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Gesundheit

Deswegen haben uns Krankheiten diesen Winter so heftig ins Bett gelegt

Pneumococcal pneumonia. Computer illustration of Streptococcus pneumoniae (pneumococci) bacteria inside the alveoli of the lungs, causing pneumonia.
Pneumokokken in der Lunge - diese bakterielle Infektion ist gefährlicher als eine virale.Bild: getty

Deswegen haben uns Krankheiten diesen Winter so heftig ins Bett gelegt – Spoiler: Pandemie

Wie ein Post-Corona-Sturm sind Grippe- und Erkältungsviren in den letzten Wochen durch die Bevölkerung gefegt. Jetzt sind die Pneumokokken da. Was ist schuld an dieser Kaskade?
13.01.2023, 17:4814.01.2023, 19:05
Sabine Kuster, Ruben Schönenberger / ch media
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Vermutlich werden wir noch unseren Enkelkindern von Weihnachten 2022 erzählen, als die Hälfte der Familie am Esstisch hustete oder ein Stock weiter oben im Bett das Fieber auskurierte. Nun sinken die Zahl der Viruspartikel im Abwasser wieder: Grippe, RS-Viren wie auch Corona sind auf dem Rückzug. Das zeigen auch die aktuellsten Abwasserzahlen. Doch immer noch gibt es auffallend viele Arbeitsausfälle wegen verschiedensten Infekten von Mittelohren- über Lungen- bis Mandelentzündungen. Und viele sagen: «Einen solch hartnäckigen Husten hatte ich noch nie.»

Virenkonzentration Abwasser
Bild: CH Media

Die Krankheitswelle ist noch nicht vorüber: Auf dem Fuss folgen der Grippe bakterielle Infektionen zum Beispiel mit Pneumokokken. Wie die meldepflichtigen Fälle zeigen, steigt die Zahl der Pneumokokken-Infekte aktuell steil. «Bestimmt gab es früher schon heftige Wochen, aber wir haben aktuell eindeutig sehr viele Fälle», sagt Urs Karrer vom Kantonsspital Winterthur.

Als Infektiologe ist Karrer diese Interaktion bekannt: Nach jeder Grippewelle nehmen Pneumokokken-Infektionen zu. Diese Bakterien besiedeln uns oft, aber erst wenn sie tief in die Lungen, ins Blut oder gar ins Hirn gelangen wird es gefährlich. «Dort haben Pneumokokken eine Mortalität von rund 10 Prozent», sagt Karrer. Nicht immer schlägt die Behandlung mit Antibiotika rechtzeitig an. Besonders gefährdet sind Säuglinge, Kleinkinder und Seniorinnen und Senioren. Seit 2019 gehört die Pneumokokken-Impfung zum Basisimpfplan für zwei Monate alte Kinder.

Gemeldete Pneumokokken-Fälle
Bild: ch media

«Wenn das Grippe-Virus das Epithel der Schleimhäute geschädigt hat, können Pneumokokken leichter eindringen», erklärt Karrer. Nach den Corona-Wellen hat es keinen solchen Effekt mit Pneumokokken gegeben, Influenza scheint diesen Bakterien den Weg besonders gut zu bereiten.

Während der Pandemie kam dafür der Begriff «Immunschuld» auf, der aber irreführend sein kann, weil jede Infektion fürs Individuum ein Risiko birgt und nicht etwas Begehrenswertes ist. «Immunlücke» trifft es etwas besser und bezieht sich nur auf die ganze Bevölkerung, die empfänglicher für Krankheitserreger wurde.

Infektionen werden nachgeholt

Für die ausserordentliche Krankheitswelle gibt es zwei Erklärungen, aber nur die erste stimmt sicher: Die Bevölkerung ist wegen der Corona-Massnahmen während zweier Winter viel weniger in Kontakt mit den üblicherweise kursierenden Viren gekommen. Das hat unserem Immunsystem keineswegs geschadet, aber deswegen wurde unser Immun-Gedächtnis länger nicht aufgefrischt und die Erreger werden aktuell vom Körper weniger schnell abgewehrt.

Vor der Pandemie steckten sich beispielsweise während der jährlichen Grippewellen laut dem deutschen Robert-Koch-Institut rund 5 bis 20 Prozent der Bevölkerung mit der Grippe an. Aber längst nicht alle Infizierten hüteten deswegen das Bett: Viele Infektionen verlaufen asymptomatisch, aber hinterlassen vermutlich trotzdem einen Auffrischungseffekt im Immunsystem.

