieses Abwägen bleiben ihm gerade mal fünf Tage Zeit?
Oft bleiben ihm nicht einmal die. Denn das Zeitfenster für die Anwendung des Mittels öffnet sich mit dem Beginn der Symptomatik, und die Patienten gehen ja nicht unbedingt mit dem ersten Tag ihrer Symptome zum Arzt. Sie sehen also: Paxlovid ist zwar ein sehr wirksames Medikament, aber im Praxisalltag ist es für den Arzt nicht gerade einfach zu händeln. (aargauerzeitung.ch)​

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