Gar keine Immunität hatten die bis zwei Jahre alten Kinder. Diese erkrankten bereits im Sommer wie auch Anfang Winter an RSV. Nun kam die Grippe hinzu. Es gab in dieser Grippewelle also viel mehr Kleinkinder, welche ohne Schutz dem Infektionsgeschehen Schub gaben.

Hinzu kommen ältere Kinder, die sich vor der Pandemie mit den verschiedenen Viren schon einmal infiziert hatten, deren Schutz durch die einmalige Infektion aber noch nicht sehr stark war. Auch diese hatten in den letzten Wochen ein höheres Risiko zu erkranken und andere anzustecken. Und: Weil auch Schwangere nicht mehr mit den Erregern in Kontakt kamen, kamen deren Neugeborene mit einem schwächeren Nestschutz zur Welt.

Schwächt Corona das Immunsystem?

Urs Karrer, Vizepraesident, National COVID-19 Science Task Force, spricht an einem Point de Presse zur Covid 19 Situation, am Dienstag, 7. Dezember 2021. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Urs Karrer, Infektiologe am Kantonsspital Winterthur.Bild: keystone

Der zweite Grund für die Krankheitswelle könnte eine Spätfolge der vielen Coronainfektionen dieses Jahr sein. Das ist zwar denkbar, aber noch nicht bewiesen. Infektiologe Karrer sagt dazu: «Im Moment gibt es null Evidenz dafür.»

Bekannt ist, dass es nach einer Masern- oder Gelbfieberinfektion zu einer langanhaltenden, aber vorübergehenden Schwächung des Immunsystems kommt. Eine Maserninfektion kann weite Teile des Immungedächtnisses auslöschen, weswegen man anfälliger für spätere Erkrankungen werden kann.

Auch der österreichische Virologe Lukas Weseslindtner sagte gegenüber einer Wiener Zeitung, nach Covid-19 erkrankten Personen nicht häufiger an Atemwegsinfektionen als nicht Infizierte.

Der Zürcher Immunologe Christian Münz sieht zudem keine Anzeichen, dass Corona das Immunsystem als Ganzes schwächen könnte, wie dies bei Aids der Fall ist: «Nach einer Coronavirus-Infektion erfolgt die T-Zellen-Antwort gegen unterschiedliche Bruchstücke des Virus. Diese Gedächtniszellen speichern also in jedem Menschen andere Stücke des Virus ab. Dadurch kann das Virus dem Immungedächtnis nicht entkommen.»

Bei HIV sei das nur möglich, weil die Virenvarianten im Menschen selbst angelegt werden und daher die Virusbruchstücke, die von den T-Zellen erkannt werden, in jedem Menschen verändern könnten. Karrer sagt: «Einen solchen Effekt hätten wir bei Sars längst gesehen.»

Corona-Massnahmen waren für Neugeborenen kritisch

Trotzdem ist die Interpretation der Krankheitswelle nicht selten ideologisch gefärbt: Wer die Pandemiemassnahme hasste, gibt auch ihnen jetzt die Schuld für die vielen nachgeholten Infektionen. Karrer weist aber darauf hin, dass die Wirkung der Corona-Massnahmen auf andere Krankheiten keineswegs schädlich war, sondern die Spitäler zeitweise von zusätzlichen Patienten entlastet hat.

Ein Risiko war und ist die jetzige Krankheitswelle aber für die Neugeborenen: Gerade RSV-Viren sind für die Kleinsten besonders gefährlich und sie zu schützen, war in den letzten Wochen schwierig. Wenn sie dann ins Spital müssen, treffen sie auf überfüllte Notfälle und überlastetes Personal. Und wenn sehr viele Kranke gleichzeitig medizinische Versorgung brauchen, kann die Behandlungsqualität sinken.

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64 Kommentare
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Bitte wenden!
13.01.2023 20:26registriert März 2014
Danke für den Artikel!
Mich hats 4 Tage voll weggehauen, dann war ich sicher noch 10 nur auf Halbmast.
Aber da ich vorher schon mit dem Rauchen aufgehört habe ist jetzt der Schleim draussen und meine Flimmerhärchen freuts und sie flimmern wieder!😊
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Hosesack
13.01.2023 18:19registriert August 2018
Was soll ich sagen, kein Corona gehabt und keine Grippe dieses Jahr. Links und Rechts von mir, wird gekränkelt und gehustet. Man muss einfach nicht alles mitmachen.
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Triangle
13.01.2023 22:01registriert November 2022
Bin gegen covid und Grippe geimpft und trage eine FFP2 Maske wenn ich es als Sinnvoll und nötig erachte. Fühle mich so wohl und jede*r Mensch soll wie er kann oder will. So sind dann am Ende alle zufrieden. Hoffe ich.
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